21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen eine Reihe mit gelben Aktenordnern, die mit Barcodes markiert sind.
ergänzende Informationen

Verwaltungsgericht Neustadt Beschluss09.02.2017

Verunreinigte Gräber: Saatkrähen dürfen dennoch vorerst weiter auf Friedhof nistenBaumrückschnitt stellt "Beschädigung und Zerstörung" der Fortpflanzungs­stätte dar

Das Verwal­tungs­gericht Neustadt hat entschieden, dass eine Ortsgemeine vorläufig keinen Anspruch auf Erteilung einer natur­schutz­rechtlichen Gestattung hat, um vier Platanen, auf denen während der Brutzeit von März bis Juni eine Saatkrä­hen­kolonie nistet und brütet, auf ihrem Friedhof um 20 % zu kürzen.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Auf dem nördlich der Ortslage gelegenen Friedhof von Lambsheim, der mit einer Vielzahl von Bäumen überstellt ist, hat sich seit 2009 auf vier hohen Platanen eine Saatkrä­hen­kolonie mit 20 - 25 Brutpaaren angesiedelt und Nistplätze gebaut. In den vergangenen Jahren kam es zunehmend zu Beschwerden von Bürgern über die Saatkrähen auf dem Friedhof. So beklagten Gemeindebürger die Verunreinigung der aus Marmor, Granit oder Sandstein eingefassten Gräber, Wege und Abfalltonnen sowie der Bekleidung bei der Grabpflege durch Vogelkot und ferner die Störung der Trauerfeiern durch die Rufe der Saatkrähen. Von der Verunreinigung sind etwa 39 Gräber betroffen.

Ortgemeinde bittet um Genehmigung zum Abschuss der Saatkrähen

Im April 2012 wandte sich die Ortsgemeine Lambsheim (im Folgenden: Antragstellerin) erstmals an die Struktur- und Geneh­mi­gungs­di­rektion Süd in Neustadt (im Folgenden SGD) und bat um Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für den Abschuss der Saatkrähen auf dem Gemein­de­friedhof. Nach Erhalt einer negativen Antwort verfolgte die Antragstellerin dieses Begehren nicht weiter.

Ortsgemeinde beantragt Durchführung eines Kronenschnitts der Platanen

Am 24. Oktober 2016 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Durchführung eines Kronenschnitts der Platanen auf ihrem Friedhof um mindestens 20 %. Diesen begründete die Antragstellerin damit, dass die Gräber und Wege im Bereich der Platanen durch die Vögel stark verunreinigt und die Grabsteine zum Teil nachhaltig beschädigt würden. Für die regelmäßige Säuberung der betroffenen Grabstätten bzw. für andere Schutzmaßnahmen entstünden der Gemeinde unzumutbar hohe Kosten. Bei den betroffenen Bäumen bestehe im Übrigen der Verdacht eines Befalls mit dem Massariapilz.

Ordnungsgemäße Pflege der Gräber oder Möglichkeit zur Trauer am Grab während Brutzeit nahezu unmöglich

Mit Bescheid vom 17. Januar 2017 lehnte die SGD Süd das Begehren der Antragstellerin ab. Daraufhin legte die Antragstellerin Widerspruch ein und suchte am 1. Februar 2017 um vorläufigen Rechtsschutz nach. Zur Begründung führte sie aus, dass es den Inhabern der Gräber schlechterdings nicht möglich sei, während der Brutzeit die Gräber ordnungsgemäß zu pflegen oder am Grab des Verstorbenen zu trauern, da ein Aufenthalt auch nur von kurzer Dauer dazu führe, dass der Betreffende von Vogelkot getroffen würde. Der Aufenthalt sei in diesem Bereich ohne entsprechenden Schutz durch Regenmantel, Mütze, Regenschirm oder sonstige Planen nicht möglich, da man ansonsten von den sich auf den Bäumen aufhaltenden Saatkrähen vollgekotet werde. Auch Trauerfeiern in diesem Bereich würden gestört, nicht nur durch Kot, sondern auch durch die Rufe der Tiere. Aufgrund der massiven Beein­träch­tigung der Nutzer des Friedhofs könne sie, die Antragstellerin, nicht noch einmal eine weitere Brutzeit hinnehmen. Sie wolle vor dem 15. Februar 2017 den teilweisen Rückschnitt der vier Platanen im Kronenbereich vornehmen.

