21.11.2024
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Dokument-Nr. 29625

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Urteil16.12.2020Verfassungsgerichtshof Rheinland-PfalzVGH N 12/19, VGH N 13/19 und VGH N 14/19
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Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz Urteil16.12.2020

Kommunaler Finanzausgleich in Rheinland-Pfalz muss neu geregelt werdenAktueller Finanzausgleich verfas­sungs­widrig

Der Verfassungs­gerichts­hof Rheinland-Pfalz in Koblenz hat in drei konkreten Normen­kontroll­verfahren den kommunalen Finanzausgleich für unvereinbar mit der Landes­ver­fassung erklärt. Der Landes­ge­setzgeber hat bis spätestens zum 1. Januar 2023 eine Neuregelung zu schaffen, die den aufga­ben­be­zogenen Finanzbedarf der Kommunen zur Grundlage des Finanz­ausgleichs­systems macht.

Die Gemeinden und Gemein­de­verbände in Rheinland-Pfalz erhalten vom Land im Wege des kommunalen Finan­z­aus­gleichs Zuweisungen nach den Vorschriften des Landes­fi­nan­z­aus­gleichs­ge­setzes - LFAG -. Diese Zuweisungen werden im Wesentlichen aus der sogenannten Verbundmasse gespeist, in die ein vom Gesetzgeber festgelegter prozentualer Anteil des dem Land zustehenden Aufkommens an bestimmten Steuern fließt. Die aus der Verbundmasse resultierende Finan­z­aus­gleichsmasse wird auf allgemeine und zweckgebundene Finanz­zu­wei­sungen aufgeteilt, deren Beträge im Landes­haus­haltsplan festgesetzt werden.

Kommunaler Finanzausgleich 2020 teilweise verfas­sungs­widrig

Die Verfas­sungs­mä­ßigkeit des kommunalen Finan­z­aus­gleichs sowie einzelner Teilkomponenten war wiederholt Gegenstand von Entscheidungen des Verfas­sungs­ge­richtshofs. Auf eine Richtervorlage erklärte der Verfas­sungs­ge­richtshof mit Urteil vom 14. Februar 2012 - VGH N 3/11 - Teile des für die Jahre 2007 bis 2013 geltenden LFAG für verfassungswidrig. Zugleich wurde der Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 1. Januar 2014 eine verfas­sungs­gemäße Regelung zu treffen und hierbei einen "spürbaren Beitrag" zur Bewältigung der kommunalen Finanzkrise zu leisten.

Klagen gegen Finanz­zu­wei­sungen nach reformierten Finanzausgleich

Mit dem Landesgesetz zur Reform des kommunalen Finan­z­aus­gleichs vom 8. Oktober 2013 hat der Gesetzgeber eine Neuregelung von Teilen des kommunalen Finan­z­aus­gleichs vorgenommen. Gegen die auf der Grundlage des reformierten LFAG bewilligten Finanz­zu­wei­sungen für die Jahre 2014 bzw. 2015 wandten sich die Kläger der fachge­richt­lichen Verfahren, die Stadt Pirmasens (VGH N 12/19 und VGH N 13/19) und der Landkreis Kaiserslautern (VGH N 14/19).

Richtervorlagen an VerfGH

Das Verwal­tungs­gericht Neustadt an der Weinstraße hat die Verfahren im Jahr 2019 ausgesetzt und den Verfas­sungs­ge­richtshof im Wege der konkreten Normenkontrolle um Prüfung gebeten, ob die Bestimmungen des LFAG in der für die Jahre 2014/2015 maßgeblichen Fassung mit der Landes­ver­fassung vereinbar sind. Nach Auffassung des Verwal­tungs­ge­richts seien die verfah­rens­recht­lichen Minde­st­an­for­de­rungen an eine legislatorische Entscheidung über den kommunalen Finanzausgleich nicht eingehalten worden. Darüber hinaus verstießen die Bestimmungen über die Finanz­zu­wei­sungen innerhalb des Steuerverbundes in materiell-rechtlicher Hinsicht gegen die Verfassung.

