23.11.2024
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Dokument-Nr. 7076

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Urteil18.03.2009Bundesarbeitsgericht4 AZR 64/08
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NZA 2009, 1028Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), Jahrgang: 2009, Seite: 1028
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Vorinstanz:
  • Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil11.12.2007, 5 Sa 914/07
ergänzende Informationen

Bundesarbeitsgericht Urteil18.03.2009

Tarifvertrag darf Bonuszahlung nur für Verdi-Mitglieder vorsehenBAG zur Zulässigkeit "einfacher Diffe­ren­zie­rungs­klauseln" im Tarifvertrag

In Tarifverträgen können Gewerkschaften und Arbeitgeber vereinbaren, dass nur Mitglieder einer Gewerkschaft eine bestimmte Leistung erhalten sollen. Eine solche Differenzierung kann zulässig, entschied das Bundes­a­r­beits­gericht im Falle einer Pflegerin, die bei der Arbei­ter­wohlfahrt (Awo) arbeitet und nicht in der Gewerkschaft ist. Im Tarifvertrag zwischen Awo und Verdi war eine jährliche Sonderzahlung von 535,00 € brutto nur für Verdi-Mitglieder vereinbart. Die Richter sahen diese Vereinbarung als zulässig an, denn die Klausel übe keinen "unzulässigen Druck" auf nicht­or­ga­ni­sierte Arbeitnehmer aus, einer Gewerkschaft beizutreten . Der Betrag, der hier als Sonderzahlung vereinbart worden sei, sei zu gering.

Nicht wenige Tarifverträge enthalten in unter­schied­lichen Formen Regelungen, die nur Mitgliedern der tarif­schlie­ßenden Gewerkschaft Rechte einräumen sollen (sog. Diffe­ren­zie­rungs­klausel). Zwei Grundmodelle lassen sich unterscheiden: Zunächst die Regelungen („qualifizierte Diffe­ren­zie­rungs­klauseln“), die auf die indivi­du­a­l­recht­lichen Gestal­tungs­be­fugnisse des Arbeitgebers einwirken wollen, indem sie auf verschiedene Weise sicherzustellen versuchen, dass im Ergebnis dem gewerk­schaftlich organisierten Mitarbeiter in jedem Falle mehr zusteht als demjenigen, der nicht Mitglied der tarif­schlie­ßenden Gewerkschaft ist; weniger weit gehen sog. einfache Differenzierungsklauseln, welche die Gewerk­schafts­zu­ge­hö­rigkeit des Arbeitnehmers zwar zur Voraussetzung für einen bestimmten materiellen Anspruch machen, die aber keine rechtlichen Schranken dafür aufstellen, dass der Arbeitgeber auf indivi­du­a­l­ver­trag­licher Ebene die tariflich vorgesehene Ungleich­be­handlung beseitigt. Die letztgenannten Regelungen können nach Auffassung des Vierten Senats rechtswirksam sein. Ob die Tarif­ver­trags­parteien insoweit eine im Wesentlichen unbegrenzte Regelungs­be­fugnis haben oder ob sie dabei an relativ enge, im Einzelnen festzulegende Grenzen gebunden sind, musste der Senat nicht entscheiden. Etwa einzuhaltende Grenzen hatte die zur Entscheidung stehende tarifliche Regelung jedenfalls nicht überschritten.

Sachverhalt

Der Rechtsstreit betraf eine Mitarbeiterin eines Trägers der freien Wohlfahrts­pflege, die nicht Mitglied einer Gewerkschaft war, in deren Arbeitsvertrag aber auf die einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung Bezug genommen worden war. In einem auf drei Jahre maximal fünf Jahre unter Ausschluss der Nachwirkung befristeten „Tarifvertrag zum Ausgleich des strukturellen Defizits der Unter­neh­mens­gruppe …“, der die Beklagte angehört, wurde eine Bestimmung des Hausta­rif­ver­trages über eine Jahres­son­der­zahlung „außer Kraft gesetzt“ und u.a. weiter bestimmt:

"Als Ersatzleistung wegen des Verzichts auf die Sonderzahlung ... erhalten die ver.di Mitglieder in jedem Geschäftsjahr ... eine Ausgleichs­zahlung in Höhe von 535,00 € brutto ... ."

Die Klägerin, die diese Leistung nicht erhielt, verlangte sie nun mit ihrer Klage.

BAG wies die Klage ab

Ebenso wie die Vorinstanz wies der Vierte Senat ihre Klage ab. Einen nach dem Tarifvertrag an sich möglichen vertraglichen Anspruch auf die „Ersatzleistung“ hatte die Klägerin nicht. Durch die Verweisung auf die einschlägigen Tarifverträge wurde nur sichergestellt, dass deren Regelungen in ihrem Arbeits­ver­hältnis Anwendung finden. Die arbeits­ver­tragliche Verweisung sah aber nicht vor, dass sie umfassend wie ein Gewerk­schafts­mitglied zu behandeln sein würde; die tariflichen Regelungen wirken nur zu Gunsten der Klägerin, wenn diese deren Voraussetzungen erfüllt. Das war im Falle des Anspruchs auf die sog. Ersatzleistung wegen der fehlenden Gewerk­schafts­mit­glied­schaft nicht der Fall.

Die einschlägige Bestimmung war auch hinsichtlich dieser Anspruchs­vor­aus­setzung wirksam. In der Bestimmung, die strukturell nicht weiter geht als die tarif­ver­tragliche Wirkung, die das Gesetz in § 4 TVG festlegt, liegt jedenfalls im vorliegenden Fall kein unzulässiger Druck auf Nicht­or­ga­ni­sierte, auf ihr Recht zu verzichten, einer Koalition fernzubleiben. Sie überschreitet auch nicht die Regelungs­kom­petenz der Tarif­ver­trags­parteien. Die fragliche Leistung liegt nicht im Kernbereich des arbeits­ver­trag­lichen Austausch­ver­hält­nisses. Sie überschreitet auch der Höhe nach nicht die Grenze, von der an von einem nicht mehr hinnehmbaren Druck auszugehen ist, zumal auf Seiten der am Tarifschluss Beteiligten - Gewerkschaft wie Arbeitgeber - erhebliche, für die Erhaltung der Effektivität des Tarif­ver­trags­systems streitende Interessen festzustellen sind: Sanie­rung­s­ta­rif­verträge, wie sie hier geschlossen wurden und für die vielfach ein erhebliches Interesse besteht, werden häufig nur zustande kommen können, wenn mit den tariflichen Regelungen auch einer durch den Tarifvertrag im übrigen ansonsten ausgelösten Tarifflucht gegengesteuert werden kann.

Kein unzulässiger Druck

Da bereits ausreichende Recht­fer­ti­gungs­gründe für die vorgenommene Regelung streiten, musste der Senat nicht entscheiden, ob es solcher Recht­fer­ti­gungs­gründe überhaupt bedurfte oder ob das in § 4 Abs. 1 TVG vorgezeichnete Regelungsmodell eine Regelung wie die hier gewählte ihrer Art nach sogar regelmäßig erlaubt. Ebenso wenig musste er zur Zulässigkeit der angesprochenen qualifizierten Diffe­ren­zie­rungs­klauseln Stellung nehmen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 27/09 des BAG vom 18.03.2009

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