18.10.2024
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Dokument-Nr. 29946

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Verwaltungsgericht Köln Beschluss05.03.2021

Verwal­tungs­gericht Köln untersagt Verfas­sungs­schutz per Hängebeschluss vorerst Einstufung der AfD als "Verdachtsfall"Eilantrag der AfD wird stattgegeben

In dem gegen die Einstufung als "Verdachtsfall" durch das Bundesamt für Verfas­sungs­schutz (BfV) gerichteten Eilverfahren hat das Verwal­tungs­gericht Köln einem erneuten Antrag der Alternative für Deutschland (AfD) auf Erlass einer Zwischen­ent­scheidung (sog. Hängebeschluss) stattgegeben. Mit Beschluss vom 05.03.2021 untersagte das Gericht dem BfV bis zu einer Entscheidung über den von der AfD gestellten Eilantrag, die Partei als "Verdachtsfall" einzustufen oder zu behandeln sowie eine Einstufung oder Behandlung als "Verdachtsfall" erneut bekanntzugeben.

Die AfD hatte Ende Januar 2021 einen gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das BfV, gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Dem BfV soll damit untersagt werden, die AfD als "Verdachtsfall" oder "gesichert extremistische Bestrebung" einzustufen und zu behandeln sowie eine solche Einstufung oder Behandlung öffentlich bekanntzugeben. Zugleich hatte sie beantragt, bis zu einer Entscheidung über diesen Eilantrag einen Hängebeschluss zu erlassen. Andernfalls drohe ihr ein nicht wieder­gutz­u­ma­chender Schaden im politischen Wettbewerb. Den Antrag auf Erlass eines Hänge­be­schlusses hatte das Gericht mit Beschluss vom 27.01.2021 abgelehnt, nachdem das BfV so genannte Still­hal­te­zusagen abgegeben hatte. Die Beschwerde der AfD gegen den Beschluss blieb vor dem Oberver­wal­tungs­gericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) ohne Erfolg. Am 03.05.2021 berichteten Medien bundesweit darüber, dass das BfV die AfD als "Verdachtsfall" eingestuft habe. Die Partei stellte daraufhin einen erneuten Antrag auf Erlass eines Hänge­be­schlusses.

Eingriff in die Chancen­gleichheit der Partei

Das Gericht gab dem erneuten Antrag auf Erlass eines Hänge­be­schlusses statt. Zur Begründung führte es aus, der Erlass einer Zwischen­ent­scheidung sei nunmehr erforderlich. Dies gelte zunächst für die streitige Bekanntgabe der Einordnung als Verdachtsfall. Insofern werde in unvertretbarer Weise in die verfas­sungs­rechtlich gewährleistete Chancengleichheit politischer Parteien eingegriffen, nachdem alles dafür spreche, dass sich das BfV nicht an seine Still­hal­te­zusagen gehalten bzw. nicht hinreichend dafür Sorge getragen habe, dass keine verfah­rens­re­le­vanten Informationen nach außen drängen. Die Still­hal­te­zusage habe das OVG NRW ausdrücklich dahingehend verstanden, dass nicht nur eine öffentliche Bekanntgabe etwa im Wege einer Presse­mit­teilung unterlassen werde, sondern jegliche in ihrer Wirkung gleichkommende Maßnahme der Information der Öffentlichkeit. Aufgrund der medialen Berich­t­er­stattung vom 03.03.2021 stehe für das Gericht fest, dass in einer dem BfV zurechenbaren Weise der Umstand der Einstufung der Antragstellerin als Verdachtsfall "durchgestochen" worden sei. Das gelte in gleicher Weise für die 262-seitige Antrags­er­wi­derung der Antragsgegnerin vom 01.03.2021, die ebenfalls an die Presse durchgestochen worden sei. Diesem Schriftsatz lasse sich im Einzelnen entnehmen, was aus Sicht des BfV für die Einstufung der Antragstellerin als Verdachtsfall maßgeblich sei. Das Gericht habe im ersten Durchlauf die Notwendigkeit einer Zwischen­re­gelung verneint, weil die Antragsgegnerin Still­hal­te­zusagen abgegeben habe, um eine dem Gewal­ten­tei­lungs­grundsatz sowie dem Respekt vor dem Gericht entsprechende Verfahrensweise zu ermöglichen. Diese Vertrau­ens­grundlage sei nunmehr zerstört. Für den Hängebeschluss bestehe auch ein Bedürfnis, obwohl die Einstufung als Verdachtsfall nunmehr in der Welt sei. Denn mit jeder Verlautbarung vertiefe sich der Eingriff in die Chancen­gleichheit der politischen Parteien.

Nicht hinnehmbare Überwachung von Partei­mit­gliedern

Auch soweit der Antrag die Einordnung und Behandlung der Antragstellerin als Verdachtsfall betreffe, falle die erforderliche Folgenabwägung nunmehr zu Lasten des BfV aus. Zum einen könne angesichts des Umstands, dass Still­hal­te­zusagen bezogen auf die streitige Bekanntgabe teilweise nicht eingehalten worden seien, nicht mehr davon ausgegangen werden, dass zumindest im Hinblick auf die Einordnung und Behandlung die Einhaltung der entsprechenden Still­hal­te­zusagen sichergestellt sei. Zum anderen sei bereits dadurch, dass die Einordnung als Verdachtsfall öffentlich bekanntgeworden sei, derart tief in die Chancen­gleichheit der Parteien eingegriffen worden, dass eine weitere Beein­träch­tigung derselben dadurch, dass Mitglieder der Antragstellerin mit nicht gänzlich unerheblicher Wahrschein­lichkeit damit rechnen müssten, allein aufgrund ihrer Partei­zu­ge­hö­rigkeit nachrich­ten­dienstlich überwacht zu werden oder von solchen Maßnahmen jedenfalls mittelbar betroffen zu sein, nicht hinnehmbar sei. Das Gericht führte in seinem Beschluss ferner aus, dass es für den Erlass eines Hänge­be­schlusses allein auf eine Folgenabwägung ankomme, nicht hingegen auf eine Prüfung des voraus­sicht­lichen Erfolgs des Eilantrags. Das Verfahren auf Erlass einer Zwischen­re­gelung sei kein "Eilverfahren im Eilverfahren".

Quelle: Verwaltungsgericht Köln, ra-online (pm/aw)

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