15.11.2024
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Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Urteil21.04.2016

Polizei­kon­trolle einer dunkelhäutigen Familie im Zug rechtswidrigHautfarbe als alleiniges oder zumindest ausschlag­ge­bendes Kriterium für Kontrolle verstößt gegen Diskri­mi­nierungs­verbot

Das Ober­verwaltungs­gericht Rheinland-Pfalz hat die Kontrolle einer dunkelhäutigen Familie in einem Zug durch Beamte der Bundespolizei für rechtswidrig erklärt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme konnte das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen, dass die Auswahl der betroffenen Personen nicht wegen ihrer Hautfarbe erfolgte.

Die Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens sind deutsche Staats­an­ge­hörige und haben eine dunkle Hautfarbe. Sie fuhren am 25. Januar 2014 mit ihren beiden Kindern - damals fünf und eineinhalb Jahre alt - in der regionalen Mittelrheinbahn, die zwischen Mainz und Koblenz verkehrt.

Polizei kontrolliert ausschließlich dunkelhäutiges Ehepaar

Drei Beamte der Bundespolizei stiegen gegen 12.10 Uhr in Bingen in den Zug ein. Gegen 12.20 Uhr sprach einer der Beamten sie an und forderte sie auf, ihre Ausweise vorzuzeigen. Die Kläger kamen der Aufforderung nach und übergaben zwei deutsche Perso­na­l­ausweise. Der Polizeibeamte gab telefonisch die Personalien zum Datenabgleich durch. Nach Rückgabe der Ausweise stiegen die Polizeibeamten an der nächsten Haltestelle aus. Weitere Kontrollen fanden in diesem Zug nicht statt.

Kläger halten polizeiliche Maßnahme für rechtswidrig

Mit ihrer daraufhin erhobenen Klage machten die Kläger geltend, die polizeilichen Maßnahmen seien rechtswidrig gewesen. Die Voraussetzungen für eine Kontrolle in Zügen, die zur unerlaubten Einreise genutzt würden, hätten nicht vorgelegen. Die Polizei­kon­trolle habe insbesondere gegen den Gleich­be­hand­lungs­grundsatz verstoßen.

VG: Regionalzug kann nicht zur unerlaubten Einreise genutzt werden

Das Verwal­tungs­gericht gab der Klage mit der Begründung statt, ein Regionalzug, der - wie vorliegend - seinen Ausgangs- und Endpunkt im Bundesgebiet habe, könne nicht zur unerlaubten Einreise genutzt werden.

Polizei­kon­trolle in Regionalzug grundsätzlich zulässig

Das Oberver­wal­tungs­gericht wies die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurück. Die Kontrolle fände ihre Rechtsgrundlage in § 22 Abs. 1a des Bundes­po­li­zei­ge­setzes (BPolG). Danach könne die Bundespolizei eine solche Maßnahme in bestimmten Zügen zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet ergreifen. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz seien regionale Züge, die - wie die Mittelrheinbahn im vorliegenden Fall - ihren Ausgangs- und Endpunkt im Bundesgebiet hätten, nicht vom Anwen­dungs­bereich der Vorschrift ausgeschlossen. Mit dem Wortlaut sei auch ein weiteres Verständnis der Norm vereinbar, das nicht auf grenz­über­fahrende Züge beschränkt sei, sondern auch Züge einschließe, die auf einer Zugstrecke nach einem Umsteigen zur Weiterreise unerlaubt einreisender Personen genutzt würden. Für ein solches Verständnis sprächen unter anderem die Entste­hungs­ge­schichte der Vorschrift, die Systematik des Geset­zes­wort­lautes und der Gesetzeszweck.

Anwendung der Vorschrift im vorliegenden Fall ermes­sens­feh­lerhaft und rechtswidrig

Die Vorschrift sei mit diesem Inhalt auch verfas­sungsgemäß. Sie genüge insbesondere dem aus dem Rechts­s­taats­prinzip folgenden Bestimmt­heitsgebot und verstoße nicht gegen den Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit. Es bestünden auch keine durchgreifenden Bedenken an ihrer Vereinbarkeit mit EU-Recht, nämlich mit den Regelungen zur Abschaffung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen nach Art. 20 und 21 des Schengener Grenzkodexes. Denn die Ausübung der Befugnis im Bundes­po­li­zei­gesetz zur Befragung und zum Ausweis­ver­langen in bestimmten Zügen im Bundesgebiet zur Unterbindung unerlaubter Einreise habe nicht die gleiche Wirkung wie Grenz­über­tritts­kon­trollen; die polizeilichen Maßnahmen würden nach den gesetzlichen Regelungen nur auf der Grundlage von Stichproben durchgeführt. Die Anwendung der Vorschrift im vorliegenden Fall sei jedoch ermes­sens­feh­lerhaft und damit rechtswidrig.

