15.11.2024
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Dokument-Nr. 6519

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Bundesgerichtshof Urteil13.08.2008

Erste Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs über vorbehaltene Siche­rungs­ver­wahrung bei HeranwachsendenLebenslang für Siegburger Foltermord?

Ein Heranwachsender Häftling, der wegen Folterung und Ermordung eines Mithäftlings verurteilt wurde ("Siegburger Foltermord"), könnte nun doch lebenslange Freiheitsstrafe und Siche­rungs­ver­wahrung drohen. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs hervor. Die Richter hoben ein Urteil des Landgerichts Bonn im Rechts­fol­ge­n­aus­spruch auf und verwiesen die Sache an eine andere Jugendkammer des Landgerichts. Das Landgericht wird die Höhe der Strafe neu zu beurteilen haben und zu entscheiden heben, ob eine vorbehaltende Siche­rungs­ver­wahrung angeordnet wird.

Das Landgericht Bonn hat den Angeklagten I. wegen Mordes, gefährlicher Körper­ver­letzung in 5 Fällen, Vergewaltigung in 2 Fällen sowie besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körper­ver­letzung zu einer Gesamt­frei­heits­strafe von 15 Jahren verurteilt. Zwei Mitangeklagte verurteilte es zu einer Gesamt­frei­heits­strafe von 14 Jahren bzw. einer Einheits­ju­gend­strafe von 10 Jahren.

Opfer wurde einen Tag lang gequält und später erhängt

Nach den Feststellungen des Landgerichts waren die drei Angeklagten gemeinsam mit dem späteren Tatopfer in einer Zelle der JVA Siegburg inhaftiert. Am 11. November 2006 beschlossen die Angeklagten, einer Idee des Angeklagten I. folgend, den Geschädigten zu misshandeln. Dieser war den Angeklagten unterlegen und leistete ihnen aus Angst keinen Widerstand. Während des gesamten Tages quälten und erniedrigten die Angeklagten ihr Tatopfer und brachten ihm erhebliche Verletzungen bei. Im weiteren Verlauf beschlossen die Angeklagten schließlich, ihren Mitgefangenen zu töten. Sie erhängten ihn in der Tür zum Toilettenraum. Am darauf folgenden Morgen meldeten sie den Tod des Opfers und gaben vor, dieser habe sich das Leben genommen.

Auf Heranwachsenden wurde Erwach­se­nen­strafrecht angewandt

Das Landgericht hat auf den Angeklagten I. als Heranwachsenden Erwach­se­nen­strafrecht angewendet, aber von der Anordnung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 106 Abs. 1 JGG abgesehen. Ob darüber hinaus ein Vorbehalt der Sicherungsverwahrung nach § 106 Abs. 3 JGG anzuordnen war, hat die Jugendkammer nicht ausdrücklich geprüft.

BGH: Bloße Hoffnungen auf eine Resozi­a­li­sierung reichen nicht auf, um von einer lebenslangen Freiheitsstrafe abzusehen

Auf die zu Ungunsten des Angeklagten I. eingelegte Revision der Staats­an­walt­schaft hat der Senat das Urteil im Rechts­fol­ge­n­aus­spruch aufgehoben, soweit das Landgericht eine lebenslange Freiheitsstrafe nicht verhängt und den Vorbehalt der Siche­rungs­ver­wahrung nicht angeordnet hat, und die Sache an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Nach Ansicht des Senats sind die vom Landgericht für das Absehen von der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe herangezogenen Gründe nicht hinreichend tragfähig. Es handele sich um bloße Hoffnungen auf eine Resozi­a­li­sierung des Angeklagten, die durch Tatsachen nicht belegt seien. So sei z.B. die vom Landgericht festgestellte Anmeldung zu einem Anti-Aggressions-Training bereits vor der Tat erfolgt, so dass dieser Umstand nicht geeignet ist, auf ein nunmehr vorhandenes Problem­be­wusstsein des Angeklagten zu schließen.

