18.10.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil03.05.2018

Staatliche Genehmigung einer privaten Ersatzschule darf nicht wegen fehlenden Angebots von Religi­o­ns­un­terricht versagt werdenGrundgesetz und Landes­ver­fassung schreiben Religi­o­ns­un­terricht lediglich für öffentliche Schulen verbindlich vor

Der Verwaltungs­gerichts­hof Baden-Württemberg hat entschieden, dass das Anbieten und Abhalten von Religi­o­ns­un­terricht grundsätzlich keine Voraussetzung darstellt, von der die staatliche Schulaufsicht die Erteilung einer Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer privaten Ersatzschule abhängig machen darf.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens hatte vor dem Verwal­tungs­gericht Stuttgart beantragt festzustellen, dass sie nicht verpflichtet sei, an den in ihrer Trägerschaft betriebenen Berufskollegs das Unterrichtsfach Religion anzubieten oder Religionsunterricht abzuhalten, und dies weder Voraussetzung der Genehmigung (§ 5 PSchG) noch der staatlichen Anerkennung (§ 10 PSchG) sei. Zur Begründung der Zulässigkeit der Klage berief sie sich auf Verlautbarungen des Regie­rungs­prä­sidiums Tübingen und des Kultus­mi­nis­teriums, wonach sowohl allge­mein­bildende als auch berufliche Ersatzschulen grundsätzlich das Fach Religion anbieten müssten und auch das ausschließliche Anbieten des Fachs Ethik anstelle von Religion nicht möglich sei, weil Ethik Ersatzfach sei und das Angebot an Religi­o­ns­un­terricht voraussetze.

Klage vor dem Verwal­tungs­gericht erfolglos

Das Verwal­tungs­gericht Stuttgart wies die Klage als unzulässig ab, weil der Klägerin jedenfalls das allgemeine Rechts­schutz­be­dürfnis fehle. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit der Berufung.

Klage vor dem VGH teilweise erfolgreich

Die Berufung der Klägerin hatte beim Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg teilweise Erfolg. Soweit die Klägerin festgestellt wissen wolle, dass das Anbieten beziehungsweise Abhalten von Religi­o­ns­un­terricht nicht Voraussetzung der staatlichen Anerkennung (§ 10 PSchG) sei, sei ihre Klage unzulässig. Denn sie betreibe derzeit keine staatlich anerkannten Privatschulen und strebe derzeit auch nicht die staatliche Anerkennung der bisher genehmigten Schulen an. Daher fehle es ihr insoweit am Rechts­schut­z­in­teresse.

Soweit die Klage auf die Feststellung gerichtet sei, dass die Klägerin nicht verpflichtet sei, an den in ihrer Trägerschaft betriebenen staatlich genehmigten Berufskollegs das Unterrichtsfach Religion anzubieten und abzuhalten, sei sie zulässig und begründet. Nach der insoweit mit Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG deckungs­gleichen Regelung des § 5 Abs. 1 Buchst. a PSchG sei die Genehmigung - von hier nicht streitigen weiteren Voraussetzungen abgesehen - zu erteilen, wenn die private Schule in ihren Lehrzielen nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehe. Der Verzicht auf das Unterrichtsfach Religion rechtfertige nicht die Bewertung, die Schulen der Klägerin stünden in ihren Lehrzielen hinter öffentlichen Schulen im Sinne von § 5 Abs. 1 Buchst. a PSchG, Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG zurück.

Für Ersatzschulen verbindlicher Standard an Erzie­hungs­zielen aus Verfassung ableitbar

Nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts sei der Staat aufgrund der Regelung des Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG nicht befugt, den privaten Ersatzschulen als Teil der "Lehrziele" auch ins einzeln gehende Erziehungsziele vorzuschreiben bzw. zu verbieten. Aus der Verfassung leite sich ein für die Ersatzschulen verbindlicher Standard an Erzie­hungs­zielen ab. Das seien im Einzelnen - positiv - das Gebot der Achtung der Würde eines jeden Menschen, Art. 1 Abs. 1 GG, und verbunden damit die Grundrechte der Art. 2 ff. GG, insbesondere das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Art. 2 Abs. 1 GG, und die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, Art. 3 Abs. 1 GG, sowie schließlich die in Art. 20 GG aufgeführten Verfas­sungs­grundsätze des demokratischen und sozialen Rechtsstaats. Im Bereich des Privat­schul­wesens überschritte der Staat jedenfalls seine Bestim­mungsmacht in Erzie­hungs­fragen, würde er sich in seinen Vorgaben nicht hierauf beschränken.

Grundgesetz und Landes­ver­fassung sehen kein Erfordernis der Erteilung von Religi­o­ns­un­terricht an privaten Ersatzschulen vor

Weder im Grundgesetz noch in der baden-württem­ber­gischen Landes­ver­fassung fänden sich Regelungen über das Erfordernis der Erteilung von Religi­o­ns­un­terricht an privaten Ersatzschulen. Lediglich für öffentliche Schulen schreibe Art. 18 Satz 1 LV bzw. Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG den Religi­o­ns­un­terricht verbindlich vor. Nach der Auffassung des Senats handele es sich dabei jedoch um eine Sonder­vor­schrift, deren Regelungsgehalt sich auf öffentliche Schulen beschränke. Einer erweiternden oder analogen Anwendung auf Privatschulen sei sie nicht - auch nicht mittelbar über die Regelung des § 5 Abs. 1 Buchst. a PSchG, Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG - zugänglich.

Entste­hungs­ge­schichte der Vorschrift und Regelungs­absicht entscheidend

Bestätigt werde der spezifische, auf öffentliche Schulen beschränkte Regelungsgehalt der Vorschrift vor allem durch die Entste­hungs­ge­schichte der Vorschrift und die Regelungs­absicht des Verfas­sungs­gebers, die darauf gerichtet gewesen sei, dem Religi­o­ns­un­terricht im öffentlichen Schulwesen im Interesse der Religi­o­ns­ge­mein­schaften eine Sonderstellung einzuräumen. Mit der Garantie des Religi­o­ns­un­ter­richts sichere der Verfas­sungsgeber den Religi­o­ns­ge­mein­schaften die besondere, in der Religion begründete und selbstbestimmte Aufgabe der religiösen Erziehung der Kinder in der öffentlichen Schule. Religi­o­ns­un­terricht im Sinne des Art. 18 Satz 1 LV, Art. 7 Abs. 3 GG sei also keine neutrale Religionskunde, sondern Vermittlung der Glaubenssätze der Religi­o­ns­ge­mein­schaft, die auch nicht vom Staat, sondern von der jeweiligen Religi­o­ns­ge­mein­schaft durchgeführt werde. Art. 18 Satz 1 LV bzw. Art. 7 Abs. 3 GG sei damit gerade nicht Ausdruck eines staatlich definierten Bildungs- und Erziehungsziels, sondern räume außer­staat­lichen Bildungs- und Erzie­hungs­trägern, den Religi­o­ns­ge­mein­schaften, die Möglichkeit schulbezogener Mitwirkung im Interesse der Religi­o­ns­freiheit ein.

Staats­kir­chen­rechtlich begründete Verpflichtung kann nicht ohne weiteres auf private Ersatzschulen übertragen werden

Dieser besondere Charakter der Verfassungsnorm schließe es nach Auffassung des Senats auch aus, in dem Angebot von Religi­o­ns­un­terricht ein Lehrziel im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a PSchG, Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG zu sehen, das bei der Genehmigung einer privaten Ersatzschule in die Prüfung der Gleich­wer­tigkeit einzubeziehen sei. Insbesondere lasse sich nicht feststellen, dass die letztlich staats­kir­chen­rechtlich begründete Verpflichtung des Staates auf diesem Wege ohne weiteres auf die privaten Ersatzschulen übertragen werden könne.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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