21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen die Außenfassade einer Niederlassung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Bundesadler und passendem Schriftzug der Behörde.
ergänzende Informationen

Sächsisches Oberverwaltungsgericht Urteil07.02.2018

Flüchtlinge aus Syrien haben bei Wehr­dienst­entziehung durch Flucht Anspruch auf Zuerkennung des Flücht­lings­statusWehrpflichtigen Flüchtlingen aus Syrien droht im Falle einer Rückkehr politische Verfolgung

Das Sächsische Ober­verwaltungs­gericht hat in mehreren Fällen entschieden, dass Flüchtlinge aus Syrien, die sich durch ihre Flucht als Wehrpflichtige oder Reservisten dem Wehrdienst entzogen haben, Anspruch auf Zuerkennung des Flücht­lings­status haben.

In den zugrunde liegenden Verfahren hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Klägern, Flüchtlingen aus Syrien, im Hinblick auf den in Syrien herrschenden landesweiten inner­staat­lichen bewaffneten Konflikt den subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 AsylG zuerkannt. Der weitergehende Antrag auf Zuerkennung der Flücht­lings­ei­gen­schaft gemäß § 3 AsylG wurde jeweils abgelehnt, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen. Flüchtlinge erhalten sowohl im Falle der Zuerkennung subsidiären Schutzes als auch im Falle der Zuerkennung der Flücht­lings­ei­gen­schaft einen Anspruch auf Erteilung einer Aufent­halt­s­er­laubnis mit Vorteilen für letztere im Einzelnen. Unterschiede gibt es vor allem hinsichtlich des Famili­en­nachzugs, soweit er Ehegatten und minderjährige ledige Kinder betrifft.

Kläger verweisen auf Wahrschein­lichkeit der politischen Verfolgung bei Rückkehr nach Syrien

Die Kläger erhoben gegen die Bescheide Klage mit dem Ziel der Zuerkennung der Flücht­lings­ei­gen­schaft. Zur Begründung führten sie vor allem aus, dass ihnen bei hypothetischer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrschein­lichkeit politische Verfolgung drohen würde, weil sie sich dort dem Wehrdienst entzogen haben. Die Rückkehr ist hypothetisch, weil sie wegen des bereits zuerkannten subsidiären Schutzes derzeit ohnehin ausgeschlossen ist.

Verwal­tungs­ge­richte beurteilen Lage der Kläger unterschiedlich

Anders als der subsidiäre Schutz setzt die Zuerkennung des Flücht­lings­status voraus, dass die Betroffenen nicht nur mit staatlichen Verfol­gungs­hand­lungen (z.B. Folter) rechnen müssen, sondern dass gerade aufgrund eines bestimmten Verfol­gungs­grundes (etwa wegen der Rasse, der Religion, einer politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe) die staatlichen Verfol­gungs­hand­lungen (z.B. Folter) drohen. Dies haben die Verwal­tungs­ge­richte unterschiedlich beurteilt. Während die Verwal­tungs­ge­richte Chemnitz und Leipzig das Vorliegen eines solchen Verfol­gungs­grundes bejaht haben, weil dem Wehrdiens­t­entzug vom syrischen Regime eine oppositionelle Gesinnung beigemessen werde, hat das Verwal­tungs­gericht Dresden dies verneint.

OVG bejaht Wahrschein­lichkeit der politischen Verfolgung im Falle einer Rückkehr

Das Sächsische Oberver­wal­tungs­gericht entschied in fünf Berufungs­ver­fahren, dass wehrpflichtigen Flüchtlingen aus Syrien im Falle ihrer Rückkehr politische Verfolgung droht, weil die syrischen Behörden diesen nach den aktuellen Auskünften zur Lage in Syrien eine regime­feindliche Gesinnung unterstellen und sie deshalb nach einem "Freund-Feind-Schema" als Oppositionelle behandeln.

Wahrschein­lichkeit der politischen Verfolgung im Falle eines fast 17 Jahre alten jugendlichen Syrers verneint

Keinen Erfolg hatte allerdings die Berufung eines fast 17 Jahre alten jugendlichen Syrers. Das Oberver­wal­tungs­gericht ging hier davon aus, dass bei ihm aufgrund seines Alters bei einer zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu unterstellenden zeitnahen Rückkehr nach Syrien noch kein Wehrdiens­t­entzug vorliegt und wegen seiner Herkunft aus einer Opposi­ti­o­ns­hochburg jedenfalls deshalb keine politische Verfolgung droht, weil er Syrien bereits im April 2012 verlassen hat, als er gerade zwölf Jahre alt geworden war.

Wahrschein­lichkeit der Verfolgung von Familien­an­ge­hörigen nach Wehrdiens­t­ent­ziehung bejaht

Weiter entschied das Gericht, dass Familien­an­ge­hörigen (Ehefrau und Kinder) eines Syrers, der sich dem Wehrdienst entzogen hat, im Falle der gemeinsamen Rückkehr keine politische Verfolgung im Sinne einer sogenannten Reflex­ver­folgung droht. Die Familien­an­ge­hörigen haben aber nach der unanfechtbaren Anerkennung des wehrpflichtigen Ehemannes bzw. Vaters einen Anspruch auf Famili­en­flücht­lings­schutz.

Anspruch auf Zuerkennung des Flücht­lings­status in den Gerichten umstritten

Die Frage, ob Flüchtlinge aus Syrien, die sich durch ihre Flucht dem Wehrdienst entzogen haben, Anspruch auf Zuerkennung des Flücht­lings­status haben, ist in der Rechtsprechung der Oberver­wal­tungs­ge­richte und Verwal­tungs­ge­richtshöfe der Bundesländer umstritten. Drei dieser Gerichte vertreten die jetzt vom Sächsischen Oberver­wal­tungs­gericht vertretene Auffassung, vier die gegenteilige Ansicht. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht kann eine bundesweite Klärung nicht herbeiführen, weil es um die Bewertung grundsätzlicher Tatsachenfragen geht. Die gesetzliche Zuständigkeit des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts beschränkt sich jedoch auf die Klärung von Rechtsfragen.

Quelle: Sächsisches Oberverwaltungsgericht/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil25503

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI