15.11.2024
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Dokument-Nr. 14673

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Urteil20.11.2012Bundesarbeitsgericht1 AZR 611/11
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • ArbRB 2013, 111Zeitschrift: Arbeits-Rechts-Berater (ArbRB), Jahrgang: 2013, Seite: 111
  • AuR 2012, 500Zeitschrift: Arbeit und Recht (AuR), Jahrgang: 2012, Seite: 500
  • DB 2012, 19Zeitschrift: Der Betrieb (DB), Jahrgang: 2012, Seite: 19
  • NJW 2013, 1550Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2013, Seite: 1550
  • NZA 2013, 437Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), Jahrgang: 2013, Seite: 437
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Vorinstanz:
  • Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil23.03.2011, 2 Sa 83/10
ergänzende Informationen

Bundesarbeitsgericht Urteil20.11.2012

BAG zur Zulässigkeit von Streikmaßnahmen in kirchlichen EinrichtungenStreikmaßnahmen zur Durchsetzung von Tarif­for­de­rungen bei vereinbarter absoluter Friedenspflicht unzulässig

Entscheidet sich die Kirche, die Arbeits­be­din­gungen der Beschäftigten ihrer diakonischen Einrichtungen nur dann durch Tarifverträge auszugestalten, wenn eine Gewerkschaft zuvor eine absolute Friedenspflicht vereinbart und einem Schlichtungs­abkommen zustimmt, sind Streikmaßnahmen zur Durchsetzung von Tarif­for­de­rungen unzulässig. Dies entschied das Bundes­arbeitsgericht.

Der Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls ist ein von der vormaligen Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (NEK) gegründeter Arbeit­ge­ber­verband. Im Bereich der NEK galten seit 1961 Tarifverträge für die in den kirchlichen Einrichtungen beschäftigten Arbeitnehmer. Diese werden von dem klagenden Arbeit­ge­ber­verband mit Gewerkschaften abgeschlossen. Der Kläger macht die Aufnahme von Tarif­ver­hand­lungen vom Abschluss eines Grund­l­agen­ta­rif­vertrags abhängig, nach dem Arbeits­kampf­maß­nahmen zur Durchsetzung eines Tarif­ver­trags­ab­schlusses unzulässig sind. Nach einer Schlich­tungs­ver­ein­barung entscheidet eine Schlich­tungs­stelle im Konfliktfall unter dem Vorsitz eines unparteiischen Schlichters über das Zustandekommen des Tarifvertrags (so genannter Zweiter Weg).

Bundesverband lehnt Verzicht auf Durchführung von Arbeits­kampf­maß­nahmen ab

Der Bundesverband des Marburger Bundes forderte den Kläger im Jahr 2007 zu Tarif­ver­hand­lungen über den Abschluss eines Tarifvertrags für die bei den diakonischen Anstel­lungs­trägern der NEK beschäftigten Ärzte auf. Da der Bundesverband den vom Kläger verlangten Verzicht auf die Durchführung von Arbeits­kampf­maß­nahmen ablehnte, kam es nicht zur Aufnahme von Tarif­ver­hand­lungen. Am 31. August 2009 führte der Landesverband Hamburg des Marburger Bundes einen Streik in einem diakonischen Krankenhaus in Hamburg durch, den ihm das Arbeitsgericht Hamburg vorab im Rahmen eines einstweiligen Verfü­gungs­ver­fahrens rechtskräftig erlaubt hatte.

Arbeit­ge­ber­verband verlangt Unterlassung von Streikmaßnahmen

Der Kläger verlangt vom Bundesverband des Marburger Bundes und dessen Landesverband Hamburg, Streikmaßnahmen in Einrichtungen seiner Mitglieder zu unterlassen. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Regelung der Arbeits­be­din­gungen der Beschäftigten fällt in Schutzbereich des kirchlichen Selbst­be­stim­mungs­rechts

Die Revision des Klägers blieb vor dem Bundes­a­r­beits­gericht ohne Erfolg. Die Entscheidung der NEK, auf der Grundlage eines am Leitbild der Dienst­ge­mein­schaft ausgerichteten Tarif­ver­trags­ver­fahrens die Arbeits­be­din­gungen ihrer Beschäftigten zu regeln, fällt in den Schutzbereich des kirchlichen Selbst­be­stim­mungs­rechts aus Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV, Art. 4 GG. Dieses bekenntnisgemäß modifizierte Tarif­ver­trags­ver­fahren schließt den Arbeitskampf aus. Das kollidiert mit dem Recht einer Gewerkschaft aus Art. 9 Abs. 3 GG, sich durch den Abschluss von Tarifverträgen koalitionsmäßig zu betätigen und hierfür Arbeits­kampf­maß­nahmen einzusetzen.

Gewerkschaft kann sich auf Zweiten Weg koalitionsmäßig betätigen

Bei einer hiernach vorzunehmenden Güterabwägung ist zu berücksichtigen, dass sich eine Gewerkschaft auf dem Zweiten Weg koalitionsmäßig betätigen kann. Zwar kann sie zur Durchsetzung ihrer Tarif­for­de­rungen keinen Verhand­lungsdruck durch Streikandrohung entfalten. Sie führt aber die Verhandlungen mit der Arbeit­ge­berseite autonom und muss keine Rücksicht auf die Interessen von Nicht­mit­gliedern nehmen. Ihr bleibt ein erhebliches Maß an Einflussnahme. Sie kann unmittelbar und intensiv ihrer vom Grundgesetz vorausgesetzten Zweckbestimmung nachkommen, die Arbeits- und Wirtschafts­be­din­gungen zu Gunsten ihrer Mitglieder zu beeinflussen. Die Nutzung des staatlichen Tarifrechts im Zweiten Weg garantiert zudem die Verbindlichkeit von Tarif­ab­sch­lüssen als Minde­st­a­r­beits­be­dingung. Abweichungen zu Lasten gewerk­schaftlich Organisierter sind den verbands­ge­bundenen diakonischen Dienstgebern nicht möglich. Dieser Schutz kommt der Gewerkschaft auch bei der Mitglie­d­er­werbung zugute. Danach hat ihr Streikrecht gegenüber dem im Zweiten Weg zum Ausdruck kommenden kirchlichen Selbst­be­stim­mungsrecht zurückzutreten.

Vorliegend fehlt es an einer für Unter­las­sungs­be­gehren notwendigen Verlet­zungs­handlung

Allerdings hat der Kläger nicht darlegen können, dass aufgrund vergangener Arbeits­kampf­maß­nahmen der Beklagten die ernstliche Besorgnis weiterer Störungen besteht. Das Arbeitsgericht Hamburg hatte seinen Antrag auf Untersagung des am 31. August 2009 durchgeführten Streiks rechtskräftig abgewiesen. Damit stand fest, dass der Landesverband des Marburger Bundes diesen Arbeitskampf durchführen durfte. Hieran war der Senat gebunden. Weitere Streiks fanden nach diesem Zeitpunkt gegenüber Mitgliedern des Klägers nicht mehr statt. Damit fehlte es gegenüber beiden Beklagten an einer für das Unter­las­sungs­be­gehren notwendigen Verlet­zungs­handlung.

Quelle: Bundesarbeitsgericht/ra-online

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