18.10.2024
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Verwaltungsgericht Hamburg Urteil27.11.2013

Dauer­ob­ser­vation eines ehemaligen sicherungs­verwahrten Sexual­straftäter unzulässigFehlende gesetzliche Grundlage begründet Rechts­wid­rigkeit der Observation

Die dauerhafte Observation eines ehemaligen sicherungs­verwahrten Sexual­straftäter ist wegen fehlender gesetzlicher Grundlage rechtswidrig und damit unzulässig. Dies geht aus einer Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts Hamburg hervor.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urt. v. 17.12.2009 - 19359/04) über die Unzulässigkeit der nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung wurde ein mehrfach bestrafter Sexualtäter im Februar 2012 aus der Siche­rungs­ver­wahrung entlassen. Er wurde nachfolgend an sieben Tagen der Woche, 24 Stunden am Tag außerhalb seiner Wohnung von vier Zivilpolizisten observiert. Begründet wurde die Maßnahme damit, dass der ehemalige Siche­rungs­ver­wahrte zwar seine auferlegten Termine etwa bei der Bewährungshilfe oder dem Therapeuten nachkam, jedoch keinen Job oder einen anderweitig strukturierten Tagesablauf vorweisen konnte. Dieser hielt die inzwischen 1 ¾ Jahr andauernde Dauerobservation für unzulässig und klagte schließlich dagegen.

Anspruch auf Unterlassung der Observation bestand

Das Verwal­tungs­gericht Hamburg entschied zu Gunsten des Klägers. Dieser habe einen Anspruch auf Unterlassung der dauerhaften Observation gehabt. Denn die Maßnahme sei wegen Fehlens einer gesetzlichen Grundlage rechtswidrig und damit unzulässig gewesen.

Vorschrift des § 9 Abs. 1 PolDVG schied als Rechtsgrundlage aus

Nach Auffassung des Verwal­tungs­ge­richts sei die Vorschrift des § 9 Abs. 1 des Gesetzes über die Daten­ver­a­r­beitung der Polizei Hamburg (PolDVG) als Rechtsgrundlage für die dauerhafte Observation ausgeschieden. Denn die im Fall durchgeführte offene Observation sei nicht vom Begriff der "längerfristigen Observation" im Sinne der Vorschrift umfasst gewesen. Eine Observation im Sinne des § 9 Abs. 1 PolDVG sei die planmäßige verdeckte Beobachtung einer Person.

Keine Observation als Maßnahme zur Datenerhebung

Zudem regle die Vorschrift des § 9 Abs. 1 PolDVG eine Observation als Maßnahme zur Datenerhebung, so das Verwal­tungs­gericht. Darauf verweise nicht nur die Überschrift, sondern auch der Wortlaut der Regelung. Dies sei aber nicht Zweck der Observation des Klägers gewesen. Dieser sei nicht deshalb überwacht worden, um aus zu erhebenden Daten Schluss­fol­ge­rungen auf möglicherweise bevorstehende Straftaten zu ziehen oder um Erkenntnisse über den Kläger zu gewinnen. Vielmehr sei die Observation erfolgt, um den Kläger im Auge zu behalten. Sie habe daher als Ersatz für die nicht mehr zulässige Rechts­ver­letzung gedient.

Schwerwiegende Persön­lich­keits­ver­letzung erforderte gesonderte gesetzliche Grundlage

Nach Einschätzung des Verwal­tungs­ge­richts habe die Dauer­ob­ser­vation des Klägers eine neue Maßnahme zur Gefahrenabwehr dargestellt, welche noch nicht über eine entsprechende Rechtsgrundlage gedeckt war. Angesichts der mit der Maßnahme einhergehenden schwerwiegenden Verletzung des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG), sei es Aufgabe des Gesetzgebers eine möglichst detaillierte gesetzliche Grundlage zu schaffen. Diese müsse neben den Voraussetzungen und der Höchstdauer auch Regelungen zu Überprü­fungs­fristen oder einem Richter­vor­behalt enthalten.

Polizeiliche Generalklausel keine ausreichende Rechtsgrundlage

Ebenso sei die polizeiliche Generalklausel (§ 3 Abs. 1 Sicherheits- und Ordnungsgesetz Hamburg) nach Ansicht des Verwal­tungs­ge­richts als Rechtsgrundlage ausgeschieden. Denn diese Vorschrift genüge grundsätzlich nicht, eine Maßnahme zu rechtfertigen, die erheblich in ein Grundrecht des Betroffenen eingreift. Zwar sei die Anwendung der Generalklausel in einem Ausnahmefall für eine Übergangszeit zulässig. Denn sie ermögliche es, dass Behörden auf unvor­her­ge­sehene Gefah­ren­si­tua­tionen vorläufig reagieren können und dass der Gesetzgeber eventuelle Regelungslücken schließen kann (BVerfG, Urt. v. 27.02.2008 - 1 BvR 370/07). Eine solche Anwendung sei nach Auffassung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts nur für eine Übergangszeit von etwa 1,5 Jahren zulässig. Diesen Zeitraum hielt das Verwal­tungs­gericht jedoch angesichts der Schwere des Eingriffs in das allgemeine Persön­lich­keitsrecht für zu lang. Ohne eine spezielle Rechtsgrundlage müsse ein Betroffener einen derart schwerwiegenden Eingriff nach gut einem Jahr nicht dulden.

Quelle: Verwaltungsgericht Hamburg, ra-online (vt/rb)

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