Die gesetzliche Hinterbliebenenversorgung soll Unterhaltsansprüche gegen einen Ehepartner ersetzen, die durch dessen Tod weggefallen sind. Allerdings setzt der Anspruch auf Witwenrente grundsätzlich voraus, dass die Ehe mit dem Versicherten mindestens ein Jahr gedauert hat. Bei einer kürzeren Ehedauer ist laut Gesetz zu vermuten, dass die Ehe gezielt zum Zweck der Versorgung geschlossen wurde. Ein Anspruch auf Witwenrente ist dann ausgeschlossen. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe kann jedoch widerlegt werden (vgl. § 46 Abs. 2 a SGB VI – Gesetzliche Rentenversicherung).
Die 1957 geborene, aus der Ukraine stammende Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens lernte 2007 ihren späteren Ehemann kennen, der bei der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg (der Beklagten) versichert war. Im Dezember 2010 wurde bei ihm anlässlich einer Krankenhausbehandlung eine bereits fortgeschrittene Krebserkrankung festgestellt. Im Februar 2011 beantragten beide die Eheschließung beim Standesamt, Ende März heirateten sie in Berlin. Bereits zwei Monate später, Anfang Juni 2011, starb der Versicherte.
Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente lehnte die Beklagte ab. Ihrer Auffassung nach sei die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nicht widerlegt worden. Obwohl die Klägerin den Versicherten bereits 2007 kennengelernt habe, sei mit der Vorbereitung der Eheschließung erst begonnen worden, als der lebensbedrohliche Zustand des Versicherten unübersehbar geworden sei.
Im Januar 2016 erhob die Klägerin hiergegen Klage. Das Sozialgericht Berlin beraumte eine mündliche Verhandlung an und hörte vier Zeuginnen aus dem Umfeld der Eheleute. Im Ergebnis gab es der Klägerin Recht und verpflichtete die Beklagte zur Gewährung einer Witwenrente. Das Gericht führte zur Begründung aus, dass zur Prüfung, ob eine Versorgungsehe vorliege, eine Gesamtbetrachtung anzustellen sei. Immer dann, wenn für eine Heirat andere Beweggründe als eine Versorgungsabsicht überwiegen würden oder zumindest gleichwertig seien, sei die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nicht gerechtfertigt. Das Vorliegen anderer Beweggründe müsse der hinterbliebene Ehegatte beweisen. Eine gewichtige Bedeutung komme hierbei dem Krankheitsbild des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung zu. Je offensichtlicher die Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit gewesen sei, desto größer seien die Zweifel daran, dass die Ehe nicht mit dem Ziel der Versorgungsabsicherung geschlossen worden sei. Nicht ausschlaggebend sei hingegen, wie lange eine Liebesbeziehung bereits bestanden habe. Im Gegenteil spreche eine lange Partnerschaft ohne Trauschein vielmehr dafür, dass eigentlich gar keine Eheschließung beabsichtigt war.
Vorliegend sei die lebensbedrohliche Krankheit des Versicherten zum Zeitpunkt der Hochzeit zwar offenkundig weit fortgeschritten gewesen. Darüber seien sich auch die Eheleute völlig im Klaren gewesen. Die Ermittlungen des Gerichts hätten jedoch ergeben, dass konkrete und ernsthafte Heiratsabsichten schon mehrere Monate bestanden hätten, bevor beim Versicherten im Dezember 2010 die tödliche Krankheit festgestellt wurde. So hätten sich sowohl der Versicherte als auch die Klägerin bereits im Laufe des Jahres 2010 um die Beschaffung der erforderlichen Papiere bemüht. Dies sei besonders schwierig gewesen, weil beide Eheleute zuvor schon einmal verheiratet gewesen seien. Die Klägerin habe monatelang auf Unterlagen aus der Ukraine warten müssen. Auch das Standesamt habe bestätigt, dass bei der Eheschließung mit einer ausländischen Staatsangehörigen zwischen einer ersten Auskunft über die erforderlichen Papiere bis zu deren Beschaffung im Allgemeinen mehrere Monate vergingen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 02.10.2017
Quelle: Sozialgericht Berlin/ra-online