15.11.2024
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Dokument-Nr. 29427

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Beschluss05.11.2020Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein3 MR 56/20
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Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein Beschluss05.11.2020

OVG Schleswig-Holstein: Eilantrag zum Beher­ber­gungs­verbot abgelehntBeschränkung der Beherbergungen stellen keine Grundrechts­verletzung dar

Das OVG Schleswig-Holstein hat mit Beschluss vom 05.11.2020 den Eilantrag einer Gesellschaft, die auf Sylt einen Ferienkomplex betreibt und sich gegen die Beschränkung von Beherbergungen wendet, nach ausführlicher Prüfung abgelehnt.

Es spreche vieles dafür, dass die angegriffene Regelung einer rechtlichen Überprüfung standhalten werde. Die verfah­rens­mäßigen Anforderungen an den Erlass einer Verordnung seien gewahrt. Zudem sei die Verordnung vom Infek­ti­o­ns­schutz­gesetz gedeckt. Das Infek­ti­o­ns­schutz­gesetz selbst verstoße nicht gegen den Parla­ments­vor­behalt (Wesent­lich­keits­theorie). Es komme zwar zu erheblichen Grund­recht­s­ein­griffen, doch seien diese gemäß der Verordnung zeitlich begrenzt und sollten nach zwei Wochen evaluiert werden.

Bandbreite an Schutzmaßnahmen nicht vorhersehbar

Das exponentielle Wachstum der Neuinfektionen in den vergangenen (Herbst-)Wochen habe ein umgehendes Tätigwerden des Verord­nungs­gebers unter vorheriger Verständigung mit den anderen Bundesländern erfordert. Die bezweckte rasche Eindämmung des Pande­mie­ge­schehens wäre mit dem Erlass eines formellen Parla­ments­ge­setzes nicht zu erreichen gewesen. Da sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen könnten, nicht im Vorfeld bestimmen lasse, sei weiterhin davon auszugehen, dass die Verordnung auch auf die als Generalklausel ausgestaltete gesetzliche Grundlage gestützt werden könne.

Keine Grund­rechts­ver­let­zungen durch Beher­ber­gungs­be­schrän­kungen

Mit der Verordnung einhergehende Grund­rechts­ver­let­zungen seien nicht festzustellen. Die Berufsfreiheit im Sinne des Art. 12 GG vermittele keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb und auf Sicherung künftiger Erwer­bs­mög­lich­keiten; insoweit liege nur eine Berufs­aus­übungs­re­gelung vor. Ähnlich verhalte es sich bei Art. 14 GG (Eigen­tums­ga­rantie). Der damit geschützte "eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb" erfasse nur den konkreten Bestand an Rechten und Gütern, nicht aber bloße Umsatz- und Gewinnchancen. Dessen ungeachtet seien die (zeitlich befristeten) Grund­rechts­be­schrän­kungen jedenfalls derzeit gerechtfertigt. Die Pandemie-Lage habe sich gegenwärtig nochmals deutlich verschärft. Das Virus breite sich auf einem erhöhten Niveau weiter aus, wobei die jetzt bekannten Infek­ti­o­ns­zahlen noch nicht einmal das aktuelle Geschehen abbildeten.

Unklarheit beim Infek­ti­o­ns­ge­schehen rechtfertigt befristetes Herunterfahren des öffentlichen Lebens

Zudem werde der bundesweite Anstieg durch "zumeist diffuse Geschehen" verursacht, so dass die Anste­ckungs­um­stände in mehr als 75 % der Fälle unklar blieben. In Anbetracht der auch in einschlägigen wissen­schaft­lichen Kreisen bestehenden Unsicherheiten bei der fachlichen Beurteilung des Geschehens seien auch der Verord­nungsgeber und das Gericht nicht in der Lage, diese Erkennt­nis­lücken zu schließen, so dass sich das Gericht auf eine Überprüfung der Vertretbarkeit und Plausibilität beschränken müsse. Hiervon ausgehend sei das auf vier Wochen befristete Herunterfahren eines Teiles des öffentlichen Lebens zunächst in sich konsistent, indem vermeidbare Kontakte im privaten Umfeld deutlich reduziert und solche Bereiche aufrecht­er­halten würden, die für ein Funktionieren der Gesellschaft und der Wirtschaft unerlässlich seien.

Einschränkung der Reiseaktivität zur Vermeidung der Virus-Übertragung

Darüber hinaus sei die Regelung auch verhältnismäßig, nämlich geeignet, erforderlich und angemessen, um den Anstieg der Pandemie wieder beherrschbar zu machen. Auch wenn die Beher­ber­gungs­branche über umfassende Hygienekonzepte verfüge, sei zu beachten, dass Feriengäste durch ihren Aufenthalt eine vorübergehende Veränderung des potentiellen Kontaktumfeldes herbeiführten. Touristische Reisen würden zumindest abstrakt die Gefahr mit sich bringen, das Infek­ti­o­ns­ge­schehen an einen anderen Ort zu tragen und das Virus dort weiter zu verbreiten. Dies gelte umso mehr, als die Beherbergung auch in anderen Bundesländern beschränkt sei und Auslandsreisen derzeit nur eingeschränkt möglich seien. Der Verord­nungsgeber schätze die Gefahr zwar anders ein als die Antragstellerin, doch komme ihm insoweit eine Einschät­zungs­prä­ro­gative zu. Dass diese Einschätzung offensichtlich unzutreffend wäre, sei nicht erkennbar. Selbst wenn durch die Beschränkung der Beherbergung nur ein minimaler Anteil an Infektionen vermieden werden würde, ließen sich so weitere, nicht unbedingt erforderliche Kontakte auf privater Ebene vermeiden. Angesichts der für das öffentliche Gesund­heits­system zu befürchtenden gravierenden Folgen müsse das Interesse der Beher­ber­gungs­be­triebe zurückstehen, zumal ihnen seitens der Bundesregierung eine Entschädigung für die Umsatzeinbußen zugesagt worden ist.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein, ra-online (pm/aw)

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