23.11.2024
23.11.2024  
Sie sehen eine große Solaranlage.

Dokument-Nr. 12320

Drucken
Urteil01.09.2011Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg1 S 1070/11
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • DÖV 2011, 943Zeitschrift: Die Öffentliche Verwaltung (DÖV), Jahrgang: 2011, Seite: 943
  • DVBl 2011, 1418Zeitschrift: Das Deutsche Verwaltungsblatt (DVBl), Jahrgang: 2011, Seite: 1418
  • IBR 2012, 46Zeitschrift: Immobilien- und Baurecht (IBR), Jahrgang: 2012, Seite: 46
  • NVwZ-RR 2012, 222Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungsreport (NVwZ-RR), Jahrgang: 2012, Seite: 222
Für Details Fundstelle bitte Anklicken!
ergänzende Informationen

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil01.09.2011

Denkmalschutz kontra Klimaschutz – Fotovol­taik­anlage auf denkmal­ge­schützter PfarrscheuerBelangen des Denkmalschutzes ist auch bei erheblicher Beein­träch­tigung nicht automatisch Vorrang gegenüber Belangen des Klimaschutzes einzuräumen

Durch Fotovol­taik­anlagen hervorgerufene Beein­träch­ti­gungen eines Kulturdenkmals sind wegen des in der Verfassung verankerten Klimaschutzes in stärkerem Maße hinzunehmen als Beein­träch­ti­gungen durch andere bauliche Veränderungen. Dies entschied der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg.

Im zugrunde liegenden Fall beantragte die Kirchengemeinde St. Urban 2008 die denkmal­schutz­rechtliche Genehmigung zum Aufbau einer Fotovol­taik­anlage auf ihrer Pfarrscheuer, die sich neben der katholischen Pfarrkirche und dem dazugehörigen Pfarrhaus am Ortsrand der Gemeinde Emeringen befindet. Das Landratsamt Alb-Donau-Kreis lehnte die Genehmigung nach Einholung einer Stellungnahme des Referats Denkmalpflege beim Regie­rungs­prä­sidium Tübingen ab. Das Regie­rungs­prä­sidium hatte darauf verwiesen, dass die Pfarrscheuer sich im Ensemble von Kirche und Pfarrhaus befinde, die beide Kulturdenkmale von besonderer Bedeutung seien. Die spiegelnde Glasdachdeckung der Fotovol­taik­anlage beeinträchtige sowohl das Kulturdenkmal als auch die Umgebung über alle Maßen.

Denkmal­schutz­behörde muss erneut über Geneh­mi­gungs­antrag entscheiden

Nach erfolglosem Wider­spruchs­ver­fahren erhob die Kirchengemeinde Klage beim Verwal­tungs­gericht Sigmaringen. Dort blieb sie ohne Erfolg. Auf ihre Berufung verpflichtete der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg die Denkmal­schutz­behörde, noch einmal über den Geneh­mi­gungs­antrag zu entscheiden.

Erschei­nungsbild durch Fotovol­taik­anlage nicht erheblich beeinträchtigt

Nach Einnahme eines Augenscheins kam der Verwal­tungs­ge­richtshof zu dem Ergebnis, dass eine Fotovol­taik­anlage das Erschei­nungsbild der - wegen seiner heimat­ge­schicht­lichen Bedeutung als einfaches Kulturdenkmal unter Denkmalschutz stehenden - Pfarrscheuer nicht erheblich beeinträchtige. Bei dieser Einschätzung komme es auf das Empfinden des für Belange des Denkmalschutzes aufge­schlossenen Durch­schnitts­be­trachters an, heißt es in den Entschei­dungs­gründen. Dieses Empfinden werde beeinflusst durch die tatsächliche Entwicklung der letzten Jahre, in denen Fotovol­taik­anlagen auf Dächern - gerade auch auf Scheunendächern - in so großer Zahl errichtet worden seien, dass derartige Anlagen in ländlich strukturierten Gegenden heute zum normalen Erschei­nungsbild gehörten. Der Durch­schnitts­be­trachter nehme solche Anlagen daher nicht mehr als exotische Fremdkörper wahr, die schon per se und erst recht auf einem Kulturdenkmal als störend empfunden würden, wie dies vielleicht in der Anfangszeit der Nutzung dieser Technik noch der Fall gewesen sei. Vielmehr sei ein Gewöh­nungs­effekt eingetreten, der durch die gewandelten Anschauungen über die Notwendigkeit der vermehrten Nutzung regenerativer Energien und die damit einhergehende positive Grund­ein­stellung des Durch­schnitts­be­trachters zu dieser Form der Energie­ge­winnung noch verstärkt werde.

Regie­rungs­prä­sidium stellt bei Hinweis auf Beein­träch­ti­gungen auf Kirche, Pfarrhaus und Pfarrscheuer als „Ensembles“ ab

Allerdings, so das Gericht weiter, würde eine Fotovol­taik­anlage auf dem Dach der Pfarrscheuer das unter besonderem Schutz stehende und wegen seiner Lage auch besonders schützenswerte Erschei­nungsbild des Pfarrhauses und der Pfarrkirche - als einzelne Kulturdenkmale - erheblich beeinträchtigen. Deshalb sei der Antrag aber noch nicht abzulehnen. Vielmehr habe die Denkmal­schutz­behörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob sie die Genehmigung dennoch erteile. Bei dieser Entscheidung sei dem Regie­rungs­prä­sidium ein Fehler unterlaufen. Es habe auf eine Beein­träch­tigung des „Ensembles“ aus Kirche, Pfarrhaus und Pfarrscheuer abgestellt und damit einen falschen rechtlichen Bezugspunkt gewählt. Die zuständige Behörde müsse daher erneut über den Geneh­mi­gungs­antrag entscheiden. Hierbei sei die Rechts­auf­fassung des Verwal­tungs­ge­richtshofs zu beachten.

Kirchengemeinde kann sich bei Errichtung der Fotovol­taik­anlage nicht auf kirchliches Selbst­be­stim­mungsrecht oder die Religi­o­ns­freiheit berufen

In diesem Zusammenhang führte das Gericht aus, dass bei der zu treffenden Ermes­sen­s­ent­scheidung das öffentliche Interesse an der Erschließung erneuerbarer Energien mit dem ihm zukommenden Gewicht in die Abwägung einzustellen sei. Denn der Klimaschutz sei als Staats­ziel­be­stimmung im Grundgesetz und in der Landes­ver­fassung verankert. Das bedeute, dass den Belangen des Denkmalschutzes auch bei einer erheblichen Beein­träch­tigung nicht automatisch der Vorrang gegenüber den Belangen des Klimaschutzes einzuräumen sei. Es spreche einiges dafür, dass das Regie­rungs­prä­sidium dies bisher nicht hinreichend beachtet habe, urteilte das Gericht. Dagegen sei die Gewinnung regenerativer Energien, auch wenn sie religiös motiviert sei, keine Religi­o­ns­ausübung. Die Kirchengemeinde könne sich daher nicht auf ihr kirchliches Selbst­be­stim­mungsrecht oder die Religi­o­ns­freiheit berufen.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil12320

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI