18.10.2024
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Dokument-Nr. 29407

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Urteil30.10.2020Verfassungsgerichtshof Rheinland-PfalzVGH O 52/20
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Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz Urteil30.10.2020

VerfGH Koblenz erklärt Frakti­o­ns­aus­schluss der Landtags­abgeordneten Helga Lerch für rechtmäßigErfüllung rechts­s­taat­licher Mindest­anforderungen und willkürfreier Entschluss bei Fraktions­versammlung für Frakti­o­ns­aus­schluss notwendig

Der Verfassungs­gerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz hat mit einem Urteil die Klage einer Landtags­abgeordneten gegen den Ausschluss aus ihrer Fraktion zurückgewiesen und den FDP-Fraktions-Ausschluss für rechtmäßig

Die Antragstellerin ist Mitglied der Freien Demokratischen Partei (FDP) und Abgeordnete des Landtags Rheinland-Pfalz. Mit ihrer im Juli 2020 erhobenen Klage wandte sie sich gegen den Ausschluss aus der Fraktion der FDP, der im Februar 2020 durch Beschluss der Frakti­o­ns­ver­sammlung erfolgt war. Die antrags­geg­ne­rische Fraktion hatte den Ausschluss damit begründet, das Vertrau­ens­ver­hältnis zur Antragstellerin sei so nachhaltig gestört, dass die weitere Zusammenarbeit mit ihr nicht mehr zumutbar sei. Außerdem habe die Antragstellerin das Ansehen der Fraktion in der Öffentlichkeit beschädigt. Die Antragstellerin machte zur Begründung ihrer Klage eine Verletzung ihrer Rechte als Abgeordnete durch den Fraktionsausschluss geltend.

Frakti­o­ns­aus­schluss verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden

Der Verfas­sungs­ge­richtshof wies die Klage als unbegründet zurück. Der Frakti­o­ns­aus­schluss sei verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Die Fraktion habe durch den Ausschluss der Antragstellerin deren aus dem Statusrecht eines Abgeordneten folgenden Anspruch auf willkürfreie Entscheidung nicht verletzt. Die Abgeordneten seien frei in der Entscheidung, mit wem und unter welchen Bedingungen sie sich zur gemeinsamen politischen Arbeit zusam­men­sch­lössen. In Wahrnehmung ihrer Mandatsfreiheit könnten die Frakti­o­ns­mit­glieder grundsätzlich einen Abgeordneten auch aus ihren Reihen wieder ausschließen. Der Frakti­o­ns­aus­schluss setze einen rechts­s­taat­lichen Minde­st­an­for­de­rungen genügendes Verfahren sowie einen willkürfreien Entschluss der Frakti­o­ns­ver­sammlung voraus.

Infor­ma­ti­o­ns­pflicht für Frakti­o­ns­mit­glieder

In verfah­rens­recht­licher Hinsicht sei dem betroffenen Abgeordneten insbesondere die Möglichkeit einer Verteidigung gegen die ihm gegenüber namhaft zu machenden Vorwürfe einzuräumen. Gleichermaßen müssten die Frakti­o­ns­mit­glieder so informiert werden, dass sie an der Entscheidung über den Frakti­o­ns­aus­schluss verantwortlich mitwirken könnten. Darüber hinaus bestünden rechts­s­taatliche Minde­st­an­for­de­rungen betreffend die Einberufung der Frakti­o­ns­ver­sammlung und die dortige Abstimmung über den Ausschluss.

Rechtliches Gehör und Möglichkeit zur Stellungnahme maßgebend

Der vorliegend im Streit stehende Frakti­o­ns­aus­schluss genüge diesen formellen Anforderungen. Er sei in einem verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandenden Ausschluss­ver­fahren beschlossen worden. Insbesondere sei der Antragstellerin in ausreichendem Maße rechtliches Gehör gewährt worden. Maßgeblich sei, dass die Antragstellerin ihren Standpunkt habe vorbringen können und die übrigen Frakti­o­ns­mit­glieder sich ausreichend informiert gesehen hätten, um eine verant­wor­tungsvolle Entscheidung zu treffen.

Zerstörung des Vertrau­ens­ver­hält­nisses als "wichtiger Grund"

In materieller Hinsicht setze der Frakti­o­ns­aus­schluss das Vorliegen eines "wichtigen Grundes" voraus. Als solcher komme nur ein Verhalten in Betracht, das die wesentlichen Grundlagen und Ziele der Fraktion nachhaltig beeinträchtige. Dies könne insbesondere dann der Fall sein, wenn das Frakti­o­ns­mitglied das Vertrau­ens­ver­hältnis so nachhaltig gestört habe, dass den anderen Frakti­o­ns­mit­gliedern die weitere Zusammenarbeit nicht mehr zugemutet werden könne. Darüber hinaus könne ein "wichtiger Grund" darin bestehen, dass ein Frakti­o­ns­mitglied durch sein Verhalten das Ansehen der Fraktion in der Öffentlichkeit nachhaltig schädige und die Außenwirkung der Fraktion damit beeinträchtige.

