18.10.2024
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Sie sehen ein Justizia-Figur und im Hintergrund einen Mann am Telefon.

Dokument-Nr. 30045

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Bundesarbeitsgericht Urteil25.03.2021

Vergütungs­rechtliche Einordnung von ärztlichem Hinter­grund­dienst als Rufbereitschaft oder Bereit­schafts­dienstBundes­arbeits­gericht gibt Revision eines Klinikums statt

Ob ärztlicher Hinter­grund­dienst nach § 9 des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an

Univer­si­täts­kliniken (TV-Ärzte/TdL) zu vergütende Rufbereitschaft oder Bereit­schafts­dienst ist, hängt davon ab, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch eine Vorgabe insbesondere hinsichtlich der Zeit zwischen Abruf und Aufnahme der Arbeit zwingt, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten und damit eine faktische Aufenthalts­beschränkung vorgibt. Das gilt auch, wenn der ärztliche Hinter­grund­dienst mit einer Telefon­be­reit­schaft verbunden ist.

Der als Oberarzt beschäftigte Kläger leistet im Rahmen seines Arbeits­ver­hält­nisses, auf das der TV-Ärzte/TdL Anwendung findet, außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit sog. Hinter­grund­dienste. Während dieser Zeit ist er verpflichtet, telefonisch erreichbar zu sein. Weitere ausdrückliche Vorgaben hinsichtlich des Aufent­haltsortes oder der Zeitspanne, innerhalb derer er die Arbeit im Klinikum aufzunehmen hat, macht die Beklagte nicht. Im Rahmen des Hinter­grund­dienstes kann es sowohl zu Einsätzen des Klägers im Klinikum der Beklagten als auch zu rein telefonischen Inanspruch­nahmen kommen, wobei letztere überwiegen. Dabei hat der Kläger auch mögliche Organ­trans­plan­ta­ti­o­ns­an­gebote der Stiftung Eurotransplant zu bearbeiten. Hierzu hat er nach dem telefonischen Angebot aufgrund einer Vorgabe der Stiftung Eurotransplant innerhalb von 30 Minuten die mitgeteilten Daten bezüglich Spender, Organ, Patient und Dialysearzt zu prüfen, den in Frage kommenden Patienten sowie den zuständigen Dialysearzt telefonisch zu kontaktieren sowie gegenüber Eurotransplant zu erklären, ob das Organ­spen­de­angebot angenommen wird. Die dafür erforderlichen Informationen entnimmt der Kläger einem mitzuführenden Aktenordner.

Streit um Vergütung für Hinter­grund­dienste

Die Beklagte vergütet die Hinter­grund­dienste gemäß § 9 Abs. 1 TV-Ärzte/TdL als Rufbereitschaft iSd. § 7 Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/TdL. Der Kläger meint, die Hinter­grund­dienste seien aufgrund der mit ihnen verbundenen Beschränkungen sowie der Anzahl und des zeitlichen Umfangs der tatsächlichen Inanspruch­nahmen Bereitschaftsdienst und als solcher zu vergüten. Das Landes­a­r­beits­gericht hat dem Kläger für den Zeitraum August 2017 bis Juni 2018 eine Vergü­tungs­dif­ferenz von knapp 40.000 Euro brutto zugesprochen.

Einordnung der Tätigkeit als Rufbereitschaft

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Sechsten Senat des Bundes­a­r­beits­ge­richts Erfolg. Bei dem vom Kläger geleisteten Hinter­grund­dienst handelt es sich um Rufbereitschaft. Ob ein vom Arbeitgeber im Anwen­dungs­bereich des TV-Ärzte/TdL angeordneter (Hintergrund-)Dienst im vergü­tungs­recht­lichen Sinn Bereit­schafts­dienst oder Rufbereitschaft ist, richtet sich ausschließlich nach nationalem Recht und nicht nach der Arbeits­zei­trichtlinie 2003/88/EG. Rufbereitschaft und Bereit­schafts­dienst unterscheiden sich nach den tariflichen Definitionen in § 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/TdL dadurch, dass der Arbeitnehmer sich nach den Vorgaben des Arbeitgebers nicht an einem bestimmten Ort aufhalten muss, sondern seinen Aufenthaltsort frei wählen kann.

Umfang angeordneten Aufent­halts­be­schränkung entscheidend

Maßgeblich ist also der Umfang der vom Arbeitgeber angeordneten Aufent­halts­be­schränkung. Dabei ist der Arbeitnehmer allerdings auch bei der Rufbereitschaft in der Wahl seines Aufent­haltsortes nicht völlig frei. Er darf sich entsprechend dem Zweck der Rufbereitschaft nur so weit von dem Arbeitsort entfernt aufhalten, dass er die Arbeit dort alsbald aufnehmen kann. Das ist bei dem von der Beklagten angeordneten Hinter­grund­dienst noch der Fall. Mit der Verpflichtung, einen dienstlichen Telefonanruf anzunehmen und damit die Arbeit unverzüglich aufzunehmen, ist keine räumliche Aufent­halts­be­schränkung verbunden. Zeitvorgaben für die Aufnahme der Arbeit im Übrigen bestehen nicht. Dass unter Umständen nach einem Anruf zeitnah die Arbeit in der Klinik fortgesetzt werden muss, steht im Einklang mit dem Wesen der Rufbereitschaft.

Arbeit darf nur in Ausnahmefällen anfallen

Allerdings untersagt § 7 Abs. 6 Satz 2 TV-Ärzte/TdL dem Arbeitgeber die Anordnung von Rufbereitschaft, wenn erfahrungsgemäß nicht lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. Das trifft vorliegend zu. Der Kläger wird in etwa der Hälfte der Hinter­grund­dienste zur Arbeit herangezogen und leistet zu 4 % aller Rufbe­reit­schafts­s­tunden tatsächliche Arbeit. Dabei kommt es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht nur auf die Arbeitseinsätze an, die in der Klinik fortzusetzen sind, was in mehr als einem Viertel der Rufbe­reit­schaften vorkommt.

Keine höhere Vergütung der Rufbereitschaft trotz geleisteten Hinter­grund­dienste

In der Gesamtschau dieser Umstände hätte sie die vom Kläger geleisteten Hinter­grund­dienste daher nicht anordnen dürfen. Gleichwohl führt dies nicht zu der vom Kläger begehrten höheren Vergütung. Ein bestimmter Arbeits­leis­tungs­anteil ist nach dem Tarifvertrag weder dem Bereit­schafts­dienst noch der Rufbereitschaft begriff­s­im­manent. Die Tarif­ver­trags­parteien haben damit bewusst für den Fall einer tarifwidrigen Anordnung von Rufbereitschaft keinen höheren Vergü­tungs­an­spruch vorgesehen. Diesen Willen hat der Senat respektiert.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (pm/aw)

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