23.11.2024
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Sozialgericht Koblenz Urteil21.02.2006

Zur Kostenübernahme für Hörgeräte bei berufsbedingter Lärmschwer­hö­rigkeit

In Einzelfällen kann ein Sozia­l­leis­tungs­träger verpflichtet sein, einem Versicherten die gesamten Kosten einer selbst­be­schafften höherwertigen Hörge­rä­te­ver­sorgung zu erstatten. Dies gilt auch dann, wenn die Kosten den in der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung geltenden Festbetrag erheblich übersteigen. Dies entschied das Sozialgericht Koblenz und sprach einem Kläger die Gesamt­auf­wen­dungen für eine neue digitale Hörge­rä­te­ver­sorgung in Höhe von 2.633,70 € zu.

Der Kläger benötigt wegen der Folgen einer berufsbedingten Lärmschwer­hö­rigkeit (Berufskrankheit Nr. 2301 der Anlage zur Berufs­krank­heiten-Verordnung) eine Versorgung mit digitalen Hörgeräten. Er ist seit mehr als 30 Jahren als Dirigent eines Blasorchesters und seit 26 Jahren in der Ausbildung des Nachwuchses tätig und suchte sich spezielle Hörgeräte aus, die ihm das Fortführen dieser Tätigkeit ermöglichten. Die Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung beschränkte ihre Leistungs­pflicht allerdings auf die Übernahme eines Kostenanteils in Höhe des in der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung geltenden Festbetrages (982,19 €). Sie begründete dies damit, dass sie grundsätzlich nur in dieser Höhe eine Hilfs­mit­tel­ver­sorgung zu gewährleisten habe und nur für den Fall etwas anderes gelte, dass sich das Ziel der Heilbehandlung durch Festbe­trags­geräte nicht erreichen lasse. Zum Ausgleich der berufsbedingten Hörstörung des Klägers reiche jedoch die Ausstattung mit einem Festbe­tragsgerät aus. Lediglich für seine ehrenamtliche Tätigkeit als Dirigent und Ausbilder für den Nachwuchs benötige er eine höherwertige Ausstattung. Dafür entstehende Mehrkosten habe sie jedoch nicht zu übernehmen. Die selbst­be­schafften Hörgeräte dienten nämlich weder dem Ausgleich einer besonderen Härte noch seien diese als "besondere Unterstützung" im Sinne des § 39 Absatz 2 Sozial­ge­setzbuch (SGB) VII zu gewähren.

Die 1. Kammer des Sozialgericht teilte diese Auffassung des Unfall­ver­si­che­rungs­trägers jedoch nicht. Sie stützte ihre Entscheidung auf § 39 Absatz1 Nr. 2 SGB VII. Diese Vorschrift umfasse auch sonstige Leistungen zur Erreichung und Sicherstellung des Rehabi­li­ta­ti­o­ns­er­folges im Rahmen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Es handele sich hierbei um einen Auffang­tat­bestand für besondere Fallge­stal­tungen. Dieser finde im Falle des Klägers Anwendung, der wegen der Auswirkungen einer berufsbedingten Gesund­heits­schä­digung um die Sicherstellung der angemessenen Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft streite. Vorrangiges Ziel der Rehabi­li­ta­ti­o­ns­pflicht des Leistungs­trägers sei die möglichst umfassende und dauerhafte Rehabilitation des durch einen Versi­che­rungsfall im Sinne des SGB VII Geschädigten. Der Kläger benötige die von ihm selbst­be­schafften Hörgeräte zur Kompensation der Folgen der anerkannten Berufskrankheit im Rahmen einer für ihn sehr bedeutsamen privaten Betätigung im gesell­schaft­lichen Leben. Um sein jahrzehn­te­langes Engagement als Dirigent und Ausbilder des Nachwuchses fortsetzen zu können, sei er auf eine für das Musikhören speziell geeignete Hörgrä­te­ver­sorgung angewiesen. Dazu seien Standardgeräte nachweislich nicht geeignet. Vor allem das Hören von hohen Tönen, z.B. Flötentönen, sei nicht mit Festbe­trags­geräten möglich. Es handele sich bei der ehrenamtlichen Tätigkeit des Klägers nicht um eine unwichtige private, sondern eine sein Leben prägende Verrichtung, die nicht beliebig durch andere Engagements austauschbar sei. Da die vom Kläger nach intensiver Testung angeschafften Hörgeräte seine berufsbedingte Hörbe­ein­träch­tigung im Hinblick auf sein ehrenamtliches Engagement am besten kompensierten und die Beklagte dies weder in Abrede stelle noch vorbringe, dass es Hörgeräte anderer Hersteller gebe, die eine vergleichbar gute Hörleistung zu niedrigen Kosten böten, sei sie zur Koste­n­er­stattung zu verurteilen gewesen.

Siehe nachfolgend:

LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 21.02.2006 - S 1 U 220/05 -

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des SG Koblenz vom 27.04.2006

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