21.11.2024
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Dokument-Nr. 7797

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Bundesgerichtshof Urteil29.04.2009

BGH zum heimlichen Abhören der Gespräche eines Beschuldigten mit seiner Ehefrau im Besuchsraum während der Unter­su­chungshaftVorgehen der Ermitt­lungs­be­hörden verstößt gegen Grundsatz des fairen Verfahrens

Im Prozess dürfen heimlich gewonnene Informationen nicht verwertet werden, weil dies den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt. Dies entschied der Bundes­ge­richtshof in einem Fall, in dem eine Frau ihren Mann in der Unter­su­chungshaft besuchte. Der Besuchsraum wurde abgehört.

Das Landgericht Kempten verurteilte den Angeklagten am 1. August 2008 unter anderem wegen Mordes, begangen aus niedrigen Beweggründen, zu einer lebenslangen Gesamt­frei­heits­strafe. Nach den Feststellungen des Landgerichts heiratete der Angeklagte, ein marokkanischer Staats­an­ge­höriger, im Jahr 2006 seine auch aus Marokko stammende, in Deutschland lebende Ehefrau und zog zu ihr nach Kempten. Dort besuchte er ab Oktober 2006 einen Deutschkurs. Zwischen dem Angeklagten und seiner ebenfalls verheirateten Deutschlehrerin, dem späteren Opfer der Tat, entwickelte sich schon bald eine außereheliche intime Beziehung. Bei einem Treffen am 12. September 2007 in der ehelichen Wohnung des Angeklagten kam es zwischen diesem und der später Getöteten zu einem Streit. Nachdem beide zunächst einvernehmlich miteinander geschlafen hatten, verlangte der Angeklagte plötzlich von ihr, ihren Ehemann zu verlassen und mit ihm, dem Angeklagten, ins Ausland zu gehen. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, drohte der Angeklagte, ihren Ehemann von der außerehelichen Beziehung zu unterrichten. Zu diesem Zweck hatte er schon zuvor den einver­nehm­lichen Geschlechts­verkehr heimlich gefilmt. Die später Getötete wies das Ansinnen des Angeklagten zurück. Für sie kam eine Trennung von ihrem Ehemann unter keinen Umständen in Betracht. Weil der Angeklagte sich hiermit nicht zufrieden geben wollte, rief er am Morgen des 17. September 2007 mehrfach bei ihr an und überredete sie zu einem Treffen auf einem Parkplatz in Kempten. Von dort aus fuhren beide im Pkw des Tatopfers zu einem kleinen Stausee zwischen Börwang und Wildpoldsried. Dort kam es wieder zu einem Streit, weil sich die dann Getötete auch weiterhin weigerte, ihre Familie zu verlassen. Der Angeklagte schlug ihr daraufhin heftig ins Gesicht. Mit einem weiteren kräftigen Schlag gegen den Hals brach er ihr das rechte obere Kehlkopfhorn. Dann entschloss er sich, sein Opfer zur Durchsetzung seines absoluten Macht- und Besitzanspruchs zu töten. Er erwürgte es und legte den Leichnam in einer versteckt liegenden Erdmulde ab. Anschließend fuhr er zurück nach Kempten, wo er zunächst in der ehelichen Wohnung am Computer arbeitete und später seine Ehefrau von der Arbeit abholte.

Gespräche zwischen Angeklagtem und dessen Ehefrau werden auf Antrag der Staats­an­walt­schaft abgehört und aufgezeichnet

Der Angeklagte wurde am 21. September 2007 festgenommen. Über die Telefon­ver­bin­dungsdaten war festgestellt worden, dass die Getötete zuletzt mit dem Angeklagten telefoniert hatte. Bei seiner ermitt­lungs­rich­ter­lichen Vernehmung gab der Angeklagte das Treffen mit der Getöteten auf dem Parkplatz zu, behauptete aber, mit deren Verschwinden nichts zu tun zu haben. Der Angeklagte wurde daraufhin in die Untersuchungshaft in die JVA Kempten verbracht. Mit Beschluss vom 25. September 2007 ordnete das Amtsgericht Kempten auf Antrag der Staats­an­walt­schaft an, dass Besuchskontakte zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau in der Unter­su­chungshaft in einem separaten Raum durchzuführen und die dabei geführten Gespräche mittels Anbringung von Mikrofonen abzuhören und aufzuzeichnen seien. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass nach den bisherigen Ermittlungen davon ausgegangen werden müsse, dass der Angeklagte die Geschädigte getötet habe. Sie sei seit einem Treffen mit dem Angeklagten am 17. September 2007 spurlos verschwunden und es sei zu erwarten, dass der Angeklagte mit seiner Ehefrau Einzelheiten zur Tat besprechen werde. Entsprechend dieser Anordnung wurden daraufhin die Besuche in einem separaten Besuchsraum ohne erkennbare Überwachung durchgeführt. Die Gespräche zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau wurden dabei heimlich abgehört. Bei einem am 15. Oktober 2007 aufgezeichneten Gespräch räumte der Angeklagte gegenüber seiner Ehefrau ein, dass das Opfer, dessen Leiche bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgefunden worden war, tot sei. Außerdem forderte er seine Frau mehrfach auf, eine Video­auf­zeichnung anzufertigen und diese unter anderem an die Staats­an­walt­schaft zu schicken. Darin sollte sie die Tat gestehen und behaupten, dass sie aus Eifersucht zwei russische Auftragsmörder engagiert habe, die das Tatopfer für 30.000 Euro getötet hätten. Außerdem sollte sie sagen, dass sie vor der Tatausführung in die Scheide der Getöteten das Sperma des Angeklagten gerieben hätte. Nach Fertigstellung der Video­auf­zeichnung sollte sich die Ehefrau des Angeklagten nach Italien absetzen.

