15.11.2024
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Dokument-Nr. 29049

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Urteil17.07.2020Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz10 A 11208/18.OVG
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Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Urteil17.07.2020

OVG Rheinland-Pfalz: Landkreis Kaiserslautern darf nicht zur Erhöhung Kreisumlage gezwungen werdenErhöhung ist unzulässig Eingriff in die verfassungs­rechtlich geschützte finanzielle Minde­st­ausstattung

Die Beanstandung des Haushalts des Landkreises Kaiserslautern für das Jahr 2016 durch die Kommu­na­l­aufsicht des Landes Rheinland-Pfalz und die von ihr festgesetzte Erhöhung der Kreisumlage sind rechtswidrig, weil das Land dadurch unzulässig in die verfassungs­rechtlich geschützte finanzielle Minde­st­ausstattung von mehr als einem Viertel der kreis­an­ge­hörigen Gemeinden eingriffen hat. Dies entschied das Ober­verwaltungs­gericht Rheinland-Pfalz in Koblenz.

Vor dem Hintergrund des trotz Verbesserungen gegenüber dem Vorjahr weiterhin unaus­ge­gli­chenen Haushaltes des Landkreises Kaiserslautern und seiner bilanziellen Überschuldung beanstandete die Kommu­na­l­aufsicht des beklagten Landes dessen Haushalt für das Haushaltsjahr 2016 und forderte ihn zur Reduzierung des Fehlbetrages um zwei Millionen Euro auf. Der Landkreis hielt dies für rechtswidrig, weil er seine Kräfte größtmöglich angespannt habe. Vielmehr sei die Finan­z­ausstattung durch das Land zu niedrig. Die von der Kommu­na­l­aufsicht als einzig effektives Mittel zur Reduzierung des Fehlbetrages geforderte Erhöhung des Umlagesatzes der Kreisumlage lehnte er mit Blick auf die angespannte finanzielle Lage zumindest einiger kreis­an­ge­höriger Gemeinden ab. Daraufhin setzte die Kommu­na­l­aufsicht den Umlagesatz für die Kreisumlage im Wege der Ersatzvornahme auf einen trotz der Zusatzbelastung der kreis­an­ge­hörigen Kommunen ihrer Meinung nach vertretbaren und gebotenen Satz von 44,23 v.H. fest, was eine Erhöhung um knapp zwei Prozentpunkte bedeutete.

VG bestätigt Rechtmäßigkeit der Erhöhung der Kreisumlage

Gegen diese kommu­na­l­auf­sicht­lichen Maßnahmen erhob der Kläger Klage, die das Verwal­tungs­gericht abwies. Die kommu­na­l­auf­sichtliche Beanstandung sei rechtmäßig, weil der Kreis­tags­be­schluss des Klägers über den Haushalt 2016 gegen das Überschul­dungs­verbot und das Gebot des jährlichen Haushalts­aus­gleichs verstoßen habe. Seiner rechtlichen Verpflichtung, das Haushalts­defizit so gering wie möglich zu halten, könne sich der Kläger nicht durch Hinweis auf eine unzureichende Finanzierung durch den Beklagten entziehen, solange es ihm möglich sei, selbst Maßnahmen zur Haushalts­sa­nierung zu ergreifen. Eine solche Maßnahme sei die Erhöhung des Kreisum­la­ge­satzes. Der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die desolate Finanzlage der meisten seiner kreis­an­ge­hörigen Gemeinden es nicht zulasse, der Anordnung des Beklagten nachzukommen. Der Beklagte sei rechts­feh­lerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass bis auf drei Gemeinden keine der kreis­an­ge­hörigen Kommunen einen "nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag" aufweise und dass ausreichende Kapita­l­rü­cklagen vorhanden seien, um aufgelaufene Fehlbeträge zu verrechnen und somit den geforderten Haushalts­aus­gleich zu erreichen.

OVG hob die angegriffenen kommu­na­l­auf­sicht­lichen Maßnahmen auf

Auf die Berufung des Klägers gab das Oberver­wal­tungs­gericht hingegen der Klage statt und hob die angegriffenen kommu­na­l­auf­sicht­lichen Maßnahmen auf. Die Beanstandung des Haushalts des Klägers einschließlich der geforderten Reduzierung des Fehlbetrags und die im Wege der Ersatzvornahme festgesetzte Erhöhung der Kreisumlage durch die Kommu­na­l­aufsicht des beklagten Landes seien rechtswidrig. Die Kommu­na­l­aufsicht könne Beschlüsse des Kreistags beanstanden, die das bestehende Recht verletzten. Der vom Kreistag des Klägers beschlossene Haushalt für das Jahr 2016 habe zwar objektiv gegen die Pflicht zum Haushalts­aus­gleich und das Verbot bilanzieller Überschuldung verstoßen. Wenn ein vollständiger Haushalts­aus­gleich außerhalb des Möglichen liege - wie zwischen den Beteiligten unstreitig hier -, so bestehe die Verpflichtung, den Ausgleich mit allen Mitteln anzustreben. Die Beanstandung sei jedoch ermes­sens­feh­lerhaft.