Weiter Ermes­sens­spielraum wegen Frakti­o­ns­au­tonomie

Bei der Beurteilung, ob das Verhalten eines Frakti­o­ns­mit­glieds einen "wichtigen Grund" für einen Frakti­o­ns­aus­schluss darstelle, gebe es einen weiten Ermes­sens­spielraum aufgrund der Frakti­o­ns­au­tonomie. Die gerichtliche Kontrolle habe daher die frakti­o­ns­eigenen Wertungen zu achten und der Fraktion einen erheblichen Entschei­dungs­spielraum zu belassen. Es sei nicht Sache des Verfas­sungs­ge­richtshofs, seine Beurteilung an die Stelle derjenigen politischen und sonstigen, an inner­frak­ti­o­nellen Maßstäben ausgerichteten, Wertungen der Fraktion zu setzen. Die gerichtliche Prüfung eines "wichtigen Grundes" habe sich insgesamt auf eine Willkür­kon­trolle zu beschränken. Als letztlich politische Entscheidung sei der Frakti­o­ns­aus­schluss verfas­sungs­rechtlich allein darauf überprüfbar, ob das Statusrecht des Abgeordneten in grundlegender Weise evident verkannt worden sei.

Keine materiell verfas­sungs­rechtliche Beanstandung

Gemessen an diesen Maßstäben sei der Frakti­o­ns­aus­schluss auch materiell verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Zunächst seien die von der Fraktion über den Ausschluss zugrunde gelegten tatsächlichen Annahmen nicht evident unzutreffend. Auf dieser Entschei­dungs­grundlage habe die Frakti­o­ns­ver­sammlung sodann in verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandender Weise einen "wichtigen Grund" für den Frakti­o­ns­aus­schluss bejaht. Unter Zugrundelegung des der Fraktion insoweit zukommenden Wertungs­spielraums könne die Einschätzung, das Verhalten der Antragstellerin beschädige die vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Fraktion und ihr Ansehen in der Öffentlichkeit, nicht als willkürlich beanstandet werden.

Politische Koope­ra­ti­o­ns­ver­pflichtung bei Anschluss an eine Fraktion

Die Antragsgegnerin habe es bereits willkürfrei als schweren Loyali­täts­verstoß und Grundlage für die Annahme eines irreparablen Vertrau­ens­verlusts werten können, dass die Antragstellerin ihren - frakti­o­ns­in­ternen - Konflikt über die Reichweite inner­frak­ti­o­neller Abstimmungs- und Koope­ra­ti­o­ns­pflichten durch die unmittelbare Einleitung eines zivil­ge­richt­lichen Verfahrens in die Öffentlichkeit getragen habe. Dies insbesondere deshalb, weil unklar bleibe, warum sie damit angesichts des von ihr stets behaupteten Einigungs­willens Frakti­o­ns­interna nach außen getragen habe. Darüber hinaus widerspreche es dem für die Fraktionsarbeit erforderlichen Vertrau­ens­ver­hältnis, dass die Antragstellerin mit ihren Äußerungen in der Öffentlichkeit auf wesentlichen Politikfeldern nicht mit der Fraktion abgestimmte politische Vorstöße getätigt habe und die Aufarbeitung der Geschehnisse unter ihrer Mitwirkung insgesamt jedenfalls nicht "reibungslos" verlaufen sei. Mit dem Anschluss an eine Fraktion gehe der Abgeordnete eine politische Koope­ra­ti­o­ns­ver­pflichtung ein, die eine Bereitschaft zur politischen Abstimmung erfordere. Diese Pflicht schließe auch die grundsätzliche Bereitschaft ein, gegebenenfalls persönliche inhaltliche Präferenzen zurückzustellen.

Keine Willkür bei Frakti­o­ns­aus­schluss

Die Pflicht zur politischen Kooperation diene zudem der "Frakti­o­ns­so­li­darität" bzw. "Frakti­o­ns­loy­alität", abweichendes Verhalten zumindest vorab mitzuteilen und zu begründen. Dass das Verhalten der Antragstellerin dazu in Widerspruch stehe, habe die Antragsgegnerin willkürfrei annehmen können. Auch die Wertung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin habe das Ansehen der Fraktion in der Öffentlichkeit geschädigt, halte der verfas­sungs­ge­richt­lichen Willkür­kon­trolle stand. Dabei sei es insbesondere nicht entscheidend, wie die Antragstellerin ihre Äußerungen "gemeint" haben wolle, sondern als Abgeordnete habe sie vielmehr für die objektive Wirkung ihres Verhaltens einzustehen.

Quelle: Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, ra-online (pm/aw)

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