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- Landgericht Regensburg, Urteil22.06.2009, NSV 121 Js 17270/1998 jug
Bundesgerichtshof Urteil09.03.2010
Bundesgerichtshof bestätigt nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach JugendstrafrechtKein verfassungsrechtlicher Verstoß gegen Rückwirkungs- oder Doppelbestrafungsverbot
Eine nachträgliche Sicherungsverwahrung ist auch bei Jugendstrafen zulässig. Die Anordnung nach § 7 Abs. 2 JGG steht im Einklang mit der Verfassung und verstößt weder gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot noch gegen das Doppelbestrafungsverbot. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung dient einer präventiven Verhinderung zukünftiger Straftaten und stellt kein repressive, dem Schuldausgleich dienende Sanktion dar. Dies entschied der Bundesgerichtshof.
Mit Urteil vom 22. Juni 2009 hat das Landgericht Regensburg nachträglich die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dabei hat es sich auf die mit Gesetz vom 8. Juli 2008 eingefügte Vorschrift des § 7 Abs. 2 Nr. 1 Jugendgerichtsgesetz (JGG) gestützt.
Sachverhalt
Der heute 32-jährige Verurteilte war durch das Landgericht Regensburg mit Urteil vom 29. Oktober 1999 wegen Mordes - begangen zur Befriedigung des Geschlechtstriebs und um eine andere Straftat zu verdecken - zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt worden. Dieser Anlassverurteilung lag zu Grunde, dass der Verurteilte im Alter von 19 Jahren im Juni 1997 eine 31-jährige Joggerin auf einem Waldweg in der Absicht, sie unter massiver Gewaltanwendung zu vergewaltigen und anschließend zu töten, überfallen hatte. Als sein Opfer reglos am Boden lag, nahm er von seinem Vergewaltigungsvorhaben Abstand, legte den Genitalbereich der bereits toten oder im Sterben liegenden Frau frei und onanierte bis zum Samenerguss auf sie. Dadurch wollte der Verurteilte Macht über sein Opfer ausüben.
Einstweilige Sicherungsverwahrung nach verbüßter Haftstrafe
Der Verurteilte hat die Jugendstrafe bis zum 17. Juli 2008 vollständig verbüßt. Seit 18. Juli 2008 ist er einstweilig in der Sicherungsverwahrung untergebracht.
Strafkammer stellt unter anderem emotional instabile Persönlichkeitsstörung des Täters fest
Die Strafkammer, die nunmehr über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 JGG zu entscheiden hatte, stellte - sachverständig beraten - fest, dass bei dem Verurteilten eine multiple Störung der Sexualpräferenz mit einer sadistischen Komponente und eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung besteht. Etwa seit seinem 15. Lebensjahr hat er sexuelle Gewaltfantasien, die er bei der Anlasstat abladen wollte und die er entsprechend umsetzte. Diese Fantasien sind immer noch nicht überwunden. Das Landgericht kam deshalb zu dem Ergebnis, dass der Verurteilte mit hoher Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit nach seiner Entlassung aus dem Vollzug weitere schwere Straftaten der in § 7 Abs. 2 Nr. 1 JGG bezeichneten Art, namentlich sexuelle Gewaltdelikte bis hin zum Sexualmord, begehen wird.
Verurteilter wendet sich gegen Anordnung der Sicherungsverwahrung
Gegen die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung wendet sich der Verurteilte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet.
Vorschrift zur Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht verfassungswidrig
Der Bundesgerichtshof hat in der ersten höchstrichterlichen Entscheidung, die zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung bei einer Verurteilung nach Jugendstrafrecht gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 JGG ergangen ist, die Revision des Verurteilten durch Urteil als unbegründet verworfen. Er hat bestätigt, dass die formellen und materiellen Anordnungsvoraussetzungen vorliegen. Er hält die Vorschrift nicht für verfassungswidrig.
Die formellen Erfordernisse sind gewahrt, da gegen den Verurteilten wegen Mordes eine Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren verhängt wurde.
Vorliegen neuer Tatsachen für nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht erforderlich
In materieller Hinsicht erfordert die Vorschrift des § 7 Abs. 2 JGG weder das Vorliegen neuer Tatsachen ("Nova") noch das eines Hanges. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm, bei der der Gesetzgeber bewusst auf den davon betroffenen jungen Straftäter abgestellt hat. Wegen der bei diesem regelmäßig bestehenden Reifedefizite und der damit einhergehenden Prognoseunsicherheiten hat der Gesetzgeber hier von der Möglichkeit der ursprünglichen und der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung abgesehen und bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung bewusst auf das Erfordernis eines Hanges verzichtet.
Sicherungsverwahrung stellt präventive Verhinderung zukünftiger Straftaten und keine dem Schuldausgleich dienende Sanktion dar
Da der Bundesgerichtshof vorliegend erstmals über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 JGG befunden hat, hat der Senat auch geprüft, ob die Vorschrift im Einklang mit der Verfassung steht. Dies hat er bejaht. Die Regelung verstößt weder gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot noch gegen das Doppelbestrafungsverbot, da es sich bei der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung um eine präventive, der Verhinderung zukünftiger Straftaten dienende Maßnahme handelt und nicht um eine repressive, dem Schuldausgleich dienende Sanktion. Soweit der Vertrauensschutz der betroffenen Straftäter tangiert ist, hat eine Güterabwägung zu erfolgen. Diese hat der Gesetzgeber in nicht zu beanstandender Weise dahin getroffen, dass der Schutz der Allgemeinheit vor einzelnen extrem gefährlichen jungen Straftätern überwiegt. Aufgrund der engen Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 7 Abs. 2 JGG wahrt die Vorschrift auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der Gesetzgeber hat hier den Katalog der Anlasstaten noch enger als im Erwachsenenstrafrecht auf schwerste Verbrechen gegen Personen beschränkt und eine Verurteilung wegen einer solchen Katalogtat zu einer Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren verlangt (gegenüber der Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren bei Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht). Zudem hat er die Frist zur Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 JGG auf ein Jahr verkürzt, während sie bei nach allgemeinem Strafrecht Verurteilten zwei Jahre beträgt.
Das Kammerurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (Beschwerde Nr. 19359/04) steht der vorliegenden Entscheidung nicht entgegen. Abgesehen davon, dass dieses Urteil noch nicht endgültig ist, liegt hier jedenfalls eine - unter den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für maßgeblich erachteten Kriterien - abweichende Fallgestaltung und Rechtslage vor.
Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung ist damit rechtskräftig.
§ 7 JGG. Maßregeln der Besserung und Sicherung
…
(2) Sind nach einer Verurteilung zu einer Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren wegen oder auch wegen eines Verbrechens
1. gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder
2. nach § 251 des Strafgesetzbuches, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255 des Strafgesetzbuches, durch welches das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist, vor Ende des Vollzugs dieser Jugendstrafe Tatsachen erkennbar, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen, so kann das Gericht nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Vollzugs der Jugendstrafe ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der vorbezeichneten Art begehen wird.
...
(4) Für das Verfahren und die Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach den Absätzen 2 und 3 gelten § 275 a der Strafprozessordnung und die §§ 74 f und 120a des Gerichtsverfassungsgesetzes sinngemäß. Die regelmäßige Frist zur Prüfung, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen ist (§ 67 e des Strafgesetzbuches), beträgt in den Fällen der Absätze 2 und 3 ein Jahr.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 09.03.2010
Quelle: ra-online, BGH
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