21.11.2024
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Sozialgericht Stuttgart Urteil11.01.2018

Bei Feststellung der Voraussetzungen für Merkzeichens G ist Merkmal "täglich" nicht wörtlich zu nehmenBei Bewertung der Störungen der Orientierungs­fähigkeit sind die von geistig behinderten Menschen häufig bzw. regemäßig genutzten Strecken gemeint

Für die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens G (erhebliche Beein­träch­tigung der Bewegungs­fä­higkeit im Straßenverkehr) bei geistigen Behinderungen und darauf beruhenden Störungen der Orientierungs­fähigkeit ist das Merkmal "täglich" in den Versorgungs­medizinischen Grundsätzen Teil D Ziff. 1 f) nicht wörtlich zu verstehen. Vielmehr sind nach Sinn und Zweck der Regelung solche Strecken gemeint, die der geistig behinderte Mensch häufig bzw. regemäßig nutzt und die ihm aufgrund dessen vom Ablauf her vertraut sind.

Die 1996 geborene Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens wandte sich im vorliegenden Verfahren gegen die Herabsetzung ihres GdB von 80 auf 70 sowie den Entzug der Merkzeichen G und B. Sie leidet an einer Autis­muss­pek­trum­störung i.S. eines frühkindlichen hochfunk­ti­onalen Autismus, die mit schweren sozialen Anpas­sungs­stö­rungen einhergeht. Eine vereinfachte Ausbildung zur Garten­bau­fach­werkerin hatte sie im zweiten Ausbildungsjahr abgebrochen. Der Weg dorthin mit öffentlichen Verkehrsmitteln war ihr mit ihren Eltern antrainiert worden. Dennoch kam es mehrfach zu Notfa­l­l­e­in­sätzen der Eltern unter Einschaltung der Polizei, da die Klägerin, sobald etwa eines der gewohnten Verkehrsmittel ausfiel oder Verspätung hatte, nicht mehr nach Hause fand.

Klägerin ist Nutzung unbekannter öffentlicher Verkehrsmitteln aufgrund der Behinderung nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich

Das Sozialgericht Stuttgart gab der Klage statt. Störungen der Orien­tie­rungs­fä­higkeit, die zu einer erheblichen Beein­träch­tigung der Bewegungs­fä­higkeit führen, seien nach Teil D Ziff. 1 f) der VG vorauszusetzen, wenn die behinderten Menschen sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Entscheidend für die Beurteilung des Vorliegens von Orien­tie­rungs­stö­rungen durch eine geistige Behinderung in diesem Sinne könne nicht sein, ob die bekannten Wege tatsächlich "täglich" oder lediglich regelmäßig, wie etwa bei der Klägerin an fünf von sieben Wochentagen, genutzt würden. Vielmehr müsse darauf abgestellt werden, ob dem Betroffenen aufgrund seiner Behinderung die Nutzung von unbekannten öffentlichen Verkehrsmitteln nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich sei. Dies sei bei der Klägerin nach dem Ergebnis des vom Gericht in Auftrag gegebenen Gutachtens der Fall.

Quelle: Sozialgericht Stuttgart/ra-online

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