21.11.2024
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Dokument-Nr. 23312

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Urteil20.10.2015Bundesarbeitsgericht9 AZR 743/14
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • MDR 2016, 217Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2016, Seite: 217
  • NJW 2016, 1034Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2016, Seite: 1034
  • NJW-Spezial 2016, 338Zeitschrift: NJW-Spezial, Jahrgang: 2016, Seite: 338
  • NZA 2016, 299Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), Jahrgang: 2016, Seite: 299
  • ZIP 2016, 236Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZIP), Jahrgang: 2016, Seite: 236
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Bundesarbeitsgericht Urteil20.10.2015

BAG: Durch Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellte Konventions­verletzung begründet keine Wieder­ein­stellung eines gekündigten ArbeitnehmersRichterliche Anerkennung eines Wieder­einstellungs­anspruchs steht im Widerspruch zur deutschen Rechtsordnung

Hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass ein rechtskräftig klage­ab­wei­sendes Urteil in einem Kündigungs­schutz­verfahren, gegen die Europäische Menschen­rechts­konvention (EMRK) verstößt, so begründet dies für den gekündigten Arbeitnehmer keinen Wieder­einstellungs­anspruch. Die richterliche Anerkennung eines solchen Anspruchs steht im Widerspruch zur deutschen Rechtsordnung. Dies hat das Bundes­arbeits­gericht entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Juli 1997 wurde ein Mitarbeiter einer katholischen Kirchengemeinde gekündigt, weil er sich von seiner Ehefrau getrennt hatte. Nachdem seine dagegen erhobene Kündi­gungs­schutzklage in sämtliche Instanzen erfolglos blieb und selbst das Bundes­ver­fas­sungs­gericht seine Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung annahm, legte er vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Indivi­du­al­be­schwerde ein. Dieser stellte fest, dass die rechtskräftigen klage­ab­wei­senden Urteile im Kündi­gungs­schutz­ver­fahren gegen Art. 8 EMRK verstoßen haben (EGMR, Urt. v. 23.09.2010 - 1620/03 -). Aufgrund dieser Entscheidung beanspruchte der Arbeitnehmer nunmehr im Jahr 2013 die Wiedereinstellung.

Arbeitsgericht und Landes­a­r­beits­gericht wiesen Klage auf Wieder­ein­stellung ab

Sowohl das Arbeitsgericht Essen als auch das Landes­a­r­beits­gericht Düsseldorf wiesen die Klage auf Wieder­ein­stellung ab. Dagegen richtete sich die Revision des Klägers.

Bundes­a­r­beits­gericht verneint ebenfalls Wieder­ein­stel­lungs­an­spruch

Das Bundes­a­r­beits­gericht bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und wies daher die Revision des Klägers zurück. Ihm habe kein Wieder­ein­stel­lungs­an­spruch zugestanden. Dieser habe sich vor allem nicht aus der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellten Konven­ti­o­ns­ver­letzung ergeben. Denn die richterliche Anerkennung eines solchen Anspruchs wäre mit der deutschen Rechtsordnung unvereinbar.

Eingriff in Vertrags­ab­schluss­freiheit durch Wieder­ein­stel­lungs­an­spruch

Ein Wieder­ein­stel­lungs­an­spruch würde nach Ansicht des Bundes­a­r­beits­ge­richts einen Eingriff in die Vertrags­ab­schluss­freiheit als Teil der verfas­sungs­rechtlich geschützten Privatautonomie darstellen. Grundsätzlich dürfe jeder Arbeitgeber frei entscheiden, ob er dem ausgeschiedenen Mitarbeiter ein neues Angebot zum Abschluss eines Arbeits­ver­trages mache. Dies werde deutlich durch § 15 Abs. 6 des Allgemeinen Gleich­be­hand­lungs­ge­setzes. Danach werde der Arbeitgeber selbst bei massivsten Diskri­mi­nie­rungen nicht verpflichtet, ein Arbeits­ver­hältnis einzugehen. Vielmehr sei der Anspruch des benachteiligten Arbeitnehmers auf eine Entschädigung beschränkt.

Beein­träch­tigung der Rechtskraft durch Wieder­ein­stel­lungs­an­spruch

Darüber hinaus würde ein Wieder­ein­stel­lungs­an­spruch die Rechtskraft als tragenden Grundsatz des Zivil­ver­fah­rens­rechts beeinträchtigen, so das Bundes­a­r­beits­gericht. Ein solcher Anspruch würde die verfassungs- sowie konven­ti­o­ns­rechtlich geschützte Rechtskraft als Ausfluss des Rechts­s­taats­prinzips beseitigen.

Keine richterliche Schaffung eines Wieder­ein­stel­lungs­an­spruchs aufgrund Gewaltenteilung sowie Gesetzesbindung

Ferner stehe nach Auffassung des Bundes­a­r­beits­ge­richts der richterlichen Schaffung eines Wieder­ein­stel­lungs­an­spruchs zur Wieder­gut­machung einer Konven­ti­o­ns­ver­letzung die Grundsätze der Gewaltenteilung und der Gesetzesbindung entgegen. Ohne einen gesetzlichen Anknüp­fungspunkt dürfe ein Richter einen solchen Anspruch nicht schaffen. Andernfalls würde ein unzulässiger Eingriff in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers vorliegen. Ein Richter dürfe nicht seine eigene Gerech­tig­keits­vor­stellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers stellen.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (vt/rb)

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