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- ZTR 2000, 185Zeitschrift für Tarifrecht (ZTR), Jahrgang: 2000, Seite: 185
Arbeitsgericht Berlin Urteil07.07.1999
SM: Keine Kündigung eines Krankenpflegers wegen Vorliebe für sadomasochistische SexualpraktikenKrankenpfleger sprach in Fernsehtalkshow "Hans Meiser" über seine Sexualpraktiken
Sexuelle Neigungen, die von der gesellschaftlichen "Norm" abweichen, stellen keinen Kündigungsgrund dar. Auch die Berufsausübung in einer Klinik für psychisch erkrankte Menschen wird davon nicht automatisch negativ beeinflusst. Dies stellte das Arbeitsgericht Berlin fest.
Der Kläger im zugrunde liegenden Fall war als Krankenpfleger auf einer geschlossenen psychiatrischen Station beschäftigt, auf der die zwangsweise Medikamentierung und Fixierung von Patienten zum Arbeitsalltag gehört. Träger der Klinik ist ein eingetragener Verein des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche. Der Mann trat eines Tages in der Fernsehtalkshow Hans Meiser zum Thema "Ich liebe zwei Männer" auf und äußerte sich zu sadomasochistischen Sexualpraktiken. Zwei Mitarbeiterinnen des Diakonischen Werkes sahen die Sendung und erkannten den Kollegen wieder. Sie informierten kurz darauf ihren Arbeitgeber, der schließlich eine außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund in Betracht zog.
Befürchtung des Arbeitgebers, Sexualverhalten des Krankenpflegers könnte sich auf Arbeit mit Patienten auswirken
Der Krankenpfleger wurde zunächst zu einem Gespräch gebeten, während dem die Befürchtung geäußert wurde, die getätigten Äußerungen könnten sich auf seine Arbeit als Krankenpfleger auf der geschlossenen psychiatrischen Station auswirken. Der Mann vertrat dagegen die Auffassung, sein Fernsehauftritt und sein Sexualverhalten stehe in keinem Zusammenhang mit seiner Arbeit. Er werde jedoch in Zukunft aufgrund des nunmehr aufkommenden Drucks von derartigen öffentlichen Stellungnahmen Abstand nehmen. Das Diakonische Werk teilte nach dem Gespräch mit, dass eine fristlose Kündigung nun nicht mehr beabsichtigt sei. Dennoch erreichte den Mann eine Kündigung, gegen die er sich schließlich gerichtlich zur Wehr setzte. Das Diakonische Werk unterstrich erneut seine Befürchtungen, dass es zu Distanzverletzungen gegenüber Patienten und Patientinnen kommen könne. Zudem sei Sadomasochismus nach dem Stand der medizinischen Forschung als Krankheit einzustufen, weshalb auch aus ärztlicher Sicht eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht zu vertreten sei.
Arbeitsgericht: Kündigung sozial ungerechtfertigt
Das Arbeitsgericht Berlin stellte fest, dass eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund alleine deshalb nicht wirksam sein konnte, da der Arbeitgeber selbst davon schriftlich bereits Abstand genommen hatte. Im vorliegenden Fall sei aber auch die ordentliche Kündigung nach § 31 Abs. 3 und 4 AVR sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG. Eine rechtmäßige Kündigung setze voraus, dass der Arbeitnehmer außerstande sei, die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.
Keine Distanzverletzung zu Patienten zu befürchten
Das Gericht konnte die Befürchtung jedoch nicht teilen, dass es in Zukunft bei der Arbeit des Klägers mit psychisch erkrankten Personen zu Distanzverletzungen kommen könne, da es auch in der bereits langjährigen Beschäftigung nie zu derartigen Vorfällen gekommen sei. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wie der Arbeitgeber darauf komme, dass Mitarbeiter mit sexuellen Neigungen, die von gesellschaftlich allgemein akzeptierten sexuellen Betätigungen abwichen, eher zu Distanzverletzungen neigen würden als Mitarbeiter, die sich im Rahmen des gesellschaftlich Akzeptierten sexuell betätigen. Häufig werde Menschen, die von dem abwichen, was gesellschaftlich als "normal" angesehen würde, unterstellt, sie hielten sich auch sonst nicht an die von der Gesellschaft vorgegebenen Regeln. Dies werde vor allem an den Vorurteilen gegen homosexuelle Männer deutlich, denen man eher eine Neigung zu sexuellen Übergriffen unterstellen würde als Männern mit heterosexueller Ausrichtung.
Sadomasochismus ist keine anerkannte Krankheit
Auch die Behauptung, Sadomasochismus sei eine anerkannte Krankheit, konnte das Gericht nicht bestätigen. In der in Deutschland derzeit verwendeten Diagnoseliste der internationalen Weltgesundheitsorganisation wäre ein derartiger Hinweis jedenfalls nicht auffindbar. Somit war die Kündigung des Krankenpflegers unbegründet und damit ungültig.
Das Urteil ist aus dem Jahre 1999 und erscheint im Rahmen der Reihe "Wissenswerte Urteile".
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 12.12.2011
Quelle: Arbeitsgericht Berlin/ra-online (vt/st).
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