Neben mehreren objektiven Beweisanzeichen (Telefon­ver­bin­dungsdaten, Blutspuren des Opfers an der Kleidung des Angeklagten, DNS des Angeklagten im Pkw des Opfers) hat die Strafkammer den Inhalt des abgehörten Gesprächs als ein "deutliches Indiz" für die Täterschaft des Angeklagten und den gewaltsamen Tod des Tatopfers, dessen stark verweste Leiche erst im Dezember 2007 entdeckt wurde, gewertet.

Der 1. Strafsenat des Bundes­ge­richtshofs hat das Urteil des Landgerichts Kempten auf die Revision des Angeklagten hin aufgehoben.

Vorgehen der Ermitt­lungs­be­hörden zur Erlangung einer prozess­ver­wertbaren Selbstbelastung des Angeklagten bedenklich

Die Revision des Angeklagten hatte mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Der Inhalt des abgehörten Gesprächs durfte nicht als Beweismittel verwertet werden. Zwar verletzt die Anordnung der Abhörmaßnahme weder die Vorschrift des § 100 f StPO noch stellt sie einen Eingriff in den verfas­sungs­rechtlich geschützten Kernbereich privater Lebens­ge­staltung dar, weil der Besuchsraum in einer Haftanstalt nicht einer Wohnung gleichsteht und weil Gespräche über Straftaten, wie sie der Angeklagte mit seiner Ehefrau im vorliegenden Fall geführt hat, ohnehin nicht zum Kernbereich privater Lebens­ge­staltung gehören. Das Vorgehen der Ermitt­lungs­be­hörden verstößt im vorliegenden Fall aber gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 MRK). Bei dieser Wertung war zum einen die besondere Situation des Angeklagten in der Unter­su­chungshaft zu berücksichtigen, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Kontakt­mög­lich­keiten zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau auf die genehmigten Besuche beschränkt waren und keinerlei Ausweich­mög­lich­keiten für private Gespräche mit höchst­per­sön­lichem Inhalt bestanden. Zum anderen fiel das außer­ge­wöhnliche Vorgehen der Ermitt­lungs­be­hörden ins Gewicht. Da Besuche nach § 119 Abs. 3 StPO, Nr. 27 UVollzO in der Regel erkennbar zu überwachen sind, musste aufgrund der getroffenen Maßnahmen (Zuweisung eines separaten Besuchsraums ohne sichtbare Überwachung durch Vollzugs­be­dienstete) bei dem Angeklagten der Eindruck entstehen, dass er sich mit seiner Ehefrau offen und ohne die Gefahr, überwacht zu werden, über die ihm zur Last gelegten Straftaten unterhalten konnte. Angesichts der besonderen Situation des Unter­su­chungs­haft­vollzuges ist dieses Vorgehen der Ermitt­lungs­be­hörden zur Erlangung einer prozess­ver­wertbaren Selbstbelastung des

Angeklagten schon vor dem Hintergrund des verfas­sungs­rechtlich verankerten Verbots eines Zwangs zur Selbstbelastung ("nemo tenetur se ipsum accusare") bedenklich. Zudem nähert sich die von normalen Abläufen in der Unter­su­chungshaft bewusst abweichende Schaffung einer unüberwacht wirkenden Gesprächs­si­tuation der Grenze zu einer unzulässigen Täuschung, auch wenn letztlich nur eine Fehlvorstellung des Angeklagten gefördert und ausgenutzt wurde. Jedenfalls in der Gesamtschau stellt sich die Abhörmaßnahme als ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens dar, so dass das Urteil keinen Bestand haben konnte und die Sache an das Landgericht Kempten zurück­zu­ver­weisen war.

§ 100 f StPO [Akustische Überwachung außerhalb von Wohnungen]

Auch ohne Wissen der Betroffenen darf außerhalb von Wohnungen das nichtöffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine in § 100 a Abs. 2 bezeichnete, auch im Einzelfall schwerwiegende Straftat begangen oder in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht hat, und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufent­haltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

§ 100 c StPO [Akustische Wohnrau­m­über­wachung]

(4) 1Die Maßnahme darf nur angeordnet werden, soweit auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte, insbesondere zu der Art der zu überwachenden Räumlichkeiten und dem Verhältnis der zu überwachenden Personen zueinander, anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebens­ge­staltung zuzurechnen sind, nicht erfasst werden. 2Gespräche in Betriebs- oder Geschäftsräumen sind in der Regel nicht dem Kernbereich privater Lebens­ge­staltung zuzurechnen. 3Das Gleiche gilt für Gespräche über begangene Straftaten und Äußerungen, mittels derer Straftaten begangen werden.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 90/09 des BGH vom 29.04.2009

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