23.11.2024
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Dokument-Nr. 29543

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Bundesarbeitsgericht Urteil01.12.2020

BAG: Crowdworker kann Arbeitnehmer seinEntscheidung des BAG zur Arbeit­nehmer­eigenschaft

Das BAG hat entschieden, dass die tatsächliche Durchführung von Klein­st­a­uf­trägen ("Mikrojobs") durch Nutzer einer Online- Plattform ("Crowdworker") auf der Grundlage einer mit deren Betreiber ("Croudsourcer") getroffenen Rahmen­ver­ein­barung ergeben kann, dass die rechtliche Beziehung als Arbeits­ver­hältnis zu qualifizieren ist.

Die Beklagte kontrolliert im Auftrag ihrer Kunden die Präsentation von Markenprodukten im Einzelhandel und an Tankstellen. Die Kontroll­tä­tig­keiten selbst lässt sie durch Crowdworker ausführen. Deren Aufgabe besteht insbesondere darin, Fotos von der Waren­prä­sen­tation anzufertigen und Fragen zur Werbung von Produkten zu beantworten. Auf der Grundlage einer „Basis-Vereinbarung“ und allgemeiner Geschäfts­be­din­gungen bietet die Beklagte die „Mikrojobs“ über eine Online-Plattform an. Über einen persönlich eingerichteten Account kann jeder Nutzer der Online-Plattform auf bestimmte Verkaufsstellen bezogene Aufträge annehmen, ohne dazu vertraglich verpflichtet zu sein. Übernimmt der Crowdworker einen Auftrag, muss er diesen regelmäßig binnen zwei Stunden nach detaillierten Vorgaben des Crowdsourcers erledigen. Für erledigte Aufträge werden ihm auf seinem Nutzerkonto Erfah­rungs­punkte gutgeschrieben. Das System erhöht mit der Anzahl erledigter Aufträge das Level und gestattet die gleichzeitige Annahme mehrerer Aufträge.

Vorinstanzen verneinen Vorliegen eines Arbeits­ver­hält­nisses

Der Kläger führte für die Beklagte zuletzt in einem Zeitraum von elf Monaten 2978 Aufträge aus, bevor sie im Februar 2018 mitteilte, ihm zur Vermeidung künftiger Unstimmigkeiten keine weiteren Aufträge mehr anzubieten. Mit seiner Klage hat er zunächst beantragt festzustellen, dass zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht. Im Verlauf des Rechtsstreits kündigte die Beklagte am 24. Juni 2019 ein etwaig bestehendes Arbeits­ver­hältnis vorsorglich. Daraufhin hat der Kläger seine Klage, mit der er außerdem u.a. Vergü­tungs­ansprüche verfolgt, um einen Kündi­gungs­schutz­antrag erweitert. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Sie haben das Vorliegen eines Arbeits­ver­hält­nisses der Parteien verneint.

BAG: Crowdworker war Arbeitnehmer

Die Revision des Klägers hatte teilweise Erfolg. Das Bundes­a­r­beits­ge­richts hat erkannt, dass der Kläger im Zeitpunkt der vorsorglichen Kündigung vom 24. Juni 2019 in einem Arbeits­ver­hältnis bei der Beklagten stand. Die Arbeit­neh­me­rei­gen­schaft hängt nach § 611 a BGB davon ab, dass der Beschäftigte weisungs­ge­bundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leistet. Zeigt die tatsächliche Durchführung eines Vertrags­ver­hält­nisses, dass es sich hierbei um ein Arbeits­ver­hältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an. Die dazu vom Gesetz verlangte Gesamtwürdigung aller Umstände kann ergeben, dass Crowdworker als Arbeitnehmer anzusehen sind. Für ein Arbeits­ver­hältnis spricht es, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Online-Plattform so steuert, dass der Auftragnehmer infolge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann.

Kläger war weisungs­ge­bunden und fremdbestimmt

So liegt der entschiedene Fall. Der Kläger leistete in arbeit­neh­mer­ty­pischer Weise weisungs­ge­bundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit. Zwar war er vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten der Beklagten verpflichtet. Die Organi­sa­ti­o­nss­truktur der von der Beklagten betriebenen Online-Plattform war aber darauf ausgerichtet, dass über einen Account angemeldete und eingearbeitete Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen, um diese persönlich zu erledigen. Erst ein mit der Anzahl durchgeführter Aufträge erhöhtes Level im Bewer­tungs­system ermöglicht es den Nutzern der Online-Plattform, gleichzeitig mehrere Aufträge anzunehmen, um diese auf einer Route zu erledigen und damit faktisch einen höheren Stundenlohn zu erzielen. Durch dieses Anreizsystem wurde der Kläger dazu veranlasst, in dem Bezirk seines gewöhnlichen Aufenthaltsorts kontinuierlich Kontroll­tä­tig­keiten zu erledigen.

Vergü­tungs­ansprüche noch vom LAG zu prüfen

Das Bundes­a­r­beits­ge­richts hat die Revision des Klägers gleichwohl überwiegend zurückgewiesen, da die vorsorglich erklärte Kündigung das Arbeits­ver­hältnis der Parteien wirksam beendet hat. Hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Vergü­tungs­ansprüche wurde der Rechtsstreit an das Landes­a­r­beits­gericht zurückverwiesen. Der Kläger kann nicht ohne weiteres Vergü­tungs­zahlung nach Maßgabe seiner bisher als vermeintlich freier Mitarbeiter bezogenen Honorare verlangen. Stellt sich ein vermeintlich freies Dienst­ver­hältnis im Nachhinein als Arbeits­ver­hältnis dar, kann in der Regel nicht davon ausgegangen werden, die für den freien Mitarbeiter vereinbarte Vergütung sei der Höhe nach auch für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer verabredet. Geschuldet ist die übliche Vergütung iSv. § 612 Abs. 2 BGB, deren Höhe das Landes­a­r­beits­gericht aufzuklären hat.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (pm/ab)

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