18.10.2024
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Sie sehen, wie während einer Hochzeit die Ringe angesteckt werden.

Dokument-Nr. 17542

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Beschluss21.12.1992Amtsgericht Frankfurt am Main40 UR III E 166/92
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • FamRZ 1993, 557Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht (FamRZ), Jahrgang: 1993, Seite: 557
  • MDR 1993, 116Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 1993, Seite: 116
  • NJW 1993, 940Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 1993, Seite: 940
  • NVwZ 1993, 508Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), Jahrgang: 1993, Seite: 508
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ergänzende Informationen

Amtsgericht Frankfurt am Main Beschluss21.12.1992

Gleich­geschlecht­liche Paare dürfen heiratenVerbot der Eheschließung verstößt gegen Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Gleichheitssatz und Recht auf Ehe­schließungs­freiheit

Ein Verbot der Eheschließung zwischen zwei gleich­geschlecht­lichen Personen verstößt gegen das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 3 GG) und die Ehe­schließungs­freiheit (Art. 6 Abs. 1 GG). Die Gleich­geschlecht­lichkeit von Personen steht einer Heirat daher nicht entgegen. Dies geht aus einer Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt a. M. hervor.

In dem zugrunde liegenden Fall lehnte ein Standesamt im August 1992 die Eheschließung zwischen zwei gleich­ge­schlecht­lichen Personen ab. Da sich das heiratswillige Paar mit der Ablehnung nicht abfand, landete der Fall schließlich vor Gericht.

Recht auf Eheschließung bestand

Das Amtsgerichts Frankfurt a. M. entschied zu Gunsten des heiratswilligen Paars. Diesem habe ein Recht auf Eheschließung zugestanden. Die Gleich­ge­schlecht­lichkeit habe dem nicht entge­gen­ge­standen.

Bisheriger Ehebegriff nicht mit Grundgesetz vereinbar

Der Begriff der "Ehe" werde weder im Grundgesetz noch im BGB oder im Ehegesetz definiert, so das Amtsgericht weiter. Dennoch werde unter dem Gesichtspunkt der Tradition angenommen, dass eine Ehe nur eine auf Herstellung der vollen Lebens­ge­mein­schaft zwischen einem Mann und einer Frau sei. Ein solches Begriffs­ver­ständnis sei aber mit dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 3 GG) und der Eheschlie­ßungs­freiheit (Art. 6 Abs. 1 GG) nicht vereinbar.

Verstoß gegen Eheschlie­ßungs­freiheit

Das Amtsgericht gab zu bedenken, dass Art. 6 Abs. 1 GG jedermann das Recht gebe, eine Ehe mit einem selbst gewählten Partner einzugehen. Die Bejahung eines Ehehindernisses "Gleich­ge­schlecht­lichkeit" würde aber zu einem gänzlichen Verbot gleich­ge­schlecht­licher Ehen führen, da homosexuelle Menschen aufgrund ihrer Sexualität nicht in der Lage sind, eine solche mit einem Partner des gleichen Geschlechts einzugehen. Der selbstgewählte Partner würde ihnen dadurch verwehrt werden.

Unvereinbarkeit des Eheverbots gleich­ge­schlecht­licher Paare mit Gleichheitssatz

Zudem verstoße der traditionelle Begriff der "Ehe" nach Ansicht des Amtsgerichts gegen Gleich­be­hand­lungs­grundsatz des Art. 3 Abs. 3 GG. Dieser verbiete gerade eine Ungleich­be­handlung unter Anknüpfung allein an das Geschlecht. Es seien auch keine sachlichen Gründe, die eine Ungleich­be­handlung rechtfertigen könnten, zu erkennen gewesen. Allein der Rückgriff auf überkommene, anerkannte und von der Mehrheit der Gesellschaft moralisch gebilligte Lebensformen dürfe nicht zu einer Beschränkung der Eheschlie­ßungs­freiheit führen.

Verstoß gegen allgemeines Persön­lich­keitsrecht

Das Amtsgericht bejahte darüber hinaus einen Verstoß gegen das allgemeine Persön­lich­keitsrecht (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Dieses umfasse auch das Recht, mit einem gleich­ge­schlecht­lichen Partner in einer Lebens­ge­mein­schaft zusammenzuleben. Dieses Grundrecht wäre sinnentleerend, wenn gleich­ge­schlecht­lichen Paaren der rechtliche Schutz der Ehe versagt werde.

Keine Verfälschung des gesetz­ge­be­rischen Willens

Zwar sei es richtig, so das Amtsgericht, dass der Wille des Gesetzgebers nicht verfälscht werden darf, der im Bereich des Ehegesetzes angesichts des damals noch existierenden Verbots der homosexuellen Betätigung (§ 175 StGB) das Zusammenleben homosexueller Paare regeln wollte. Es betonte aber zugleich, dass die Rechtspraxis in Wirklichkeit längst über die christlich-abendländische Ehevorstellung hinausgegangen ist. So habe das Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Eheschließung zwischen einem Mann und einem männlichen Transsexuellen jedenfalls für dann zulässig erachtet, wenn eine geschlecht­s­um­wan­delnde Operation durchgeführt werde (BVerfGE 49, 286 = FamRZ 1979, 25). Auch in einem solchen Fall sei keine traditionell verstandene Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gegeben.

Sittliche Missbilligung einer gleich­ge­schlecht­lichen Ehe durch Teile der Bevölkerung unerheblich

Es sei nach Einschätzung des Amtsgerichts auch unerheblich, ob möglicherweise große Teile der Bevölkerung die Eheschließung unter gelich­ge­schlecht­lichen Partnern sittlich missbillige. Denn solch rational nicht begründbaren Einstellungen können dem Abschluss einer Ehe nicht entgegenstehen.

Quelle: Amtsgericht Frankfurt a.M., ra-online (zt/FamRZ 1993, 557/rb)

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