18.10.2024
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Dokument-Nr. 26014

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Oberverwaltungsgericht Bremen Urteil04.06.2018

Medizinische Alters­fest­stellung bei unbegleiteten minderjährigen AusländernNachweis der Volljährigkeit kann mit Hilfe forensischer Alters­dia­gnostik erbracht werden

Das Ober­verwaltungs­gericht Bremen hat in mehreren jugend­hilfe­rechtlichen Beschwer­de­ver­fahren Stellung genommen zu Fragen der medizinischen Alters­fest­stellung bei Personen, die angeben, als minderjährige Ausländer unbegleitet eingereist zu sein. Das Gericht verwies in seiner Entscheidung darauf, dass mit Hilfe der forensischen Alters­dia­gnostik nachgewiesen werden kann, ob der Betroffene volljährig ist.

Das Bundesrecht sieht in § 42 f Sozial­ge­setzbuch Achtes Buch (SGB 8) seit 01.11.2015 ein abgestuftes Verfahren zur Alters­fest­stellung vor. Liegen - wie regelmäßig - keine Ausweispapiere vor, ist der Betroffene zunächst von Mitarbeitern des Jugendamts in Augenschein zu nehmen und zu seinem Alter und zu seinem bisherigen Lebensweg zu befragen. Nach der Rechtsprechung des Oberver­wal­tungs­ge­richts Bremen ist von den Betroffenen insoweit zu verlangen, dass sie schlüssige und glaubhafte Angaben zu ihrer bisherigen Biographie machen. Ungereimtheiten könnten in Verbindung mit dem äußeren Erschei­nungsbild dazu führen, dass ihnen auch ohne weitere medizinische Ermittlungen die eigene Altersangabe nicht abgenommen werden könne.

Gesetz sieht keine bestimmte Methode zur Alters­be­stimmung vor

Bestehen nach der Befragung weiterhin Zweifel an der Alters­ei­gen­angabe, hat das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Alters­be­stimmung zu veranlassen. Dies setzt nach der gesetzlichen Regelung eine umfassende Aufklärung und eine Einwilligung des Betroffenen und seines Vertreters voraus. Eine bestimmte Methode zur Alters­be­stimmung nennt das Gesetz nicht. Innerhalb der Ärzteschaft besteht insoweit Streit. Zuletzt hatte die Zentrale Ethikkommission bei der Bunde­s­ärz­te­kammer Bedenken gegen die wissen­schaftliche Eignung der gegenwärtig verwendeten Verfahren zur so genannten forensischen Alters­dia­gnostik erhoben. Die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin ist dem entge­gen­ge­treten.

Rechts­me­di­zi­nisches Institut fertigt von jeweiligen Betroffenen Röntgen­auf­nahmen des Kiefers an

In den vorliegenden Verfahren führte die Befragung durch die Mitarbeiter des Jugendamts zu keinem klaren Ergebnis. In allen drei Fällen waren deshalb durch ein rechts­me­di­zi­nisches Institut von den Betroffenen Röntgen­auf­nahmen des Kiefers angefertigt worden. Der medizinische Gutachter kam jeweils zu dem Ergebnis, dass der Betroffene aufgrund des Entwick­lungs­grades der Weisheitszähne sowie des Knochenabbaus im Kiefer mit sehr großer Wahrschein­lichkeit über 18 Jahre alt sei.

OVG hält Nachweis der Volljährigkeit durch forensische Alters­dia­gnostik für möglich

Das Oberver­wal­tungs­gericht Bremen ging in seiner Entscheidung davon aus, dass mit Hilfe der forensischen Alters­dia­gnostik nachgewiesen werden kann, ob der Betroffene volljährig ist. Das Verfahren sei etabliert und in der Rechtsprechung anerkannt. Unerheblich sei insoweit, dass das exakte Lebensalter nicht medizinisch feststellbar sei. Rechtlich sei allein erheblich, ob die Volljäh­rig­keits­grenze überschritten sei. Diese Frage könne auf der Grundlage verschiedener Methoden der Alters­dia­gnostik sicher beantwortet werden.

Empfohlenes dreistufiges Verfahren zur Alters­fest­stellung wurde nicht durchgeführt

Die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin empfehle für einen zweifelsfreien Nachweis der Vollendung des 18. Lebensjahres ein dreistufiges Verfahren (körperliche Untersuchung mit Anamne­seer­hebung, Röntgen der linken Hand und der Kieferregion und - bei abgeschlossener Hands­ke­lett­ent­wicklung - eine CT-Untersuchung der Schlüsselbeine). Ein solches Verfahren sei vorliegend bislang nicht durchgeführt worden. Deswegen könne zurzeit nicht zu Lasten der Betroffenen angenommen werden, sie seien volljährig. Für eine Beschränkung der Begutachtung auf ein Röntgen des Kiefers spreche zwar eine geringere Strah­len­be­lastung. Gegen eine solche Beschränkung spreche aber, dass sie Minder­jäh­rigkeit nicht sicher ausschließe. Dies gelte auch deswegen, weil in medizinischen Studien auf ethnische Unterschiede bei der Entwicklung der Weisheitszähne hingewiesen werde.

Keine Einwilligung zur Durchführung des Verfahrens zur Alters­fest­stellung

In einem der drei Beschwer­de­ver­fahren (1 B 53/18) hat das Oberver­wal­tungs­gericht zudem beanstandet, dass der Betroffene vor der ärztlichen Untersuchung nicht, wie es das Gesetz verlangt, durch das Jugendamt umfassend aufgeklärt worden sei und es zudem an seiner Einwilligung sowie der Einwilligung eines Vertreters fehle. Die Einwilligung durch einen Mitarbeiter des Jugendamts aus dem Referat für minderjährige unbegleitete Ausländer sei insoweit nicht ausreichend.

Die Beschlüsse des Oberver­wal­tungs­ge­richts, die alle im einstweiligen Rechtsschutz ergangen sind, haben zur Folge, dass das Jugendamt die Betroffenen vorläufig weiter in Obhut zu nehmen hat.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Bremen/ra-online

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