21.11.2024
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Dokument-Nr. 32944

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Bundesarbeitsgericht Urteil01.05.2023

BAG zur Gleichstellung von Zeita­r­beit­nehmern und Stamm­be­schäf­tigtenGeringerer Lohn für Leiharbeiter muss ausgeglichen werden

Von dem Grundsatz, dass Leiha­r­beit­nehmer für die Dauer einer Überlassung Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt wie vergleichbare Stamm­a­r­beit­nehmer des Entleihers haben („equal pay“), kann nach § 8 Abs. 2 AÜG* ein Tarifvertrag „nach unten“ abweichen mit der Folge, dass der Verleiher dem Leiha­r­beit­nehmer nur die niedrigere tarifliche Vergütung zahlen muss. Ein entsprechendes Tarifwerk hat der Inter­es­sen­verband Deutscher Zeitarbeits­unternehmen (iGZ) mit der Gewerkschaft ver.di geschlossen. Dieses genügt den unions­recht­lichen Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG** (Leiharbeits-RL).

Die Klägerin war aufgrund eines nach § 14 Abs. 2 TzBfG befristeten Arbeits­ver­hält­nisses bei der Beklagten, die gewerblich Arbeit­neh­mer­über­lassung betreibt, als Leiha­r­beit­nehmerin in Teilzeit beschäftigt. Sie war im Streitzeitraum Januar bis April 2017 hauptsächlich einem Unternehmen des Einzelhandels als Kommis­si­o­niererin überlassen und verdiente zuletzt 9,23 Euro brutto/Stunde. Sie hat behauptet, vergleichbare Stamm­a­r­beit­nehmer erhielten einen Stundenlohn von 13,64 Euro brutto und mit ihrer Klage unter Berufung auf den Gleich­stel­lungs­grundsatz des § 8 Abs. 1 AÜG bzw. § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG aF für den Zeitraum Januar bis April 2017 Diffe­renz­ver­gütung iHv. 1.296,72 Euro brutto verlangt. Sie hat gemeint, das auf ihr Leiha­r­beits­ver­hältnis kraft beiderseitiger Tarif­ge­bun­denheit Anwendung findende Tarifwerk von iGZ und ver.di sei mit Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL und der dort verlangten Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer nicht vereinbar. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, das Tarifwerk von iGZ und ver.di verstoße nicht gegen Unionsrecht, außerdem hat sie die Höhe der von der Klägerin behaupteten Vergütung vergleichbarer Stamm­a­r­beit­nehmer des Entleihers mit Nichtwissen bestritten.

BAG: Tarifwerk genügt Anforderungen der Leiha­r­beits­richtlinie

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin blieb vor dem Bundes­a­r­beits­ge­richts erfolglos. Um unions­rechtliche Fragen zu klären, hatte der Senat zunächst das Revisi­ons­ver­fahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 AEUV um Vorab­ent­scheidung von Rechtsfragen im Zusammenhang mit der von Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL verlangten, aber nicht näher definierten „Achtung des Gesamtschutzes von Leiha­r­beit­nehmern“ ersucht. Diese hat der EuGH im Dezember 2022 beantwortet. Das BAG hat die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt, also auf ein Arbeitsentgelt, wie es vergleichbare Stamm­a­r­beit­nehmer des Entleihers erhalten. Aufgrund des wegen der beiderseitigen Tarif­ge­bun­denheit auf das Leiha­r­beits­ver­hältnis Anwendung findenden Tarifwerks von iGZ und ver.di war die Beklagte nach § 8 Abs. 2 Satz 2 AÜG und § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG aF nur verpflichtet, die tarifliche Vergütung zu zahlen. Dieses Tarifwerk genügt, jedenfalls im Zusammenspiel mit den gesetzlichen Schutz­vor­schriften für Leiha­r­beit­nehmer, den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL. Trifft der Sachvortrag der Klägerin zur Vergütung vergleichbarer Stamm­a­r­beit­nehmer zu, hat die Klägerin zwar einen Nachteil erlitten, weil sie eine geringere Vergütung erhalten hat, als sie erhalten hätte, wenn sie unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz von dem entleihenden Unternehmen eingestellt worden wäre.

Vorteil durch Fortzahlung von Entgelt in verleihfreien Zeiten

Eine solche Schlech­ter­stellung lässt aber Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL ausdrücklich zu, sofern dies unter „Achtung des Gesamtschutzes der Leiha­r­beit­nehmer“ erfolgt. Dazu müssen nach der Vorgabe des EuGH Ausgleichs­vorteile eine Neutralisierung der Ungleichbehandlung ermöglichen. Ein möglicher Ausgleichsvorteil kann nach der Rechtsprechung des EuGH sowohl bei unbefristeten als auch befristeten Leiha­r­beits­ver­hält­nissen die Fortzahlung des Entgelts auch in verleihfreien Zeiten sein. Verleihfreie Zeiten sind nach deutschem Recht auch bei befristeten Leiha­r­beits­ver­hält­nissen stets möglich, etwa wenn - wie im Streitfall - der Leiha­r­beit­nehmer nicht ausschließlich für einen bestimmten Einsatz eingestellt wird oder der Entleiher sich vertraglich ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Leiha­r­beit­nehmer vorbehält. Das Tarifwerk von iGZ und ver.di gewährleistet die Fortzahlung der Vergütung in verleihfreien Zeiten.

Tarifliche Vergütung darf Lohnun­ter­grenzen und Mindestlohn nicht unterschreiten

Außerdem hat der deutsche Gesetzgeber mit § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG*** für den Bereich der Leiharbeit zwingend sichergestellt, dass Verleiher das Wirtschafts- und Betriebsrisiko für verleihfreie Zeiten uneingeschränkt tragen, weil der Anspruch auf Annah­me­ver­zugs­ver­gütung nach § 615 Satz 1 BGB, der an sich abdingbar ist, im Leiha­r­beits­ver­hältnis nicht abbedungen werden kann. Auch hat der Gesetzgeber dafür gesorgt, dass die tarifliche Vergütung von Leiha­r­beit­nehmern staatlich festgesetzte Lohnun­ter­grenzen und den gesetzlichen Mindestlohn nicht unterschreiten darf. Zudem ist seit dem 1. April 2017 die Abweichung vom Grundsatz des gleichen Arbeitsentgelts nach § 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG zeitlich grundsätzlich auf die ersten neun Monate des Leiha­r­beits­ver­hält­nisses begrenzt.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (pm/ab)

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