18.10.2024
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Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen Urteil10.08.2015

Journalist hat Anspruch auf Einsicht in Gutachten über NS-Vergangenheit ehemaliger Mitarbeiter des Bundes­landwirtschafts­ministeriumsMinisterium muss zumindest Einsicht in Schlussberichte mit Vermerk "deutlich kritikwürdig" oder "nicht ehrwürdig" verstorbener Bediensteter gewähren

Das Ober­verwaltungs­gericht Nordrhein-Westfalen hat entschieden, dass ein Journalist zumindest teilweise Anspruch auf Einsichtnahme in ein Gutachten über die NS-Vergangenheit ehemaliger Mitarbeiter des Bundes­landwirtschafts­ministeriums verlangen kann.

Im zugrunde liegenden Verfahren hatte das Bundes­mi­nis­terium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau­cher­schutz zur Klärung der Ehrwürdigkeit ehemaliger Bediensteter seines Geschäfts­be­reichs im Falle ihres Ablebens (Ehrung mit einer Kranzspende oder einer Anzeige) einen Privatdozenten mit der Erstellung eines Sachver­stän­di­gen­gut­achtens beauftragt. In dem 2009 fertig gestellten Gutachten mit dem Titel "Entwicklung und Kriterien zur Bewertung der Ehrwürdigkeit von ehemaligen Mitar­bei­te­rinnen und Mitarbeitern des BML/BMVEL und der Dienststellen seines Geschäfts­be­reichs im Hinblick auf die Zeit des Natio­nal­so­zi­a­lismus" wurden die Lebensläufe von 62 ehemaligen Bediensteten des Ministeriums, die zum Zeitpunkt der Vergabe des Gutach­ten­auftrags im Jahr 2005 noch lebten, im Hinblick auf ihre natio­nal­so­zi­a­lis­tische Vergangenheit untersucht und bewertet.

Akteneinsicht aus daten­schutz­recht­lichen Gründen teilweise verneint

Einem Antrag des Klägers - eines Journalisten - auf Einsichtnahme in das Gutachten u. a. nach dem Infor­ma­ti­o­ns­frei­heits­gesetz (IFG) entsprach das Ministerium nur teilweise. Es teilte zur Begründung mit, die umfangreichen geschwärzten Textstellen enthielten perso­nen­be­zogene Daten auf der Grundlage von Personalakten. Sie könnten aus daten­schutz­recht­lichen Gründen nicht herausgegeben werden.

Noch lebende ehemalige Bedienstete müssen Zustimmung zur Akteneinsicht geben

Die Klage auf Einsichtnahme in die geschwärzten Teile des Gutachtens hatte im Berufungs­ver­fahren teilweise Erfolg. Soweit sich die im Schlussbericht enthaltenen Informationen auf noch lebende Personen beziehen, hat das Oberver­wal­tungs­gericht Nordrhein-Westfalen allerdings die Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts bestätigt, wonach die Beklagte (lediglich) verpflichtet ist, über den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechts­auf­fassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Dem geltend gemachten Anspruch stehe insoweit der Ausschlussgrund des Schutzes perso­nen­be­zogener Daten nach § 5 Abs. 1 und 2 IFG entgegen, soweit die Betroffenen nicht in die Herausgabe der sie betreffenden Informationen einwilligten. Die Beklagte sei entgegen ihrer Auffassung verpflichtet, die noch lebenden ehemaligen Bediensteten zu fragen, ob sie einer Einsichtnahme zustimmten.

Schutz perso­nen­be­zogener Daten steht Infor­ma­ti­o­ns­zugang bei verstorbenen Bediensteten nur noch begrenzt entgegen

Hinsichtlich der bereits verstorbenen ehemaligen Mitarbeiter hat das Oberver­wal­tungs­gericht die Beklagte verpflichtet, die Einsichtnahme in das Gutachten zu gewähren, soweit diese Personen im Schlussbericht als "deutlich kritikwürdig" oder "nicht ehrwürdig" bezeichnet werden oder ihr Todeszeitpunkt mindestens drei Jahre zurückliegt. Hierzu hat der Vorsitzende in der mündlichen Urteils­be­gründung ausgeführt, dass der Schutz perso­nen­be­zogener Daten dem Infor­ma­ti­o­ns­zugang nach § 5 Abs. 1 und 2 IFG nur noch begrenzt entgegenstehe. § 5 Abs. 2 IFG sichere den beamten­rechtlich gewährleisteten Schutz der Vertraulichkeit von Personalakten auch gegenüber Ansprüchen nach dem IFG ab und erstrecke diesen inhaltsgleich auf die im öffentlichen Dienst privatrechtlich Beschäftigten. Personalakten seien nach §§ 106 ff. Bundes­be­am­ten­gesetz (BBG) auch nach dem Tod des jeweiligen Bediensteten grundsätzlich weiterhin vertraulich zu behandeln. Diese Vertraulichkeit sei in den §§ 106 ff. BBG jedoch nicht unbegrenzt gewährleistet, sondern werde unter den Voraussetzungen des § 111 Abs. 3 BBG durchbrochen. Als berechtigtes Interesse im Sinne dieser Vorschrift komme auch ein Interesse der Presse an der Information der Öffentlichkeit über Gegenstände von allgemeinem Interesse in Betracht. Die weiteren engen Voraussetzungen dieser Ausnah­me­vor­schrift, wonach das berechtigte Interesse an der Information gegenüber dem Schutz der Perso­na­l­ak­tendaten "höherrangig" sein muss, lägen hinsichtlich der bereits verstorbenen ehemaligen Bediensteten teilweise vor. Die Schutz­wür­digkeit von Perso­na­l­ak­tendaten Verstorbener sei mit dem Tod bereits erheblich vermindert und nehme mit zunehmendem Zeitablauf weiter ab. Ausgehend davon überwiege das Interesse des Klägers am Infor­ma­ti­o­ns­zugang in Bezug auf die als "nicht ehrwürdig" oder "deutlich kritikwürdig" bezeichneten Personen bereits unmittelbar nach dem Tod und im Übrigen jedenfalls nach Ablauf von drei Jahren nach dem Versterben derart deutlich, dass die Einsichtnahme zu gewähren sei. Soweit der Datenschutz dem Infor­ma­ti­o­ns­zugang danach zurzeit noch entgegenstehe, komme eine Einwilligung in die Preisgabe der Perso­na­l­ak­tendaten nach dem Tod der Betroffenen (etwa durch die Angehörigen) nicht in Betracht.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen/ra-online

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