12.12.2024
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Dokument-Nr. 34620

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Urteil05.12.2024Bundesarbeitsgericht8 AZR 370/20
Vorinstanz:
  • Landesarbeitsgericht Frankfurt am Main, Urteil19.12.2019, 5 Sa 436/19
ergänzende Informationen

Bundesarbeitsgericht Urteil05.12.2024

Diskriminierung von Teilzeit­be­schäf­tigten bei Überstun­den­zu­schlägenTeilzeit­be­schäftigte bekommen Zuschläge ab der ersten Überstunde

Eine tarif­ver­tragliche Regelung, die unabhängig von der individuellen Arbeitszeit für Überstun­den­zu­schläge das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeit­be­schäf­tigten voraussetzt, behandelt teilzeit­be­schäftigte Arbeitnehmer wegen der Teilzeit schlechter als vergleichbare Vollzeit­be­schäftigte. Sie verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung Teilzeit­be­schäf­tigter (§ 4 Abs. 1 TzBfG), wenn die in ihr liegende Ungleich­be­handlung nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Fehlen solche sachlichen Gründe, liegt regelmäßig zugleich eine gegen Vorschriften des Allgemeinen Gleich­be­hand­lungs­ge­setzes (§ 7 Abs. 1 AGG) verstoßende mittelbare Benachteiligung wegen des (weiblichen) Geschlechts vor, wenn innerhalb der betroffenen Gruppe der Teilzeit­be­schäf­tigten erheblich mehr Frauen als Männer vertreten sind. Dies hat das Bundes­a­r­beits­gericht entschieden.

Der Beklagte ist ein ambulanter Dialyseanbieter mit mehr als 5.000 Arbeitnehmern. Die Klägerin ist bei ihm als Pflegekraft in Teilzeit im Umfang von 40 vH eines Vollzeit­be­schäf­tigten tätig. Auf das Arbeits­ver­hältnis findet aufgrund arbeits­ver­trag­licher Bezugnahme der zwischen dem Beklagten und der Gewerkschaft ver.di geschlossene Mantel­ta­rif­vertrag (MTV) Anwendung. Nach § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV sind mit einem Zuschlag von 30 vH zuschlags­pflichtig Überstunden, die über die monatliche Arbeitszeit eines vollzeit­be­schäf­tigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden und im jeweiligen Kalendermonat nicht durch Freizeit­ge­währung ausgeglichen werden können. Alternativ zu einer Auszahlung des Zuschlags ist eine entsprechende Zeitgutschrift im Arbeits­zeitkonto vorgesehen. Das Arbeits­zeitkonto der Klägerin wies Ende März 2018 ein Arbeits­zeit­guthaben von 129 Stunden und 24 Minuten aus. Der Beklagte hat der Klägerin für diese Zeiten in Anwendung von § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV weder Überstundenzuschläge gezahlt, noch im Arbeits­zeitkonto eine Zeitgutschrift vorgenommen.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin verlangt, ihrem Arbeits­zeitkonto als Überstun­den­zu­schläge weitere 38 Stunden und 39 Minuten gutzuschreiben und die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe eines Viertel­jah­res­ver­dienstes begehrt. Die Anwendung von § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV benachteilige sie wegen ihrer Teilzeit unzulässig gegenüber vergleich- baren Vollzeit­be­schäf­tigten. Zugleich werde sie wegen ihres Geschlechts mittelbar benachteiligt, denn der Beklagte beschäftige überwiegend Frauen in Teilzeit.

Das Arbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Das Landes­a­r­beits­gericht hat der Klägerin die verlangte Zeitgutschrift zuerkannt und hinsichtlich der begehrten Entschädigung die Klageabweisung bestätigt. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2021 (- 8 AZR 370/20 (A) - BAGE 176, 117) hatte der Senat das Revisi­ons­ver­fahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um die Beantwortung von Rechtsfragen betreffend die Auslegung des Unionsrechts ersucht. Dies hat der EuGH mit Urteil vom 29. Juli 2024 (- C-184/22 und C-185/22 [KfH Kuratorium für Dialyse und Nieren­trans­plan­tation eV]) getan.

Bundes­a­r­beits­gericht beendet Nachteile bei Teilzeit­be­schäf­tigung

Die Revision der Klägerin hatte vor dem Achten Senat des Bundes­a­r­beits­ge­richts teilweise Erfolg. Der Senat hat der Klägerin die verlangte Zeitgutschrift - in Übereinstimmung mit dem Landes­a­r­beits­gericht - zugesprochen und ihr darüber hinaus eine Entschädigung iHv. 250,00 Euro zuerkannt. Auf der Grundlage der Vorgaben des EuGH hatte der Senat davon auszugehen, dass § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV insoweit wegen Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeit­be­schäf­tigten unwirksam ist, als er bei Teilzeitbeschäftigung keine der Teilzeitquote entsprechende anteilige Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Überstun­den­zu­schlags vorsieht.

Verstoß gegen das Diskri­mi­nie­rungs­verbot

Einen sachlichen Grund für diese Ungleich­be­handlung konnte der Senat nicht erkennen. Die sich aus dem Verstoß gegen § 4 Abs. 1 TzBfG ergebende Unwirksamkeit der tarif­ver­trag­lichen Überstun­den­zu­schlags­re­gelung führt zu einem Anspruch der Klägerin auf die eingeklagte weitere Zeitgutschrift. Daneben war ihr eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zuzuerkennen. Durch die Anwendung der tarif­ver­trag­lichen Regelung hat die Klägerin auch eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts erfahren. In der Gruppe der beim Beklagten in Teilzeit Beschäftigten, die dem persönlichen Anwen­dungs­bereich des MTV unterfallen, sind zu mehr als 90 vH Frauen vertreten. Als Entschädigung war ein Betrag iHv. 250,00 Euro festzusetzen. Dieser ist erforderlich, aber auch ausreichend, um einerseits den der Klägerin durch die mittelbare Geschlechts­be­nach­tei­ligung entstandenen immateriellen Schaden auszugleichen und andererseits gegenüber dem Beklagten die gebotene abschreckende Wirkung zu entfalten.

Quelle: Hessisches Landesarbeitsgericht, ra-online (pm/pt)

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