VerfGH: Kommunaler Finanzausgleich verfas­sungs­widrig

Der Verfas­sungs­ge­richtshof erklärte die Vorschriften über die Finan­z­aus­gleichsmasse und die Finanz­zu­wei­sungen (§§ 5 bis 18 LFAG) ab dem Jahr 2014 für unvereinbar mit der Landes­ver­fassung. Zur Sicherstellung einer geordneten Finanz- und Haushalts­wirt­schaft bleiben sie zwar vorübergehend weiterhin anwendbar; allerdings muss der Gesetzgeber bis spätestens zum 1. Januar 2023 eine verfas­sungs­gemäße Neuregelung des kommunalen Finan­z­aus­gleichs treffen.

Kommunalen Finan­z­ausstattung muss aufga­be­n­a­d­äquaten sein

Verfas­sungs­recht­licher Maßstab zur Prüfung von §§ 5 bis 18 LFAG sei Art. 49 Abs. 6 in Verbindung mit Art. 49 Abs. 1 bis 3 der Verfassung für Rheinland-Pfalz - LV -. Die Verfassungsnorm gewährleiste den Gemeinden und Gemein­de­ver­bänden eine Finan­z­ausstattung, die ihnen die Erfüllung aller zugewiesenen und im Rahmen der kommunalen Selbst­ver­waltung auch die Wahrnehmung (jedenfalls eines Mindest­be­standes) selbstgewählter Aufgaben ermögliche. Zentrales Element des Art. 49 Abs. 6 LV sei damit der vom Verfas­sungs­ge­richtshof bereits in seinem Urteil aus dem Jahr 2012 angesprochene Aufgabenbezug des kommunalen Finan­z­aus­gleichs. Das sich aus Art. 49 Abs. 6 LV ergebende Gebot einer aufga­be­n­a­d­äquaten kommunalen Finan­z­ausstattung garantiere indes keine Vollfi­nan­zierung kommunaler Aufgaben im Sinne einer kompletten Koste­n­er­stattung durch das Land. Aus der Pflicht zur Sicherung der "erforderlichen Mittel" nach Art. 49 Abs. 6 Satz 1 LV folge vielmehr, dass Aufwendungen der Kommunen, die das Gebot wirtschaft­licher und sparsamer Haushalts­führung nicht beachteten, unberück­sichtigt bleiben dürften. Zudem habe das Land zu prüfen, ob die Gemeinden und Gemein­de­verbände ihre Einnah­me­po­tentiale umfassend ausgeschöpft hätten.

Unterschreitung der aufga­be­n­a­d­äquaten kommunalen Finan­z­ausstattung nur in extremen finanziellen Notlagen möglich

Wegen der prinzipiellen Gleich­wer­tigkeit staatlicher und kommunaler Aufgaben dürften bei der Bemessung der kommunalen Finan­z­ausstattung die Belange des Landes nicht außer Acht gelassen werden. Allerdings seien dem Vorbehalt der Leistungs­fä­higkeit des Landes enge Grenzen gesetzt. Namentlich komme eine Unterschreitung der aufga­be­n­a­d­äquaten kommunalen Finan­z­ausstattung nur in extremen finanziellen Notlagen des Landes im Sinne von außer­ge­wöhnliche Notsituationen (Art. 117 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a LV) in Betracht.

Aufga­ben­be­zogene Bedarfs­er­mittlung unverzichtbar

Bei der Ausgestaltung des vertikalen Finan­z­aus­gleichs stehe dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Gestal­tungs­spielraum zu. Dieser finde seine Grenze allerdings in Art. 49 Abs. 6 Satz 1 LV, wonach die Aufgaben der Kommunen den verfas­sungs­recht­lichen Maßstab zur Bestimmung der angemessenen Finan­z­ausstattung bildeten. Auf die danach geforderte aufga­ben­be­zogene Bedarfsermittlung könne das Land auch nicht unter Verweis auf die Komplexität und den Aufwand entsprechender Analy­se­ver­fahren verzichten, zumal der Gesetzgeber schätzen und pauschalieren dürfe.