Ausgesprochene Beanstandung war unver­hält­nismäßig

Für die Rechtmäßigkeit der Beanstandung sei es allerdings vorliegend rechtlich ohne Belang und könne daher offenbleiben, ob das beklagte Land seiner verfas­sungs­recht­lichen Verpflichtung nachgekommen sei, für eine angemessene Finan­z­ausstattung der Landkreise zu sorgen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn - wie hier - außer Streit stehe, dass der Beklagte seinen einfach-gesetzlichen Verpflichtungen zur Finanzierung des Klägers nachgekommen sei. Die ausgesprochene Beanstandung erweise sich vielmehr deswegen als unver­hält­nismäßig, weil dem Kläger auch bei größtmöglicher Anspannung seiner Kräfte keine ausreichenden, insbesondere mit Blick auf die verfas­sungs­rechtlich geschützten Belange seiner kreis­an­ge­hörigen Gemeinden zulässigen Handlungs­mög­lich­keiten zur Verfügung gestanden hätten, um sein Haushalts­defizit spürbar, d.h. mehr als nur geringfügig, zu reduzieren. Nicht ausgeschöpfte konkrete Einspa­r­po­tenziale von nennenswertem Umfang seien nicht erkennbar und auch vom Beklagten nicht präzisiert worden.

Erhöhung der Kreisumlage griff in verfas­sungs­rechtlich geschützte finanzielle Minde­st­ausstattung ein

Die dann allein verbleibende Erhöhung der Kreisumlage habe indes vom Beklagten nicht angeordnet werden dürfen, weil sie in die verfas­sungs­rechtlich geschützte finanzielle Minde­st­ausstattung von mindestens ca. einem Viertel der kreis­an­ge­hörigen Gemeinden eingreife. Bei der Beantwortung der Frage, ob die Erhöhung einer Kreisumlage allein oder im Zusammenwirken mit anderen Umlagen dauerhaft gegen den verfas­sungs­recht­lichen Anspruch auf finanzielle Minde­st­ausstattung der umlage­pflichtigen Gemeinden verstoße, sei maßgeblich auf die Liqui­di­täts­kre­dit­be­lastung innerhalb eines Zehnjah­res­zeitraums abzustellen. Sonstige Finanz­kenn­zahlen, insbesondere die "freie Finanzspitze" oder die Eigen­ka­pi­talhöhe bzw. Kapitalrücklage, seien entgegen der Annahme der Vorinstanz insoweit weniger oder kaum aussagekräftig. Die im Eigenkapital bilanzierten Vermögenswerte, z.B. Friedhöfe, Gemeindestraßen und sonstige kommunale Einrichtungen, seien nämlich überwiegend nicht veräußerbar.

Liqui­di­täts­kredite stellen keine Deckungsmittel zur Finanzierung von ungedeckten Auszahlungen oder zur Finanzierung von Zinsgeschäften dar

Liqui­di­täts­kredite sollten von Gesetzes wegen lediglich den verzögerten Eingang von Deckungsmitteln überbrücken und dürften ausschließlich zu Zwecken der Kassen­ver­stärkung vorübergehend genutzt werden. Sie stellten insbesondere keine Deckungsmittel zur dauerhaften Finanzierung von ungedeckten Auszahlungen oder zur Finanzierung von Zinsgeschäften dar. Für die Frage, ab welcher Kredithöhe die Aufnahme von Liqui­di­täts­krediten signalisiere, dass einer Gemeinde keine ausreichenden Spielräume mehr für die Wahrnehmung freiwilliger Selbst­ver­wal­tungs­aufgaben zur Verfügung stünden, existierten weder rechtliche Festlegungen noch einschlägige Rechtsprechung. Es sei neben der Dauerhaftigkeit auch die Höhe der Liqui­di­täts­kre­dit­be­lastung zu betrachten, zu bewerten und diese überdies in Relation zur Einwohnerzahl zu setzen.

Hälfte aller Ortsgemeinden bereits hohe Liqui­di­täts­kre­dit­schulden belastet

Der Rechnungshof Rheinland-Pfalz halte in seinem Kommunalbericht 2018 Liqui­di­täts­kre­dit­schulden u.a. für problematisch, wenn sie pro Einwohner mehr als 1.000 € betrügen. Daneben könne die Liqui­di­täts­kre­dithöhe pro Einwohner in Relation zu dem landes- oder dem kreisweiten Durchschnitt gesetzt werden. Aus den vom Kläger und vom Statistischen Landesamt vorgelegten Zahlen ergebe sich, dass nach allen diesen Vergleichs­maß­stäben langjährig mindestens ein Viertel, häufig sogar ein Drittel bis die Hälfte aller Ortsgemeinden im Bereich des Klägers durchgängig so hohe Liqui­di­täts­kre­dit­schulden pro Einwohner aufwiesen, dass ihnen kein rechtlich abgesicherter Spielraum für nicht kredit­fi­nan­zierte freiwillige

Selbst­ver­wal­tungs­aufgaben mehr verbleibe. Deshalb sei die von dem Beklagten im Wege der Kommu­na­l­aufsicht durchgesetzte Erhöhung der Kreisumlage rechtswidrig.

Einnah­memög­lich­keiten der Gemeinde nicht ausgeschöpft

Der Einwand eines Eingriffs in die finanzielle Minde­st­ausstattung sei vorliegend schließlich nicht deshalb ausgeschlossen, weil die mit dauerhaft hohen Liqui­di­täts­krediten belasteten kreis­an­ge­hörigen Gemeinden bei struktureller Betrachtung ihre Einnah­memög­lich­keiten nicht ausgeschöpft hätten. Ausweislich der Kommu­nal­be­richte und eines vom Kläger vorgelegten Gutachtens lasse sich bei einer Querschnitts­be­trachtung des Landkreis­be­reichs kein nennenswertes Potenzial für Einnah­me­stei­ge­rungen im Bereich der Realsteu­er­he­besätze feststellen.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, ra-online (pm/ab)

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