18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen eine Reihe mit gelben Aktenordnern, die mit Barcodes markiert sind.

Dokument-Nr. 32374

Drucken
ergänzende Informationen

Verwaltungsgericht Göttingen Beschluss03.11.2022

Verdacht auf Gewalt gegen Kinder - Erzieherinnen einer Kinder­ta­gesstätte dürfen bis zum Abschluss des Ermittlungs­verfahrens zunächst nicht weiter­be­schäftigt werdenEltern mit Eilantrag erfolgreich

Das Verwal­tungs­gericht Göttingen hat im einstweiligen Rechts­schutz­verfahren entschieden, dass zwei Erzieherinnen einer Kinder­ta­gesstätte, bis zum Abschluss des straf­recht­lichen Ermittlungs­verfahrens nicht weiter­be­schäftigt werden dürfen.

Die Antrag­stel­le­rinnen und Antragsteller - betroffene Kinder bzw. deren Eltern - verlangten von dem Antragsgegner als Aufsichts­behörde, dass dieser der Betreiberin der Einrichtung untersagen möge, die beiden Erzieherinnen wieder in der Kinderbetreuung einzusetzen. Hintergrund ist die Strafanzeige einer ehemaligen Mitarbeiterin der Kindertagesstätte, die ihren beiden früheren Kolleginnen schwere Verfehlungen zur Last gelegt hat. So sollen Kinder der von den beiden Erzieherinnen betreuten Krippengruppe u.a. zur Nahrungs­aufnahme gezwungen, fixiert und bei unangemessenem Verhalten zur Strafe allein im Waschraum oder im Flur eingesperrt worden sein.

Zunächst Weiter­be­schäf­tigung mit Auflagen

Der Antragsgegner nahm die genannten Vorwürfe zum Anlass, den Betrieb der Einrichtung einer unangekündigten Kontrolle vor Ort zu unterziehen und gab der Betreiberin u.a. auf, unter Hinzuziehung externer fachlicher Beratung ein Konzept zum Schutz vor Gewalt und zur Sicherung des Kindeswohls in der Einrichtung vorzulegen. Mit weiterem Bescheid erfolgte sodann die Verpflichtung der Betreiberin, die von dem Ermitt­lungs­ver­fahren betroffenen Mitar­bei­te­rinnen nicht mehr unbegleitet und nur noch getrennt voneinander einzusetzen. Eine vorläufige Untersagung, die Mitar­bei­te­rinnen weiter zu beschäftigen, wurde jedoch nicht ausgesprochen, weil die nachträglich verfügten Auflagen bereits hinreichend geeignet seien, das Kindeswohl zu gewährleisten und etwaigen Gefähr­dungs­si­tua­tionen entge­gen­zu­wirken, zumal die Betreu­ungs­zeiten nach dem Vorbringen der Betreiberin wegen Personalmangels andernfalls nicht eingehalten werden könnten. Dagegen machten die Antrag­stel­le­rinnen und Antragsteller geltend, die erhobenen Misshand­lungs­vorwürfe seien durch drei Zeugenaussagen bestätigt worden. Somit bestehe der konkrete Verdacht, dass die beigeladenen Erzieherinnen gegenüber den von ihnen betreuten Kindern mehrfach und in erheblichem Maße gewalttätig geworden seien. Es gelte nicht der strafrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo", sondern der Grundsatz "in dubio pro infante". Für die Annahme einer Gefährdung des Kindeswohls reiche deshalb eine hinreichende Wahrschein­lichkeit der Verwirklichung entsprechender Delikte aus. Es sei davon auszugehen, dass es im Fall der Wieder­ein­setzung der Mitar­bei­te­rinnen erneut zu Misshandlungen der Kinder kommen werde.

Gewährleistung des Kindeswohls zu berücksichtigen

Dem ist die Kammer nun weitgehend gefolgt. Sofern man die erhobenen Vorwürfe als wahr unterstelle, könnten die betroffenen Kinder sich auf eine Verletzung ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit, ihrer persönlichen Freiheit und ihrer Menschenwürde und ihre Eltern sich auf eine Beein­träch­tigung des Erzie­hungs­rechts berufen. Dies habe der Antragsgegner bei der Entscheidung über den Erlass einer nachträglichen Auflage zur Gewährleistung des Kindeswohls im Rahmen der Ermes­sens­ausübung zu berücksichtigen. Die Antrag­stel­le­rinnen und Antragsteller hätten zur Glaub­haft­machung ihres tatsächlichen Vortrags detaillierte Aufzeichnungen und eine eidesstattliche Versicherung der ehemaligen Mitarbeiterin vorgelegt, auf deren Veranlassung das Strafverfahren eingeleitet worden sei. Es spreche nichts dafür, dass die Zeuginnen und Zeugen ihre Beobachtungen leichtfertig oder nur aus persönlichen Motiven mitgeteilt hätten. Hiergegen spreche auch, dass sie zuvor an die Leiterin der Tagesstätte herangetreten seien und erst weitere Schritte unternommen hätten, als dies zu keinem Ergebnis geführt habe.

Bislang erlassene Auflagen reichen nicht aus

Die bislang erlassenen Auflagen reichten nicht aus, um eine mögliche Beein­träch­tigung des Kindeswohls durch Handlungen der beigeladenen Erzieherinnen sicher auszuschließen. Dieses Ziel sei jedoch angesichts des Gewichts der berührten Rechtsgüter der Antrag­stel­le­rinnen und Antragsteller alternativlos und könne nur durch den Ausschluss der Mitar­bei­te­rinnen (zunächst) bis zum Abschluss der straf­recht­lichen Ermittlungen erreicht werden. Schließlich werde eine lückenlose Beaufsichtigung der Erzieherinnen während ihrer Tätigkeit schon angesichts des offenkundig bestehenden Personalmangels nur schwerlich möglich sein. Hinzu komme noch, dass eine ordnungsgemäße Aufsicht der Betreiberin gegenüber der Leiterin der Kinder­ta­gesstätte in der Vergangenheit offensichtlich nicht stattgefunden habe und gravierende organi­sa­to­rische Mängel bereits seit längerer Zeit bestanden hätten. Gegen die Entscheidung kann innerhalb von zwei Wochen Beschwerde beim Oberver­wal­tungs­gericht in Lüneburg eingelegt werden.

Quelle: Verwaltungsgericht Göttingen, ra-online (pm/ps)

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss32374

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI