21.11.2024
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Dokument-Nr. 32672

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Urteil22.02.2023Bundesarbeitsgericht10 AZR 332/20
Vorinstanz:
  • Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil12.06.2020, 8 Sa 2030/19
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Bundesarbeitsgericht Urteil22.02.2023

BAG zur Höhe tarifliche Zuschläge bei regelmäßiger und unregelmäßiger NachtarbeitUnterschiedlich hohe tarifliche Zuschläge für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit zulässig

Eine Regelung in einem Tarifvertrag, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zu-schlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, verstößt dann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn ein sachlicher Grund für die Ungleich­be­handlung gegeben ist, der aus dem Tarifvertrag erkennbar sein muss. Ein solcher kann darin liegen, dass mit dem höheren Zuschlag neben den spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit auch die Belastungen durch die geringere Planbarkeit eines Arbeits­ein­satzes in unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden sollen. Die hat das Bundes­arbeits­gericht entschieden.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Geträn­k­e­in­dustrie. Die Klägerin leistete dort im Streitzeitraum Nachtarbeit im Rahmen eines Wechsel­schicht­modells. Im Arbeits­ver­hältnis der Parteien gilt der Mantel­ta­rif­vertrag zwischen dem Verband der Erfri­schungs­ge­tränke-Industrie Berlin und Region Ost e.V. und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Hauptverwaltung vom 24. März 1998 (MTV). Der MTV regelt, dass der Zuschlag zum Stundenentgelt für regelmäßige Nachtarbeit 20 % und für unregelmäßige Nachtarbeit 50 % beträgt. Arbeitnehmer/innen, die Dauer­nacht­arbeit leisten oder in einem 3-Schicht-Wechsel eingesetzt werden, haben daneben für je 20 geleistete Nachtschichten Anspruch auf einen Tag Schichtfreizeit.

Klägerin: Unter­schiedliche Höhe der Nacht­a­r­beits­zu­schläge verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz

Die Klägerin erhielt für die von ihr geleistete regelmäßige Nacht­schicht­arbeit den Zuschlag iHv. 20 %. Sie ist der Auffassung, die unter­schiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Ein sachlicher Grund für die unter­schiedliche Behandlung bestehe unter dem Aspekt des Arbeits- und Gesund­heits­schutzes, auf den es allein ankomme, nicht. Der Anspruch auf Schichtfreizeit beseitige die Ungleichbehandlung nicht, da damit nicht die spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit ausgeglichen würden. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin weitere Nacht­a­r­beits­zu­schläge iHd. Differenz zwischen dem Zuschlag für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit.

BAG befragte EuGH

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landes­a­r­beits­gericht hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage teilweise stattgegeben. Auf ein Vorab­ent­schei­dungs­er­suchen des Zehnten Senats des Bundes­a­r­beits­ge­richts (Be-schluss vom 9. Dezember 2020 - 10 AZR 332/)20 (A)) hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 7. Juli 2022 - C-257/21 - entschieden, dass die Regelung von Nacht­a­r­beits­zu­schlägen in Tarifverträgen keine Durchführung von Unionsrecht ist.

Sachlicher Grund für Ungleich­be­handlung vorliegend aus Tarifvertrag erkennbar

Nachgehend zu dieser Entscheidung hatte die Revision der Beklagten vor dem Bundes­a­r­beits­gericht Erfolg. Die Regelung im MTV zu unterschiedlich hohen Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Arbeitnehmer, die regelmäßige bzw. unregelmäßige Nachtarbeit im Tarifsinn leisten, sind zwar miteinander vergleichbar. Auch werden sie ungleich behandelt, indem für unregelmäßige Nachtarbeit ein höherer Zuschlag gezahlt wird als für regelmäßige Nachtarbeit. Für diese Ungleich­be­handlung ist vorliegend aber ein aus dem Tarifvertrag erkennbarer sachlicher Grund gegeben.

Ausgleich für schlechtere Planbarkeit

Der MTV beinhaltet zunächst einen angemessenen Ausgleich für die gesund­heit­lichen Belastungen sowohl durch regelmäßige als auch durch unregelmäßige Nachtarbeit und hat damit Vorrang vor dem gesetzlichen Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag nach § 6 Abs. 5 ArbZG. Daneben bezweckt der MTV aber auch, Belastungen für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, wegen der schlechteren Planbarkeit dieser Art der Arbeitseinsätze auszugleichen.

Nacht­a­r­beits­zu­schlag darf neben Schutz der Gesundheit weitere Zwecke zu verfolgen

Den Tarif­ver­trags­parteien ist es im Rahmen der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie nicht verwehrt, mit einem Nacht­a­r­beits­zu­schlag neben dem Schutz der Gesundheit weitere Zwecke zu verfolgen. Dieser weitere Zweck ergibt sich aus dem Inhalt der Bestimmungen des MTV. Eine Angemes­sen­heits­prüfung im Hinblick auf die Höhe der Differenz der Zuschläge erfolgt nicht. Es liegt im Ermessen der Tarif­ver­trags­parteien, wie sie den Aspekt der schlechteren Planbarkeit für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, finanziell bewerten und ausgleichen.

BAG entschied noch weitere Verfahren mit vergleichbaren tariflichen Regelungen

Zur Entscheidung am heutigen Tag standen daneben weitere Verfahren mit vergleichbaren tariflichen Regelungen zum Mantel­ta­rif­vertrag für die Milch-, Käse- und Schmelz­kä­se­in­dustrie vom 16. März 1989, zum Mantel­ta­rif­vertrag für die milchbe- und verarbeitenden Molke­rei­be­triebe Niedersachsen/Bremen vom 22. Januar 1997 sowie zum Bundes­man­tel­ta­rif­vertrag für die Süßwa­ren­in­dustrie vom 14. Mai 2007. In diesen Verfahren hatten die Vorinstanzen die Klagen jeweils abgewiesen. Die Revisionen der Kläger hatten vor dem Zehnten Senat keinen Erfolg. Auch die Auslegung dieser Tarifverträge ergibt, dass mit den höheren Zuschlägen bei unregelmäßig auftretender Nachtarbeit neben dem spezifischen Ausgleich für die Nachtarbeit die zusätzlichen Belastungen durch die fehlende Planbarkeit solcher Arbeitseinsätze ausgeglichen werden sollen.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (pm/ab)

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