18.10.2024
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Bundesarbeitsgericht Urteil23.01.2020

Unterlassen einer Einladung zum Vor­stellungs­gespräch ist lediglich Indiz für Benachteiligung schwer­be­hin­derter BewerberArbeitgeber kann Vermutung der unterlassenen Einladung wegen der Schwer­be­hin­derung widerlegen

Geht dem öffentlichen Arbeitgeber die Bewerbung einer fachlich nicht offensichtlich ungeeigneten schwer­be­hin­derten oder dieser gleich­ge­stellten Person zu, muss er diese nach § 82 Satz 2 SGB IX aF zu einem Vor­stellungs­gespräch einladen. Unterlässt er dies, ist er dem/der erfolglosen Bewerber/in allerdings nicht bereits aus diesem Grund zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verpflichtet. Das Unterlassen einer Einladung zu einem Vor­stellungs­gespräch ist lediglich ein Indiz iSv. § 22 AGG, das die Vermutung begründet, dass der/die Bewerber/in wegen seiner/ihrer Schwer­be­hin­derung bzw. Gleichstellung nicht eingestellt wurde. Diese Vermutung kann der Arbeitgeber nach § 22 AGG widerlegen. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­arbeits­gerichts hervor.

Der Kläger des zugrunde liegenden Falls bewarb sich Anfang August 2015 mit einer E-Mail auf eine für den Oberlan­des­ge­richts­bezirk Köln ausgeschriebene Stelle als Quereinsteiger für den Gerichts­voll­zie­her­dienst. Die Bewerbung war mit dem deutlichen Hinweis auf seinen Grad der Behinderung von 30 und seine Gleichstellung mit einem schwer­be­hin­derten Menschen versehen. Der Kläger wurde, obwohl er fachlich für die Stelle nicht offensichtlich ungeeignet war, nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.

Beklagte verweist auf organi­sa­to­rische Fehler bei Einladungen zu Vorstel­lungs­ge­sprächen

Der Kläger verlangte mit seiner Klage vom beklagten Land eine Entschädigung in Höhe von 7.434,39 Euro. Das beklagte Land machte demgegenüber geltend, dass die Bewerbung des Klägers aufgrund eines schnell überlaufenden Outlook-Postfachs und wegen ungenauer Absprachen unter den befassten Mitarbeitern nicht in den Geschäftsgang gelangt sei. Schon aus diesem Grund sei der Kläger nicht wegen der (Schwer)Behinderung bzw. Gleichstellung benachteiligt worden.

BAG bejaht Anspruch auf Entschädigung mangels ausreichender Widerlegung der Vermutung einer Benachteiligung durch das beklagte Land

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das Landes­a­r­beits­gericht gab ihr teilweise statt und sprach dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 3.717,30 Euro zu. Die Revision des beklagten Landes blieb im Ergebnis erfolglos. Der Kläger hat Anspruch auf eine Entschädigung aus § 15 Abs. 2 AGG in der zugesprochenen Höhe. Das beklagte Land hätte den Kläger, dessen Bewerbung ihm zugegangen war, nach § 82 Satz 2 SGB IX aF zu einem Vorstel­lungs­ge­spräch einladen müssen. Die Nichteinladung zum Vorstel­lungs­ge­spräch begründete die Vermutung, dass der Kläger wegen seiner Gleichstellung mit einer schwer­be­hin­derten Person benachteiligt wurde. Das beklagte Land hat diese Vermutung nicht widerlegt. Insoweit konnte das beklagte Land sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Bewerbung sei nicht in den Geschäftsgang gelangt. Dass ihm trotz Zugangs der Bewerbung ausnahmsweise eine tatsächliche Kenntnisnahme nicht möglich war, hat das beklagte Land nicht vorgetragen. Auch die Höhe der Entschädigung war im Ergebnis nicht zu beanstanden.

*§ 82 SGB IX aF Besondere Pflichten der öffentlichen Arbeitgeber

Erläuterungen
1 Die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber melden den Agenturen für Arbeit frühzeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze (§ 73). 2 Haben schwer­be­hinderte Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder einem von dieser beauftragten Integra­ti­o­ns­fach­dienst vorgeschlagen worden, werden sie zu einem Vorstel­lungs­ge­spräch eingeladen. 3 Eine Einladung ist entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. [...]

**§ 22 AGG Beweislast

Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Quelle: Bundesarbeitsgericht/ra-online (pm/kg)

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