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- Arbeitsgericht Essen, Urteil22.11.2013, 5 Ca 2480/13
- Keine Wiedereinstellung eines rechtskräftig gekündigten KirchenmusikersLandesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil05.06.2014, 11 Sa 1484/13
Bundesarbeitsgericht Urteil20.10.2015
BAG: Durch Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellte Konventionsverletzung begründet keine Wiedereinstellung eines gekündigten ArbeitnehmersRichterliche Anerkennung eines Wiedereinstellungsanspruchs steht im Widerspruch zur deutschen Rechtsordnung
Hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass ein rechtskräftig klageabweisendes Urteil in einem Kündigungsschutzverfahren, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstößt, so begründet dies für den gekündigten Arbeitnehmer keinen Wiedereinstellungsanspruch. Die richterliche Anerkennung eines solchen Anspruchs steht im Widerspruch zur deutschen Rechtsordnung. Dies hat das Bundesarbeitsgericht entschieden.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Juli 1997 wurde ein Mitarbeiter einer katholischen Kirchengemeinde gekündigt, weil er sich von seiner Ehefrau getrennt hatte. Nachdem seine dagegen erhobene Kündigungsschutzklage in sämtliche Instanzen erfolglos blieb und selbst das Bundesverfassungsgericht seine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung annahm, legte er vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Individualbeschwerde ein. Dieser stellte fest, dass die rechtskräftigen klageabweisenden Urteile im Kündigungsschutzverfahren gegen Art. 8 EMRK verstoßen haben (EGMR, Urt. v. 23.09.2010 - 1620/03 -). Aufgrund dieser Entscheidung beanspruchte der Arbeitnehmer nunmehr im Jahr 2013 die Wiedereinstellung.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht wiesen Klage auf Wiedereinstellung ab
Sowohl das Arbeitsgericht Essen als auch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf wiesen die Klage auf Wiedereinstellung ab. Dagegen richtete sich die Revision des Klägers.
Bundesarbeitsgericht verneint ebenfalls Wiedereinstellungsanspruch
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und wies daher die Revision des Klägers zurück. Ihm habe kein Wiedereinstellungsanspruch zugestanden. Dieser habe sich vor allem nicht aus der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellten Konventionsverletzung ergeben. Denn die richterliche Anerkennung eines solchen Anspruchs wäre mit der deutschen Rechtsordnung unvereinbar.
Eingriff in Vertragsabschlussfreiheit durch Wiedereinstellungsanspruch
Ein Wiedereinstellungsanspruch würde nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts einen Eingriff in die Vertragsabschlussfreiheit als Teil der verfassungsrechtlich geschützten Privatautonomie darstellen. Grundsätzlich dürfe jeder Arbeitgeber frei entscheiden, ob er dem ausgeschiedenen Mitarbeiter ein neues Angebot zum Abschluss eines Arbeitsvertrages mache. Dies werde deutlich durch § 15 Abs. 6 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Danach werde der Arbeitgeber selbst bei massivsten Diskriminierungen nicht verpflichtet, ein Arbeitsverhältnis einzugehen. Vielmehr sei der Anspruch des benachteiligten Arbeitnehmers auf eine Entschädigung beschränkt.
Beeinträchtigung der Rechtskraft durch Wiedereinstellungsanspruch
Darüber hinaus würde ein Wiedereinstellungsanspruch die Rechtskraft als tragenden Grundsatz des Zivilverfahrensrechts beeinträchtigen, so das Bundesarbeitsgericht. Ein solcher Anspruch würde die verfassungs- sowie konventionsrechtlich geschützte Rechtskraft als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips beseitigen.
Keine richterliche Schaffung eines Wiedereinstellungsanspruchs aufgrund Gewaltenteilung sowie Gesetzesbindung
Ferner stehe nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts der richterlichen Schaffung eines Wiedereinstellungsanspruchs zur Wiedergutmachung einer Konventionsverletzung die Grundsätze der Gewaltenteilung und der Gesetzesbindung entgegen. Ohne einen gesetzlichen Anknüpfungspunkt dürfe ein Richter einen solchen Anspruch nicht schaffen. Andernfalls würde ein unzulässiger Eingriff in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers vorliegen. Ein Richter dürfe nicht seine eigene Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers stellen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 20.10.2016
Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (vt/rb)
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