Kürzen der Bäume bei unzumutbaren und abwehrfähigen Beein­träch­ti­gungen für Friedhofsnutzer grundsätzlich möglich

Das Verwal­tungs­gericht Neustadt lehnte den Eilantrag mit der Begründung ab, dass die Antragstellerin nicht ausreichend dargelegt habe, dass ihr kurzfristig ein Anspruch auf Erteilung einer natur­schutz­recht­lichen Genehmigung für den beabsichtigten Kronenschnitt zustehe. Zwar sei die Antragstellerin als Betreiberin des gemeindeeigenen Friedhofs gegenüber den Fried­hofs­nutzern verpflichtet, eine störungsfreie Nutzung des Friedhofs zu gewährleisten, für die Sicherheit des sich auf dem Friedhof abspielenden Verkehrs zu sorgen und das Fried­hofs­gelände jederzeit in einem Zustand zu halten, der für die Benutzer keine Gefahren entstehen lasse. Zur Ermöglichung einer ordnungsgemäßen Nutzung der Grabstelle und des Friedhofs gehöre auch die gesell­schaftlich anerkannte würdevolle Ausübung des Totengedenkens. Nach dem hiesigen Brauchtum sei eine Grabstelle für Angehörige und andere nahestehende Personen ein Ort des Gedenkens an den Verstorbenen. Es sei gesell­schaftlich üblich, die Grabstelle zu pflegen und mit Blumenschmuck zu dekorieren. Die Antragstellerin habe daher dafür Sorge zu tragen, dass diese Ausübung des Totengedenkens möglich sei und nicht durch Beschädigungen von Wildtieren empfindlich gestört werde. In Betracht komme daher auch das Kürzen der Bäume, wenn etwa von darin nistenden Vögeln unzumutbare und abwehrfähige Beein­träch­ti­gungen für die Friedhofsnutzer ausgingen.

Bundes­na­tur­schutz­gesetz verbietet Beschädigen oder Zerstören von Fortpflan­zungs­stätten

Das Bundes­na­tur­schutz­gesetz (BNatSchG) verbiete jedoch in § 44 Abs. 1 Nr. 3 das Beschädigen oder Zerstören von Fortpflan­zungs­stätten von wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten, zu denen auch die Saatkrähe gehöre. Der von der Antragstellerin geltend gemachte Umstand, dass die Saatkrähe neuerdings nicht mehr gefährdet sei, ändere nichts an deren Einstufung als wild lebende Tiere der besonders geschützten Arten. Das Rückschneiden der Platanen auf dem Friedhof der Antragstellerin, in deren Baumkronen die Saatkrähen nisteten und brüteten, um 20 % stelle eine "Beschädigung und Zerstörung" der Fortpflan­zungs­stätte dar.

Gründe für Zulassung einer Ausnah­me­ge­neh­migung nicht ausreichend dargelegt

Die Antragstellerin habe bisher nicht ausreichend dargetan, dass die Zulassung einer Ausnahme von dem Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG im Interesse der Gesundheit des Menschen oder der öffentlichen Sicherheit (§ 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG) in Betracht komme. Die Fried­hofs­be­sucher würden zwar ohne Zweifel durch die Saatkrähen belästigt, auch könne eine Erkrankung von Menschen durch den Kontakt mit Krähenkot nicht völlig ausgeschlossen werden. Es scheine aber eher unwahr­scheinlich, dass Vögel eine konstante direkte Infek­ti­o­ns­quelle für den Menschen darstellten. Hinzu komme, dass vorliegend ein entsprechender Kontakt nur saisonal gegeben sei. Die Rufe der Krähen stellten auch keine Gesund­heits­be­ein­träch­tigung für Menschen dar. Auch wenn das Rufen der Saatkrähen in der Regel als lästig empfunden werde, sei nicht ersichtlich, dass hierdurch eine konkrete Gesund­heits­ge­fährdung eintreten könnte. Denn die Fried­hofs­be­sucher hielten sich regelmäßig nicht länger auf dem Friedhof auf.

