15.11.2024
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Dokument-Nr. 29306

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Beschluss15.10.2020Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg1 S 3156/20
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss15.10.2020

Corona-Verordnung: VGH Baden-Württemberg kippt Beher­ber­gungs­verbot in Baden-WürttembergBeher­ber­gungs­verbot wegen Unverhältnis­mäßigkeit außer Vollzug gesetzt

Der Verwaltungs­gerichtshof Baden-Württemberg hat einem Eilantrag gegen das baden-württem­ber­gische Beher­ber­gungs­verbot für Gäste aus deutschen Regionen, in denen die 7-Tage-Inzidenz von 50 neu gemeldeten SARS-CoV-2-Fällen pro 100.000 Einwohner überschritten wurde, stattgegeben.

§ 2 Abs. 1 der Corona-Verordnung Beherbergungsverbot des Wirtschafts- und Sozial­mi­nis­teriums vom 15. Juli 2020 (in der ab 29. August 2020 geltenden Fassung) untersagt die Beherbergung von Gästen, die sich in einem Land-, Stadtkreis oder einer kreisfreien Stadt innerhalb der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten oder darin ihren Wohnsitz haben, in dem der Schwellenwert von 50 neu gemeldeten SARS-CoV-2-Fällen pro 100.000 Einwohner in den vorangehenden sieben Tagen (7-Tage-Inzidenz) überschritten wurde. Die Verordnung sieht eine Ausnahme von diesem Beher­ber­gungs­verbot vor, wenn die Gäste einen negativen Coronatest vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden ist (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 3 CoronaVO Beher­ber­gungs­verbot).

Antragsteller halten das Beher­ber­gungs­verbot für willkürlich

Die Antragsteller haben für die Zeit vom 16. Oktober 2020 bis zum 23. Oktober 2020 einen Urlaub­s­auf­enthalt im Landkreis Ravensburg gebucht. Am 10. Oktober 2020 wurde im Kreis Recklinghausen, in dem die Antragsteller wohnen, die 7-Tage-Inzidenz von 50 neu gemeldeten Sars-CoV-22 Fällen pro 100.000 Einwohner überschritten. Sie wenden sich gegen das Beher­ber­gungs­verbot und tragen vor, dieses mache den Aufenthalt in der gebuchten Unterkunft - die über 2.000 € gekostet habe - unmöglich und sei daher unver­hält­nismäßig und willkürlich. Die Möglichkeit zur Vorlage eines negativen Coronatests diskriminiere Gäste aus Regionen mit schlechten Testkapazitäten und Familien. Es sei bei vorangehenden Testungen in der Familie nie gelungen, das Testergebnis innerhalb von weniger als 72 Stunden zu erlangen. Weiterhin müsse der Test privat bezahlt werden und belaste die Antragsteller mit ihren drei Kindern mit Gesamtkosten von 774,55 € (154,91 € pro Test) erheblich.

Landesregierung verteidigt das Beher­ber­gungs­verbot

Die Landesregierung (Antragsgegner) ist dem Antrag entge­gen­ge­treten. Das Beher­ber­gungs­verbot sei verhältnismäßig. Zahlreiche Ferienregionen, unter anderem in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern hätten im Hinblick auf die Eindämmung des Infek­ti­o­ns­ge­schehens in der jüngeren Vergangenheit sehr gute Erfahrungen mit Reise­be­schrän­kungen gemacht. Angesichts von mehr als 5.000 nachgewiesenen Neuinfektionen pro Tag sei aktuell nicht die Zeit, Beschränkungen zurückzunehmen.

Richter: Beher­ber­gungs­verbot greift in unver­hält­nis­mäßiger Weise in das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG ein

Der 1. Senat des VGH hat dem Antrag stattgegeben und §§ 2 und 3 der CoronaVO Beher­ber­gungs­verbot mit sofortiger Wirkung vorläufig außer Vollzug gesetzt. Zur Begründung führt er aus: Das Beher­ber­gungs­verbot greife in unver­hält­nis­mäßiger Weise in das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG ein und sei daher voraussichtlich verfas­sungs­widrig. Eingriffszweck und Eingriff­sin­tensität stünden nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinander. Der Antragsgegner verfolge mit der Eindämmung der Pandemie den Schutz von hochrangigen Rechtsgütern. Die Vorschrift diene dazu, Gefahren für das Leben und die körperliche Unversehrtheit einer potenziell großen Zahl von Menschen abzuwehren und die Leistungs­fä­higkeit des Gesund­heits­systems in Deutschland durch die Verlangsamung des Infek­ti­o­ns­ge­schehens sicherzustellen.

Hohes Infek­ti­o­ns­risiko im Zusammenhang mit der Beherbergung nicht dargelegt

Jedoch habe der Antragsgegner bereits nicht dargelegt, dass im Zusammenhang mit der Beherbergung ein besonders hohes Infek­ti­o­ns­risiko bestehe, dem mit so drastischen Maßnahmen begegnet werden müsste. Derzeit seien trotz steigender Fallzahlen in Deutschland keine Ausbruchs­ge­schehen in Beher­ber­gungs­be­trieben bekannt. Vielmehr sei aktueller „Treiber“ der Pandemie das Feiern in größeren Gruppen oder der Aufenthalt in Bereichen, wo die Abstands- und Hygieneregeln aufgrund räumlicher Enge, z.B. in der Schule oder in verschiedenen Wohnsituationen (z.B. Pflegeheimen oder Flücht­lings­un­ter­künften) nicht eingehalten würden. Die Landesregierung sei verpflichtet, fortlaufend und differenziert zu prüfen, ob konkrete Grund­recht­s­ein­griffe auch weiterhin zumutbar seien und ob das Gesamtkonzept von Beschränkungen und Lockerungen noch in sich stimmig und tragbar sei. Bis auf Clubs und Discotheken seien sämtliche Geschäfte, Freizeit- und Sport­ein­rich­tungen, Gaststätten, Bars und Vergnü­gungs­stätten wieder - wenn auch mit Schutz­vor­keh­rungen - geöffnet. Dass gerade Beher­ber­gungs­be­triebe, in denen nicht zwangsläufig eine große Zahl fremder Menschen aufein­an­der­träfen, sondern Gäste in abgeschlossenen Räumlichkeiten ggf. mit einer überschaubaren Personenanzahl übernachteten und deren Kontaktdaten hinterlegt seien, davon ausgenommen würden, erschließe sich nicht.

Kurzfristiger Corona-Test nicht zumutbar

Es sei den Antragstellern nicht zumutbar, sich auf die Möglichkeit verweisen zu lassen, negative Coronatests vorzulegen. Nach derzeitiger Sachlage erscheine es nicht hinreichend gewährleistet, dass ein solcher Test von Reisenden überhaupt so kurzfristig erlangt werden könne. Schon aus rein organi­sa­to­rischer Sicht sei fraglich, ob dieses enge Zeitfenster, in dem eine Abstri­chentnahme durch medizinisches Fachpersonal, der Transport der Proben ins Labor sowie die Übermittlung des Ergebnisses und schließlich das Erscheinen des Gastes im Beher­ber­gungs­betrieb stattfinden müsse, überhaupt eingehalten werden könne.

Quelle: VGH Baden-Württemberg, ra-online (pm/pt)

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