Hautfarbe der Kläger war für Kontrolle zumindest mitent­schei­dendes Kriterium

Es könne dahinstehen, ob die Beklagte hinreichend nachgewiesen habe, dass aufgrund von Lageer­kennt­nissen oder grenz­po­li­zei­licher Erfahrung angenommen werden könne, die Bahnstrecke von Mainz nach Koblenz werde zur unerlaubten Einreise genutzt, und somit die tatbe­stand­lichen Voraussetzungen für die Kontrolle der Kläger vorlägen. Die Auswahl der Kläger sei jedenfalls ermes­sens­feh­lerhaft. Bei Würdigung des gesamten Sachverhalts, insbesondere nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, in der die Polizeibeamten, die die Kläger kontrolliert hätten, als Zeugen vernommen worden seien, habe das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Hautfarbe der Kläger für ihre Kontrolle nicht zumindest ein mitent­schei­dendes Kriterium gewesen sei.

OVG rügt Verstoß Diskri­mi­nie­rungs­verbot

Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) dürfe niemand wegen seiner "Rasse" benachteiligt werden, womit auch die Hautfarbe umfasst sei. Dieses Merkmal dürfe nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts nicht als Anknüp­fungspunkt für eine rechtliche Ungleich­be­handlung herangezogen werden. Die Verfas­sungs­be­stimmung binde nicht nur den Gesetzgeber, sondern auch die Behörden bei der Anwendung der Gesetze. Eine Auswahl der Personen bei Kontrollen zur Unterbindung unerlaubter Einreisen, für die die Hautfarbe der Personen das alleinige oder zumindest ein ausschlag­ge­bendes Kriterium sei, verstoße nach der Rechtsprechung des Gerichts gegen das Diskri­mi­nie­rungs­verbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Zwar dienten Kontrollen nach § 22 Abs. 1a BPolG der Verhinderung und Unterbindung unerlaubter Einreise und damit der Bekämpfung von illegaler Migration, Schleu­sungs­kri­mi­nalität und Menschenhandel, also durchaus gewichtigen öffentlichen Interessen. Angesichts der geringen Erfolgsquote, das heißt der geringen Zahl festgestellter unerlaubter Einreisen im Verhältnis zur großen Zahl der Befragungen von nur rund 1 %, komme dieser Befugnis keine so große Bedeutung zum Schutz der genannten öffentlichen Interessen zu, dass sie ausnahmsweise eine Ungleich­be­handlung wegen der Hautfarbe rechtfertigen könne.

Kontrolle in Anknüpfung an die Hautfarbe unzulässig

Liege der Auswahl der nach § 22 Abs. 1a BPolG befragten Person ein Motivbündel zugrunde und sei dabei die Hautfarbe ein die Entscheidung zur Durchführung der Kontrolle tragendes Kriterium unter mehreren, so sei über die bisherige Rechtsprechung hinausgehend ebenfalls ein Verstoß gegen das Diskri­mi­nie­rungs­verbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG anzunehmen. Eine Kontrolle in Anknüpfung an die Hautfarbe sei unzulässig. Die genaue Motivlage der die Kläger kontrol­lie­renden Bundes­po­li­zei­beamten habe sich auch im Rahmen der umfangreichen Beweisaufnahme nicht feststellen lassen. Aufgrund der äußeren Umstände der Kontrolle und der teilweise unklaren Angaben der Zeugen sei der Senat nicht hinreichend davon überzeugt, dass die Hautfarbe der Kläger für ihre Kontrolle nicht doch mitentscheidend gewesen sei.

Der im Anschluss an das Ausweis­ver­langen telefonisch durchgeführte Abgleich der Personalien der Kläger mit dem Fahndungs­bestand sei folglich ebenfalls rechtswidrig.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz/ra-online

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