BGH: Landgericht hätte auch Vorbehalt einer Siche­rungs­ver­wahrung prüfen müssen

Darüber hinaus hat es das Landgericht auch zu Unrecht unterlassen, einen Vorbehalt der Siche­rungs­ver­wahrung zu prüfen. Die Voraussetzungen des § 106 Abs. 3 Satz 2 und 3 JGG liegen hier vor. Der Angeklagte ist wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren und wegen besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren verurteilt. Vorver­ur­tei­lungen sind nicht erforderlich. Auch § 106 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 JGG begründet ein solches Erfordernis nicht. Die Regelung stellt nur für den Fall, dass es nach den allgemeinen Vorschriften auf solche Vorver­ur­tei­lungen ankommt, besondere Anforderungen an diese. Daher ist die vorbehaltene Siche­rungs­ver­wahrung auch bei erstmals verurteilten heranwachsenden Mehrfachtätern anwendbar.

§ 106 Jugend­ge­richts­gesetz - Milderung des allgemeinen Strafrechts für Heranwachsende; Siche­rungs­ver­wahrung

(1) Ist wegen der Straftat eines Heranwachsenden das allgemeine Strafrecht anzuwenden, so kann das Gericht an Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe auf eine Freiheitsstrafe von zehn bis zu fünfzehn Jahren erkennen.

(2) Das Gericht kann anordnen, dass der Verlust der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen (§ 45 Abs. 1 des Straf­ge­setz­buches), nicht eintritt.

(3) 1Siche­rungs­ver­wahrung darf neben der Strafe nicht angeordnet werden. 2Unter den übrigen Voraussetzungen des § 66 des Straf­ge­setz­buches kann das Gericht die Anordnung der Siche­rungs­ver­wahrung vorbehalten, wenn

1. der Heranwachsende wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Straf­ge­setz­buches bezeichneten Art, durch welche das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist, zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt wird,

2. es sich auch bei den nach den allgemeinen Vorschriften maßgeblichen früheren Taten um solche der in Nummer 1 bezeichneten Art handelt und

3. die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu solchen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist.

3§ 66 a Abs. 2 und 3 des Straf­ge­setz­buches gilt entsprechend.

(4) 1Wird neben der Strafe die Anordnung der Siche­rungs­ver­wahrung vorbehalten und hat der Verurteilte das sieben­und­zwan­zigste Lebensjahr noch nicht vollendet, so ordnet das Gericht an, dass bereits die Strafe in einer sozial­the­ra­peu­tischen Anstalt zu vollziehen ist, es sei denn, dass die Resozi­a­li­sierung des Täters dadurch nicht besser gefördert werden kann. 2Diese Anordnung kann auch nachträglich erfolgen. 3Solange der Vollzug in einer sozial­the­ra­peu­tischen Anstalt noch nicht angeordnet oder der Gefangene noch nicht in eine sozial­the­ra­peu­tische Anstalt verlegt worden ist, ist darüber jeweils nach sechs Monaten neu zu entscheiden. 4Für die nachträgliche Anordnung nach Satz 2 ist die Straf­voll­stre­ckungs­kammer zuständig.

(5) 1Werden nach einer Verurteilung wegen einer Straftat der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 bezeichneten Art zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren vor Ende des Vollzugs dieser Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen, so kann das Gericht die Unterbringung in der Siche­rungs­ver­wahrung nachträglich anordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrschein­lichkeit erneut Straftaten der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 bezeichneten Art begehen wird. 2War keine der Straftaten dieser Art, die der Verurteilung zugrunde lagen, nach dem 1. April 2004 begangen worden und konnte die Siche­rungs­ver­wahrung deshalb nicht nach Absatz 3 Satz 2 vorbehalten werden, so berücksichtigt das Gericht als Tatsachen im Sinne des Satzes 1 auch solche, die im Zeitpunkt der Verurteilung bereits erkennbar waren.

(6) Ist die wegen einer Tat der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 bezeichneten Art angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67 d Abs. 6 des Straf­ge­setz­buches für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledi­gungs­ent­scheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Siche­rungs­ver­wahrung nachträglich anordnen, wenn

1. die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 des Straf­ge­setz­buches wegen mehrerer solcher Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 des Straf­ge­setz­buches führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und

2. die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Vollzugs der Maßregel ergibt, dass er mit hoher Wahrschein­lichkeit erneut Straftaten der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 bezeichneten Art begehen wird.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 154/08 des BGH vom 13.08.2008

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