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Verwaltungsgericht Gießen Beschluss08.02.2013
Rückwirkende Einführung gesplitteter Abwassergebühr rechtswidrigGebührenumstellung darf nicht zu Mehreinnahmen führen
Das Verwaltungsgericht Gießen hat die Rückwirkende Einführung von gesplitteten Abwassergebühren der Gemeinde Reiskirchen für rechtswidrig erklärt. Das Gericht wies darauf hin, dass das Kommunalabgabengesetz die rückwirkende Ersetzung einer unwirksamen Gebührensatzung zwar erlaube, diese Möglichkeit aus verfassungsrechtlichen Gründen jedoch dann eingeschränkt sei, wenn die rückwirkende Festsetzung für die betroffenen Gebührenzahler nicht zu erwarten war und diese Umstellung eine unzumutbare Belastung darstellt.
Im zugrunde liegenden Fall setzte die Gemeinde Reiskirchen im Rahmen der Einführung der gesplitteten Abwassergebühr eine Niederschlagswassergebühr fest. Die Veranlagung beruhte auf einer Satzungsänderung, die die Gemeinde im Februar 2012 vorgenommen hatte, nachdem sowohl das Verwaltungsgericht Gießen als auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof 2009 den alten Gebührenmaßstab für unwirksam erklärt hatten, weil dieser nicht die sog. gesplittete Abwassergebühr vorsah, d.h. eine Gebührenerhebung, die den Verbrauch von Frischwasser für die Schmutzwasserableitung und eine an den versiegelten Flächen orientierte Niederschlagswasserableitung berücksichtigt.
VG beanstandet rückwirkende Inkraftsetzung des Gebührenmaßstabes
Das Verwaltungsgericht Gießen beanstandete auch nicht die Überarbeitung des Gebührenmaßstabes an sich, sondern dessen rückwirkende Inkraftsetzung. Zwar erlaube das Kommunalabgabengesetz - KAG - die rückwirkende Ersetzung einer unwirksamen Gebührensatzung. Diese Möglichkeit sei aber aus verfassungsrechtlichen Gründen dann eingeschränkt, wenn die betroffenen Gebührenzahler mit der rückwirkenden Festsetzung nicht mehr rechnen durften und diese eine unzumutbare Belastung darstelle.
Rückwirkende Festsetzung würde zu erheblich höheren, nicht zumutbaren Gebühren führen
Da die Gemeinde die Abwassergebühr für die Jahre 2010 und 2011 noch nach den alten Satzungsregelungen festgesetzt und auch nicht angekündigt hatte, den Gebührenmaßstab anzupassen, durften die Gebührenzahler nach Auffassung des Gerichts davon ausgehen, dass es nicht zu einer rückwirkenden Anpassung kommen werde. Darüber hinaus führe die neue Gebührenberechnung für einen Teil der Betroffenen zu erheblich höheren Gebühren, so dass die rückwirkende Festsetzung nicht zumutbar sei.
Satzungsregelung kommt Funktion einer Absichtserklärung zu, der es jedoch an konkreten Vorgaben zur Durchsetzung des Schlechterstellungsverbotes fehlt
Bedenken äußerte das Gericht zudem daran, dass nach dem KAG eine unwirksame Satzung zwar ersetzt, aber die Abgabepflichtigen (in ihrer Gesamtheit) dadurch für die Vergangenheit nicht schlechter gestellt werden dürfen als durch die vorherige Satzung. Die Gebührenumstellung darf also nicht zu Mehreinnahmen führen. Dem hatte die Gemeinde Reiskirchen zwar versucht, durch eine Formulierung in der neuen Satzung Rechnung zu tragen, mit der eine Deckelung bei Erreichen des Gebührenbedarfs geregelt wurde, der der alten Satzung zu Grunde lag. Das Verwaltungsgericht hielt diese Formulierung jedoch für zu unbestimmt, da mit der gewählten Formulierung nicht erkennbar sei, welcher Gebührenbedarf damit gemeint sei, der Sollgebührenansatz nach dem Haushaltplan ("Sollgebühren") oder die tatsächlich vereinnahmten Gebühren ("Istgebühren"). Außerdem fehle eine Regelung darüber, wie die Einhaltung des Schlechterstellungsverbotes sichergestellt werden solle. Der Satzungsregelung komme daher eher die Funktion einer Absichtserklärung zu. Ihr fehlten aber die die konkreten für eine Abgabensatzung erforderlichen Vorgaben zur Durchsetzung des Schlechterstellungsverbotes.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 15.02.2013
Quelle: Verwaltungsgericht Gießen/ra-online
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