21.11.2024
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Sie sehen einen Teil der Glaskuppel und einen Turm des Reichstagsgebäudes in Berlin.

Dokument-Nr. 30829

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Verwaltungsgericht Wiesbaden Beschluss16.09.2021

Ergebnisse der „Sonntagsfrage“ unter Einbeziehung der Briefwähler dürfen auch vor der Bundestagswahl veröffentlicht werdenVeröf­fent­lichung der Ergebnisse der Befragung stellt kein Verstoß gegen das Bundes­wahl­gesetz dar

Mit Eilentscheidung hat das Verwal­tungs­gericht Wiesbaden auf Antrag des Meinungs­forschungs­instituts forsa festgestellt, dass es nicht gegen § 32 Abs. 2 BWahlG verstößt, wenn forsa vor dem Wahltag der Bundestagswahl Ergebnisse von Befragungen veröffentlicht, denen auch die Angaben von Briefwählern über ihre bereits getroffenen Wahlent­schei­dungen zugrunde liegen.

Die Antragstellerin forsa ist ein Unternehmen der Meinungsforschung und veröffentlicht unter anderem auf Grundlage telefonischer Wähler­be­fra­gungen Stimmungsbilder („Prognosen“) zum Wählerverhalten bei der Bundestagswahl am 26. September 2021 („Sonntagsfrage“). Die Antragstellerin liefert ihre Umfra­ge­er­gebnisse an ihren Auftraggeber, das Medien­un­ter­nehmen RTL/n-tv, und über einen Verteiler („Trendba-rometer“) auch an zahlreiche anderen Medien, die diese Zahlen ebenfalls veröffentlichen können. Zu den Befragten gehören bei Umfragen der Antragstellerin sowohl Wähler, die ihre Stimme bei der Urnenwahl am 26. September 2021 abgeben wollen, als auch Wähler, die ihre Stimme bereits bei der seit August möglichen Briefwahl abgegeben haben. Sobald vor einer Wahl die Möglichkeit besteht, die Stimme per Briefwahl abzugeben, fragt die Antragstellerin die Umfra­ge­teil­nehmer zunächst, ob und gegebenenfalls wie sie bereits per Brief gewählt haben; wer noch nicht gewählt hat, wird nach seiner voraus­sicht­lichen Wahlent­scheidung gefragt. Die Antragstellerin beabsichtigt, das Stimmverhalten der Briefwähler in die Umfra­ge­er­gebnisse einzubeziehen, die sie veröffentlicht, ohne sie aber getrennt auszuweisen.

Bundes­wahl­leiter drohte mit Bußgeld in Höhe von 50.000 EUR

Der Antragsgegner, der Bundes­wahl­leiter, bat die Antragstellerin wie auch die anderen Meinungs­for­schungs­in­stitute, mit Blick auf ein drohendes Bußgeld in Höhe von 50.000 EUR von der Veröffentlichung von Umfragen abzusehen, in die die Antworten von Briefwählern eingeflossen seien. Die Antragstellerin verstoße nämlich gegen § 32 Abs. 2 Bundes­wahl­gesetz. § 32 Abs. 2 Bundes­wahl­gesetz lautet: „Die Veröf­fent­lichung von Ergebnissen von Wähler­be­fra­gungen nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlent­scheidung ist vor Ablauf der Wahlzeit unzulässig.“ Die Wahlzeit endet am 26. September 2021 um 18 Uhr.

Freiheit der Berich­t­er­stattung erlaubt Veröf­fent­lichung

Nach Auffassung der Kammer ist der Antrag auf vorläufige Feststellung begründet. Zwar könne das Verbot der Veröf­fent­lichung von Wähler­be­fra­gungen dem Wortlaut der Vorschrift nach auch auf die Zeit vor dem Wahltag erstreckt werden. Aus verfas­sungs­recht­licher Sicht sei aber ein Verbot der Veröf­fent­lichung von Umfra­ge­er­geb­nissen, die auch auf Grundlage von Nachwahl­be­fra­gungen zustande gekommen seien, eng auszulegen und in jedem Fall nicht auf die Zeit vor dem Wahltag zu erstrecken. Denn die Veröf­fent­lichung von Wahlumfragen sei durch die Grundrechte der Antragstellerin geschützt. Auch müsse berücksichtigt werden, dass das Veröf­fent­li­chungs­verbot auch die Freiheit der Berichterstattung der Medien beeinträchtige und damit erheblich in das für eine Demokratie zentrale Grundrecht der freien Medien (Art. 5 Abs. 1 GG) eingreife. Die Veröf­fent­lichung von Wählerumfragen gehöre zum politischen und demokratischen Prozess und sei ein zulässiger Beitrag zum öffentlichen Diskurs gerade im Vorfeld einer Wahl. Die Freiheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 GG) schütze vor Wähler­be­ein­flussung durch Täuschung, Drohung oder Gewalt, nicht aber vor wahrheits­gemäßen Tatsa­chen­be­haup­tungen wie Meinungsumfragen. Mit seiner auf eine weite Auslegung des § 32 Abs. 2 Bundes­wahl­gesetz gestützten Bußgeldan­drohung verletze der Antragsgegner daher die Grundrechte der Antragstellerin. Gegen den Beschluss können die Beteiligten binnen zwei Wochen Beschwerde einlegen, über die der Hessische Verwal­tungs­ge­richtshof in Kassel zu entscheiden hätte. Die Feststellung gilt bis zur Entscheidung der Kammer über die in der Hauptsache erhobene Feststel­lungsklage von forsa. Die Kammer weist darauf hin, dass mit der Entscheidung keine Aussage darüber getroffen wurde, ob Meinungs­for­schungs­in­stitute auch am Wahltag Umfra­ge­er­gebnisse auf Grundlage von Nachwahl­be­fra­gungen veröffentlichen dürfen.

Quelle: Verwaltungsgericht Wiesbaden, ra-online (pm/ab)

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