14.12.2024
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Dokument-Nr. 34103

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Urteil19.06.2024Bundesarbeitsgericht5 AZR 192/23 und 5 AZR 167/23
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Bundesarbeitsgericht Urteil19.06.2024

Kein Anspruch auf Bezahlung und Urlaub bei Verstoß gegen die ImpfpflichtImpf-Verweigerung begründet weder Entgelt- noch Urlaubsanspruch

Betreiber von Pflege­ein­rich­tungen iSd. vormaligen § 20 a Abs. 1 Infektions­schutz­gesetz (IfSG aF) durften in der Zeit vom 16. März 2022 bis zum 31. Dezember 2022 nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpfte Mitarbeiter ohne Fortzahlung der Vergütung von der Arbeit freistellen. Zur Abmahnung dieser Arbeitnehmer waren die Arbeitgeber dagegen nicht berechtigt.

Der Beklagte betreibt ein Altenpflegeheim. Die Klägerin ist bei ihm seit 2007 als Altenpflegerin beschäftigt. Sie ließ sich nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 impfen und legte dem Beklagten entgegen der gesetzlichen Vorgabe weder einen Impfnachweis noch einen Genese­nen­nachweis oder ein ärztliches Attest, dass sie nicht geimpft werden könne, vor. Der Beklagte erteilte ihr deshalb eine Abmahnung und stellte sie ab dem 16. März 2022 bis auf Widerruf ohne Fortzahlung der Vergütung von der Arbeit frei. Vom 21. bis zum 31. März 2022 war die Klägerin außerdem infolge einer Corona-Infektion arbeitsunfähig krank. Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Entfernung der ihr erteilten Abmahnung aus der Personalakte sowie restliche Vergütung für März 2022 verlangt. Sie hat geltend gemacht, es habe keine arbeits­ver­tragliche Pflicht bestanden, dem Arbeitgeber den Impf- oder Genesenenstatus nachzuweisen. Der Beklagte sei zu einer unbezahlten Freistellung nicht berechtigt gewesen, weil sie als sog. Bestands­mi­t­a­r­beiterin (das sind vor dem 16. März 2022 eingestellte Arbeitnehmer) bis zu einer entsprechenden Untersagung durch die zuständige Behörde auch ohne Impfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 hätte weiter arbeiten dürfen. Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und im Wesentlichen gemeint, er sei aufgrund der infek­ti­o­ns­schutz­recht­lichen Vorgaben berechtigt gewesen, in seiner Pflege­ein­richtung nur noch geimpftes oder genesenes Personal zu beschäftigen. Die Vorinstanzen haben der Klägerin restliche Vergütung für März 2022 zugesprochen. Die Klage auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte hat das Arbeitsgericht abgewiesen, das Landes­a­r­beits­gericht hat ihr stattgegeben.

Kein Lohn ohne Coronaimpfung

Auf die Revision des Beklagten hat das BAG die Klage auf Vergütung abgewiesen, hinsichtlich der Abmahnung jedoch die Entscheidung des LG im Ergebnis bestätigt. Die Klägerin hat für die Zeit ihrer Freistellung im März 2022 keinen Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs, weil sie entgegen der Anordnung des Beklagten diesem keinen Immuni­täts­nachweis vorgelegt hat und damit außerstande war, die geschuldete Arbeitsleistung zu bewirken. Nach § 20 a IfSG aF, der der verfas­sungs­recht­lichen Überprüfung durch das BVerfG standhielt war nicht nur das Gesundheitsamt berechtigt, einer Person, die den Immuni­täts­nachweis nicht vorgelegt hatte, zu untersagen, die jeweilige Einrichtung zu betreten und dort tätig zu werden. Der aus der Geset­zes­be­gründung herzuleitende Zweck der Regelung, insbesondere vulnerable Bewohner von Pflege­ein­rich­tungen und Patienten von Krankenhäusern vor einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu schützen und zugleich die Funkti­o­ns­fä­higkeit der Einrichtungen aufrecht­zu­er­halten, eröffnete ebenso den Arbeitgebern als Betreibern dieser Einrichtungen die rechtliche Möglichkeit, im Wege des Weisungsrechts die Vorgaben des IfSG umzusetzen und die Vorlage eines Immuni­täts­nach­weises für den begrenzten Zeitraum vom 16. März bis zum 31. Dezember 2022 zur Tätig­keits­vor­aus­setzung zu machen. Da die Gesund­heit­sämter in jener Zeit völlig überlastet waren, war anders eine sachgerechte und zeitnahe Umsetzung dieser Schutzmaßnahme, die die Interessen der besonders gefährdeten Personengruppen und die Funkti­o­ns­fä­higkeit der einzelnen Einrichtung berücksichtigte, nicht möglich. Soweit die Klägerin im Streitzeitraum auch arbeitsunfähig krank war, scheitert ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall am Grundsatz der sog. Monokausalität, denn die Erkrankung der Klägerin war wegen des zugleich fehlenden Immuni­täts­nach­weises nicht die alleinige Ursache für den Verdien­st­ausfall.

Unterlassene Impfung stellt keine abmahnfähige Pflicht­ver­letzung dar

Erfolglos blieb dagegen die Revision des Beklagten hinsichtlich seiner Verurteilung, die der Klägerin erteilte Abmahnung aus deren Personalakte zu entfernen. Eine Abmahnung soll den Arbeitnehmer grundsätzlich auf eine Verletzung arbeits­ver­trag­licher Pflichten aufmerksam machen, ihn für die Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten auffordern und ihm mögliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflicht­ver­letzung aufzeigen. In der unterlassenen Vorlage eines Immuni­täts­nach­weises liegt danach keine abmahnfähige Pflicht­ver­letzung. Das in Art. 2 Abs. 1 GG wurzelnde Selbst­be­stim­mungsrecht der im Pflegebereich Tätigen, in freier Entscheidung eine Impfung gegen das Coronavirus abzulehnen, sowie deren Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit hatten Arbeitgeber als höchst­per­sönliche Entscheidung der Arbeitnehmer zu respektieren. Wegen des vom Beklagten zu achtenden besonderen Charakters dieser grundrechtlich geschützten Entscheidung der Klägerin erweist sich die Abmahnung als ungeeignetes Mittel zur Verhal­tens­steuerung. Aufgrund der mit ihr verbundenen Gefährdung des Bestands des Arbeits­ver­hält­nisses ist sie - anders als der vorübergehende Verlust der Entgel­t­ansprüche für die befristete Dauer der Freistellung - eine unangemessene Druckausübung und damit unver­hält­nismäßig.

Nach einem weiteren Urteil zu einer Alltags­be­gleiterin eines Senio­ren­wohnheims in Nordrhein-Westfalen führt eine solche Freistellung auch zu einem geringeren Urlaubsanspruch. Die Arbeitgeber dürften die arbeitsfreie Zeit anteilig bei der Berechnung des Jahresurlaubs berücksichtigen, urteilte das BAG.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (pm/ab)

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