21.11.2024
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Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil12.11.2013

Afghanin erhält nach missachtetem Heiratsverbot Flüchtlings­anerkennung in DeutschlandWegen patri­a­r­cha­lischer Anschauungen im Heimatland drohende Strafen für Leib und Leben sind als Verfolgung wegen des Geschlechts zu werten

Heiraten Frauen in Afghanistan trotz familiären Verbots, kann die Verfolgung durch Famili­en­mit­glieder eine Anerkennung als Flüchtling in Deutschland begründen. Denn müssen Frauen wegen der dort herrschenden patri­a­r­cha­lischen Anschauungen mit empfindlichen Strafen für Leib und Leben rechnen, stellt dies eine Verfolgung wegen des Geschlechts dar. Dies entschied das Verwal­tungs­gericht Stuttgart.

Dem Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Das 1987 und 1989 geborene afghanische Ehepaar floh 2010 nach Deutschland. Die damals schwangere Frau hatte angegeben, dass sie ihren Mann gegen den Willen ihrer Eltern aus Liebe geheiratet habe. Daraufhin seien sie und ihr Mann von ihren Brüdern mehrfach geschlagen und mit dem Tod bedroht worden. Sie habe ihre Familie „entehrt“, so der Vorwurf. Denn sie sei vorher ihrem Cousin versprochen gewesen. Hilfe von den afghanischen Behörden sei nicht zu erwarten. In Deutschland sei der Ehemann zudem vom islamischen zum christlichen Glauben konvertiert, weshalb ihm wegen seines Glaubens­wechsels vom Islam zum Christentum in Afghanistan die Todesstrafe drohe.

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnt Asylantrag ab

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte den Asylantrag der Kläger abgelehnt. Staatliche Verfolgung sei nicht vorgetragen worden. Ihnen drohe wegen der Eheschließung auch keine landesweite Verfolgung durch Familien­an­ge­hörige.

Von der Klägerin geschilderte Vorfälle sind rechtlich als Verfolgung wegen ihres Geschlechts zu werten

Dem ist das Verwal­tungs­gericht Stuttgart nicht gefolgt und entschied, dass die Kläger als Flüchtlinge anzuerkennen seien. Die Angaben der Kläger seien glaubhaft - füge sich ihre Schilderung doch ohne weiteres in die Erkenntnisse des Gerichts über die konservativ-patri­a­r­cha­lische Gesellschaft Afghanistans ein. Zwangsheirat sei in Afghanistan nach wie vor an der Tagesordnung und es gebe Anzeichen, dass die Fortschritte bei der Lage der Frauen wieder rückgängig gemacht würden. Die von den Klägern geschilderten Vorfälle seien rechtlich als Verfolgung der Klägerin wegen ihres Geschlechts zu werten, denn sie habe sich als Frau den herrschenden patri­a­r­cha­lischen Anschauungen fügen sollen und habe mit empfindlicher Strafe für Leib oder Leben rechnen müssen, da sie sich ihren Eltern und ihren Brüdern widersetzt habe. Die Verfolgung ginge zwar von nicht­staat­lichen Akteuren - hier die Famili­en­mit­glieder der Ehefrau - aus. Staatlicher Schutz sei aber nicht zu erwarten. Die Kläger seien bei einer Rückkehr auch landesweit gefährdet. Die Kläger könnten als Familie mit (nun) kranker Ehefrau und zwei kleinen Kindern ohne Netzwerk und ohne finanzielle Mittel in Afghanistan nicht überleben.

Rückkehr des Ehemanns nach Afghanistan würde mit „beachtlicher Wahrschein­lichkeit“ den Tod bedeuten

Dem Ehemann drohe bei einer Rückkehr zudem religiöse Verfolgung. Der Übertritt zum Christentum würde für ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit „beachtlicher Wahrschein­lichkeit“ den Tod bedeuten.

Quelle: Verwaltungsgericht Stuttgart/ra-online

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