18.10.2024
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Sozialgericht Berlin Urteil15.02.2012

Hartz IV: Schülerin hat Anspruch auf SchreibtischJobcenter muss Kosten in Höhe des Anschaf­fungs­preises für gebrauchten Schreibtisch tragen

Eine im Leistungsbezug nach dem SGB II stehende Schülerin, die für die erfolgreiche Erledigung ihrer Hausaufgaben einen eigenen Schreibtisch benötigt, kann diesen vom Jobcenter verlangen. Voraussetzung ist, dass in der Wohnung kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht und es sich - im Gegensatz zu einer Ersatz­be­schaffung - um eine erstmalige Anschaffung, handelt. Es besteht kein Anspruch auf neue, ungebrauchte Möbel. Dies entschied das Sozialgericht Berlin.

Die sechsjährige Klägerin des zugrunde liegenden Streitfalls lebte zusammen mit ihrer studierenden Mutter, dem 10jährigen Bruder und der neugeborenen Schwester in einer Dreizim­mer­wohnung in Berlin-Schöneberg. Im Zusammenhang mit ihrer Einschulung beantragte sie 2008 unter anderem Leistungen für die Anschaffung eines Schüler­schreib­tisches. Den Schreibtisch im Zimmer ihrer Mutter könne sie nicht benutzen, da diese selbst studiere und dort auch die kleine Schwester schlafe. Der - selbst gebaute - Schreibtisch im Zimmer des Bruders komme nicht in Betracht, da er ihn selbst brauche und oft Freunde zu Besuch habe. In der kleinen Küche fehle die erforderliche Ruhe.

Jobcenter verweigert Kostenübernahme für Schreibtisch

Das Jobcenter Tempelhof-Schöneberg lehnte die Kostenübernahme ab. Der Klägerin sei es zuzumuten, einen der vorhandenen Schreibtische zu benutzen. Daraufhin kaufte sich die Klägerin aus eigenen Mitteln einen Schreibtisch für 120 Euro und erhob Klage.

Erstmalige Anschaffung eines Schüler­schreib­tisches ist "Erstausstattung für die Wohnung"

Nach zwischen­zeit­lichem Ruhen wegen weiterer Streitpunkte wurde die Klage am 15. Februar 2012 nach mündlicher Verhandlung (durch einen Berufsrichter und zwei ehrenamtliche Richter) entschieden. Das Sozialgericht Berlin verurteilte das Jobcenter zur Koste­n­er­stattung in Höhe von 70 Euro. Die erstmalige Anschaffung eines Schüler­schreib­tisches sei eine "Erstausstattung für die Wohnung", für die das Jobcenter die Kosten zu erstatten habe.

Wie bereits das Bundes­so­zi­al­gericht ausgeführt habe, fielen unter den Begriff der Erstausstattung sämtliche Einrich­tungs­ge­gen­stände, die für eine geordnete Haushalts­führung notwendig seien und dem Leistungs­be­rech­tigten ein an den herrschenden Lebens­ge­wohn­heiten orientiertes Wohnen ermöglichten.

Erstat­tungs­kosten sind auf Höhe eines gebrauchten Schreibtischs zu beschränken

Jedenfalls in der konkreten Situation der Klägerin habe ein entsprechender Bedarf bestanden. Ein eigener Schreibtisch sei notwendig, um der Klägerin die Erledigung ihrer Hausaufgaben in einer Atmosphäre zu ermöglichen, die einen Lernerfolg vermuten lasse. Dadurch werde letztendlich auch der Gefahr begegnet, dass der Steuerzahler später durch weitere Leistungen für Bildung und Teilhabe mit Kosten belastet werde, die weitaus höher seien als die umstrittene Koste­n­er­stattung. Eine Inter­net­re­cherche des Gerichts habe allerdings ergeben, dass gebrauchte Kinder­schreib­tische nur rund 70 Euro kosteten. Auf diesen Betrag sei die Erstat­tungs­for­derung daher zu beschränken gewesen.

Erläuterungen
Anmerkung: Rechtsgrundlage für die Kostenübernahme war 23 Abs. 3 SGB II. Die dement­spre­chende aktuell gültige Vorschrift ist § 24 Abs. 3 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit Abs. 3 Satz 2 und 5:

"Nicht vom Regelbedarf nach § 20 umfasst sind Bedarfe für 1.) Erstausstattung für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräte … Leistungen für diese Bedarfe werden gesondert erbracht … Die Leistungen … können als Sachleistung oder Geldleistung, auch in Form von Pauschal­be­trägen, erbracht werden."

Gemäß § 37 SGB II sind entsprechende Leistungen gesondert vor Anschaffung der Gegenstände zu beantragen.

Vorliegend ging es also nicht um das sogenannte Bildungspaket, zum Beispiel § 28 Abs. 3 SGB II: „Für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf werden bei Schülerinnen und Schülern 70 Euro zum 1. August und 30 Euro zum 1. Februar eines jeden Jahres berücksichtigt.“ Diese Regelung war vorliegend noch nicht anwendbar und bezieht sich auch nur auf Verbrauchs­ma­te­rialien. Das Bildungspaket ist so gut wie nie Gegenstand von Klageverfahren am Sozialgericht Berlin.

Quelle: Sozialgericht Berlin/ra-online

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