23.11.2024
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Sozialgericht Gießen Urteil12.03.2019

Notfa­ll­be­handlung in türkischer Privatklinik im Urlaub: Leistungs­pflicht der deutschen Krankenkassen richtet sich nach türkischem RechtEntscheidend sind Erstat­tungssätze der türkischen Sozial­versicherungs­träger für vergleichbare Behandlung im Vertrags­kran­kenhaus

Die Leistungs­pflicht der deutschen Krankenkassen für eine stationäre Behandlung während eines Türkeiurlaubs richtet sich nach türkischem Recht. Es gelten diejenigen Sätze, die der türkische Sozial­versicherungs­träger für eine vergleichbare Behandlung in einem Vertrags­kran­kenhaus zu zahlen gehabt hätte. Für eine weitergehende Übernahme von Kosten einer stationären Behandlung in einer türkischen Privatklinik besteht regelmäßig keine Rechtsgrundlage.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die 1931 geborene, in Offenbach lebende Klägerin erlitt im Juni 2016 während eines Türkeiurlaubs eine Herzattacke. Sie wurde in bewusstlosem Zustand in eine Privatklinik eingeliefert und erhielt einen Herzschrittmacher eingesetzt. Hierfür stellte die Privatklinik 13.000 Euro in Rechnung, die die Klägerin aus eigenen Mitteln beglich. Auf ihren Erstat­tungs­antrag bewilligte die Beklagte der Klägerin 1.252,41 Euro. Diese Summe wäre für eine Sachleis­tungs­ge­währung in der Türkei angefallen (Bescheide vom 10. August 2016 und 8. Dezember 2016). Mit der Klage begehrte die Klägerin Koste­n­er­stattung in voller Höhe. Zur Begründung führte sie aus, dass die Voraussetzungen des deutsch-türkischen Sozia­l­ver­si­che­rungs­ab­kommens erfüllt seien. Sie habe erst nachträglich erfahren, dass es sich um eine Privatklinik gehandelt habe.

Gesetzliche Voraussetzungen für Koste­n­er­stat­tungs­an­spruch nicht erfüllt

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Sozialgericht Gießen stellte zunächst klar, dass kein weitergehender Anspruch aus § 18 Abs. 1, Abs. 3 SGB V (Erstattung von Kosten für eine Notfa­ll­be­handlung im Ausland wegen altersbedingter Unmöglichkeit einer privaten Versicherung) folge, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt seien. Ein Anspruch der Klägerin auf die Erstattung weiterer Kosten der Kranken­h­aus­be­handlung in der Türkei ergebe sich auch nicht aus der allein in Betracht kommenden Regelung des Art. 12 Abs. 1 Buchstabe a) und b) i. V. m. Art. 4a des DT2SVA (Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30.04.1964 - BGBl. II 1972, S. 2, in der Fassung vom 02.11.1984 - BGBl. II 1986, S. 1040). Versicherten in der deutschen gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung könne danach auch bei einem Aufenthalt in der Türkei ein Anspruch auf Leistungen zustehen, wenn der Versi­che­rungsfall während des vorübergehenden Aufenthalts im Gebiet der anderen Vertragspartei eingetreten sei und wenn sie wegen ihres Zustands sofort Leistungen benötigten.

Anspruch der Versicherten auf Koste­n­er­stattung richtet sich nach türkischem Recht

Ein solcher medizinischer Notfall habe zwar vorgelegen, da die Klägerin auf sofortige ärztliche Hilfe angewiesen gewesen sei. Der Grundsatz der Maßgeblichkeit des Leistungsrechts des SGB V werde allerdings durch Art. 15 DT2SVA dahin modifiziert, dass sich der Anspruch der Versicherten nach türkischem Recht richte. Das maßgebliche türkische Recht habe sachleis­tungs­er­setzende Koste­n­er­stat­tungs­ansprüche zur Zeit der Behandlung der Klägerin vorgesehen. Maßstab für den Koste­n­er­stat­tungs­an­spruch sei aber nicht die Kostenforderung der türkischen Privatklinik, sondern der Kostenansatz, den der türkische Sozia­l­ver­si­che­rungs­träger bei einer vergleichbaren Behandlung in einem Vertrags­kran­kenhaus zu zahlen gehabt hätte. Die diesbezügliche Kostenauskunft des türkischen Sozia­l­ver­si­che­rungs­trägers hat das Gericht trotz der erheblichen Differenz zu dem Rechnungsbetrag als zutreffend erachtet. Die Kosten für die Behandlung in einer Privatklinik seien auch in der Türkei üblicherweise um ein Vielfaches höher als für die Behandlung in einem staatlichen Vertrags­kran­kenhaus.

Klägerin hätte Nachweis über Berechtigung nach dem DT2SVA mit sich führen müssen

Außerhalb des Kostenanspruchs nach dem DT2SVA könne die Klägerin eine weitergehende Koste­n­er­stattung nur nach § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V verlangen, wenn der türkische Sozia­l­ver­si­che­rungs­träger seinen Pflichten im Rahmen der Leistungs­aushilfe mit Sachleistungen nicht oder nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Zwar habe es sich um eine Privatklinik gehandelt, mit der der türkische Sozia­l­ver­si­che­rungs­träger einen Vertrag gehabt habe. Für die Notfa­ll­be­handlung hätten in diesem speziellen Fall nach türkischem Recht auch keine weiteren Kosten anfallen dürfen. Dies hätte aber vorausgesetzt, dass der Privatklinik bis zur Entlassung kenntlich gemacht wird, dass die Klägerin nach dem DT2SVA berechtigt ist. Hierzu hätte die Klägerin einen Nachweis über ihre Berechtigung nach dem DT2SVA von vornherein mit sich führen bzw. sich einen solchen während des Kranken­haus­auf­ent­haltes beschaffen müssen. Nachdem dies nicht geschehen sei, habe die Klinik eine Privatrechnung stellen dürfen. Ein Systemversagen sei dem türkischen Sozia­l­ver­si­che­rungs­träger damit nicht anzulasten.

Die Voraussetzungen für einen Koste­n­er­stat­tungs­an­spruch auf der Grundlage des sozia­l­recht­lichen Herstel­lungs­an­spruchs seien ebenfalls nicht erfüllt, weil keine Regelungslücke bestehe.

Quelle: Sozialgericht Gießen/ra-online (pm/kg)

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