Baumkürzen voraussichtlich kein wirksames Mittel zur Bekämpfung des "Saatkrä­hen­problems"

Selbst wenn man annehme, dass hier wegen der Verschmutzung der Grabstellen und Bekleidung von Fried­hofs­nutzern sowie der Störung der Ausübung des Totengedenkens die öffentliche Sicherheit betroffen sei, habe die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass allein das Kürzen der vier Platanen als einzige richtige Behör­den­ent­scheidung in Betracht komme. Das Gericht halte es nicht für überwiegend wahrscheinlich, dass die beabsichtigte isolierte Maßnahme des Baumkürzens ein taugliches Mittel darstelle, um das gegenwärtige Saatkrä­hen­problem auf dem Gemein­de­friedhof in den Griff zu bekommen.

Baumkürzung würde Verschmut­zungs­pro­blematik innerhalb des Friedhofs aller Wahrschein­lichkeit nach nur verlagert

Auf dem Friedhof der Antragstellerin befänden sich derzeit 102 Laub- und Nadelbäume. In der Wahl der Nestbäume seien Saatkrähen sehr variabel. Sie bevorzugten Randflächen, da diese Bereiche sowohl einen guten Überblick als auch bessere An- und Abflug­be­din­gungen zu den dort errichteten Nestern böten. Im Falle der Entfernung von Nestern wichen Saatkrähen problemlos auf andere Bäume in der näheren Umgebung aus. Es sei daher überwiegend wahrscheinlich, dass die Saatkrähen im Falle der Kürzung der vier Platanen auf dem Gemein­de­friedhof der Antragstellerin auf die benachbarten Bäume ausweichen würden. Nach den Erfahrungen von Ornithologen bauten Saatkrähen nach einer Neste­rent­fernung innerhalb weniger Tage neue Nester im Umfeld der entfernten Nester. Hinzu komme, dass Saatkrähen immer wieder versuchten, an ihren ursprünglichen Brutstandort, auf den sie geprägt seien, zurückzukehren und Vergrä­mungs­ak­tionen durch Neste­rent­fernung zur Bildung von Split­ter­ko­lonien führten. Diese hätten meist auch eine Zunahme der Gesamtzahl der Brutpaare zur Folge. Hier stünden westlich der vier Platanen drei Winterlinden oder nördlich vier weitere Laubbäume der Arten Hainbuche, Robinie und Winterlinde. Auch unter diesen Bäumen befänden sich Gräber, so dass davon auszugehen sei, dass die Verschmut­zungs­pro­blematik innerhalb des Friedhofs nur verlagert würde.

Zumutbare Alternativen zur Bekämpfung des Problems vorhanden

Das Verwal­tungs­gericht hege ferner Bedenken, die Vertreibung einer Saatkrä­hen­kolonie mittels Beschädigung der Fortpflan­zungs­stätten zuzulassen, ohne in der Regel fachlich fundiert das Vorhandensein eines geeigneten Ersatz­stan­dortes für die Krähen geprüft zu haben. Lasse man dies außer Acht und gehe zugunsten der Antragstellerin auch wegen der besonderen Bedeutung der würdevollen Ausübung des Totengedenkens vom Vorliegen der Tatbe­stands­vor­aus­set­zungen des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG im Interesse der öffentlichen Sicherheit aus, sei aber weiter nach § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG zu prüfen, ob u.a. zumutbare Alternativen gegeben seien. Nach Auffassung des Gerichts seien alternative Methoden wie die Anbringung von Krähenklappen oder die Reduzierung der Verschmutzung durch Krähenkot durch die temporäre Verwendung von Planen oder Sonnensegel unterhalb der Horstbäume hier nicht von vornherein aussichtslos.

Befall der Bäume mit Massariapilz nicht ausreichend nachgewiesen

Der Antragstellerin stehe im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch kein Anspruch auf Erteilung einer Befreiung nach § 67 Abs. 1 BNatSchG zu. Mit ihrer Behauptung, bei den betroffenen Platanen auf dem Gemein­de­friedhof bestehe der Verdacht eines Befalls mit dem Massariapilz, habe die Antragstellerin bereits nicht ausreichend dargetan, dass die Platanen tatsächlich von der Massaria-Krankheit befallen seien.

Quelle: Verwaltungsgericht Neustadt/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss23847

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI