Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Juli 2007 bremste ein Autofahrer einen anderen Fahrzeugführer wegen eines angeblich vorangegangen verkehrswidrigen Verhaltes aus. Um einen Auffahrunfall zu vermeiden, wechselte der Fahrzeugführer auf die linke Spur und überholte den anderen Pkw. Als sich beide Fahrzeuge auf gleicher Höhe befanden, näherte sich der Pkw des Autofahrers dem Fahrzeug des Fahrzeugführers, so dass der Seitenabstand bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h nur noch ungefähr 5 cm betrug. Gegen den Autofahrer wurde deshalb Anklage wegen Nötigung und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs erhoben. Im anschließenden Strafprozess kam es unter anderem darauf an, ob der vom Fahrzeugführer mit Hilfe einer Dashcam aufgenommene Film verwertet werden durfte. Die Dashcam hatte der Fahrzeugführer anlässlich des Geschehens zum Zwecke der Beweissicherung aktiviert.
Das Amtsgericht Nienburg bejahte eine Verwertbarkeit der Dashcam-Aufnahmen. Denn die Anfertigung der Aufnahmen sei nach § 4 Abs. 2 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG zulässig gewesen.
Die Zulässigkeit der Aufnahmen habe sich nach Ansicht des Amtsgerichts daraus ergeben, dass das Interesse des Tatopfers an der Anfertigung der Aufzeichnung zum Zwecke der Beweissicherung das Interesse des Angeklagten an der Unverletzlichkeit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung überwog (andere Ansicht: AG München, Hinweisbeschl. v. 13.08.2014 - 345 C 5551/14 - und VG Ansbach, Urt. v. 12.08.2014 - AN 4 K 13.01634 -). Es sei zu beachten, dass die kurze, anlassbezogene Aufzeichnung nur die Fahrzeuge, jedoch nicht die Insassen abbildete. Es seien nur Vorgänge erfasst worden, die sich im öffentlichen Straßenverkehr ereigneten. Der Eingriff in das Recht des Angeklagten sei daher nur gering gewesen. Das Interesse des Tatopfers an einem effektiven Rechtsschutz sei demgegenüber hoch gewesen. Insofern sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Aufklärung von Verkehrsunfällen schwierig ist. So seien Zeugenaussagen oft ungenau und subjektiv geprägt. Sachverständigengutachten seien kostspielig und häufig unergiebig.
Soweit befürchtet werde, dass die Aufzeichnung später unzulässig im Internet veröffentlicht wird oder anderweitig missbraucht wird, hielt das Amtsgericht dies für unbeachtlich. Denn die Gefahr des Missbrauchs von ursprünglich zulässigen Beweismitteln bestehe immer. Die Furcht vor einer allgegenwärtigen Datenerhebung und einem "Orwell'schen Überwachungsstaat" dürfe nicht dazu führen, dass dem Bürger sachgerechte technische Hilfsmittel zur effektiven Rechtsverfolgung und -verteidigung kategorisch vorenthalten werden.
Die zulässig angefertigte Dachcam-Aufzeichnung habe im Strafprozess verwertet werden dürfen, so das Amtsgericht. Zunächst sei zu beachten, dass der absolute Kernbereich der persönlichen Lebensführung des Angeklagten nicht betroffen war. Denn die Aufnahmen haben Vorgänge aus dem öffentlichen Straßenverkehr abgebildet. Insofern sei es auf eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der effektiven Starverfolgung mit dem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht herrührenden Geheimschutzinteresse des Angeklagten angekommen.
Nach Auffassung des Amtsgerichts sei das öffentliche Interesse an einer effektiven Strafverfolgung höher zu bewerten gewesen als das Geheimschutzinteresse des Angeklagten. Die Verwertung der Aufzeichnung sei nämlich zunächst erforderlich gewesen, da sonst keine anderen Beweismittel vorhanden gewesen seien. Die Verwertung sei zudem verhältnismäßig gewesen, da der Angeklagte selbst nicht abgebildet gewesen sei, sondern nur sein Fahrzeug, und eine Verurteilung zu einer empfindlichen Freiheitsstrafe sowie der Entzug der Fahrerlaubnis im Raum gestanden habe. Diese Maßnahmen sollen dem Interesse aller Bürger an der Sicherheit des Straßenverkehrs dienen. Das Interesse des Angeklagten habe dagegen zurückstehen müssen.
Das Amtsgericht verwies ferner darauf, dass hier kein Fall einer unzulässigen Überwachung durch Dritte vorgelegen habe. Dies könne gegebenenfalls dann angenommen werden, wenn Personen aus eigener Machtvollkommenheit zielgerichtet mittels Dashcam-Aufzeichnungen Daten für Strafverfahren erheben und sich so zu selbsternannten Hilfssheriffs aufschwingen. Verfolgt der Betreiber der Dashcam aber den zulässigen Zweck der Beweissicherung für den konkreten Haftungsfall, so bestehen dann keine Bedenken gegen die Verwertung der Aufnahmen, wenn der Betreiber auch Verletzter einer vom Betroffenen verwirklichten Straftat ist. So habe der Fall hier gelegen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 30.04.2015
Quelle: Amtsgericht Nienburg, ra-online (vt/rb)