Gebot eines aufga­ben­ge­rechten Finan­z­aus­gleichs durch verfah­rens­rechtliche Vorgaben abgesichert

Das Gebot eines aufga­ben­ge­rechten Finan­z­aus­gleichs werde durch verfah­rens­rechtliche (prozedurale) Vorgaben abgesichert, die sich der Struktur der gesetz­ge­be­rischen Entscheidung über den Finanzausgleich und dem Schutzzweck des Art. 49 Abs. 6 Satz 1 LV entnehmen ließen. Der Gesetzgeber habe eine realitätsnahe Ermittlung der Kosten sowohl der Pflichtaufgaben der Selbst­ver­waltung als auch der den Kommunen übertragenen staatlichen Aufgaben vorzunehmen und ihre Einnahmequellen zu betrachten. Die wesentlichen Ergebnisse seiner(Bedarfs-)Ermittlungen und seine hierauf fußenden Erwägungen habe der Gesetzgeber durch Aufnahme in die Geset­zes­ma­te­rialien transparent zu machen. Auf diese Weise werde auch eine (verfas­sungs­ge­richtliche) Kontrolle ermöglicht, ob er sich im Rahmen seines Ermessens- und Beurtei­lungs­spielraums bewege. Zudem habe der Gesetzgeber die Stimmigkeit des kommunalen Finan­zie­rungs­systems in angemessenen Abständen zu überprüfen.

Geforderter Aufgabenbezug fehle beim gegenwärtigen Finan­z­aus­gleichs­system

Unter Berück­sich­tigung dieser Vorgaben stelle sich der im Jahr 2014 reformierte kommunale Finanzausgleich in Rheinland-Pfalz als verfas­sungs­widrig dar. Der von Art. 49 Abs. 6 LV geforderte Aufgabenbezug fehle bei dem gegenwärtigen Finan­z­aus­gleichs­system, das die anhand eines Verbun­d­quo­ten­modells ermittelte Finan­z­aus­gleichsmasse lediglich unter Berück­sich­tigung der Einnah­me­ent­wicklung des Landes fortschreibe. Die konkret zur Überprüfung gestellten Vorschriften sicherten den Gemeinden und Gemein­de­ver­bänden daher nicht "die zur Erfüllung ihrer eigenen und der übertragenen Aufgaben erforderlichen Mittel" im Sinne des Art. 49 Abs. 6 Satz 1 LV.

Hinweise und Bausteine für Neuregelung

Im Rahmen der Neuregelung komme dem Gesetzgeber ein weiter Gestal­tungs­spielraum zu, der verfas­sungs­rechtlich durch die Finan­z­ausstat­tungs­ga­rantie des Art. 49 Abs. 6 LV eingehegt werde. Während die kommunale Finan­z­ausstattung als solche aufgaben- und bedarf­s­o­ri­entiert ausgestaltet sein müsse, enthalte die Verfassung hinsichtlich des konkreten Berech­nungs­modells keine näheren Vorgaben. Gerade bei der Ermittlung und Bewertung der erforderlichen Daten sei der Gesetzgeber aber nicht auf sich allein gestellt, sondern könne etwa den Landes­rech­nungshof in das Verfahren einbinden. In diesem Zusammenhang enthält das Urteil auch einige nicht unmittelbar verbindliche Hinweise und Bausteine für eine zu treffende Neuregelung.

VerfGH mahnt Entlastung stark verschuldeter Kommune an

Schließlich sei das Land an die bereits im Jahr 2012 angemahnte Entlastung der stark verschuldeten Kommunen zu erinnern: Die Wirkungen des von Art. 49 Abs. 6 LV geforderten aufga­be­n­a­d­äquaten Finan­z­aus­gleichs könnten sich flächendeckend nur entfalten, wenn die mit Kassenkrediten belasteten Kommunen in die Lage versetzt würden, diese abzubauen und so dauerhaft zu einem materiellen Haushalts­aus­gleich zu finden. Ohne die Bereitstellung zusätzlicher Finanzmittel zu diesem Zweck erscheine dies nach wie vor ausgeschlossen.

Quelle: Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, ra-online (pm/ab)

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