18.10.2024
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Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss04.05.2016

Verwertung von "Dashcam"-Aufnahmen zur Verfolgung schwerwiegender Verkehrs­ordnungs­widrigkeiten grundsätzlich zulässig§ 6b BDSG enthält kein Beweis­verwertungs­verbot für Straf- und Bußgeld­ver­fahren

Das Oberlan­des­gericht Stuttgart hat es für grundsätzlich zulässig erachtet, in einem Bußgeld­ver­fahren ein Video zu verwerten, das ein anderer Verkehrs­teil­nehmer mit einer "Dashcam" aufgenommen hat. Dies gelte jedenfalls für die Verfolgung schwerwiegender Verkehrs­ordnungs­widrigkeiten wie – vorliegend – eines Rotlicht­ver­stoßes an einer mindestens seit sechs Sekunden rot zeigenden Ampel. Als "Dashcam" wird eine kleine Videokamera auf dem Armaturenbrett oder an der Windschutz­scheibe eines Fahrzeugs bezeichnet, die während der Fahrt aufnimmt.

Im zugrunde liegenden Verfahren hatte das Amtsgericht Reutlingen gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Missachtens des Rotlichts einer Ampel eine Geldbuße von 200 Euro und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Den Tatnachweis konnte das Amtsgericht allein aufgrund eines Videos führen, das ein anderer Verkehrs­teil­nehmer zunächst anlasslos mit einer "Dashcam" aufgenommen hatte. Das Oberlan­des­gericht Stuttgart hat dieses Urteil bestätigt und die Rechts­be­schwerde des Betroffenen verworfen.

Über Verwertbarkeit des Materials ist im Einzelfall unter Abwägung wider­strei­tender Interessen zu entscheiden

Dabei hat das Gericht offen gelassen, ob bzw. unter welchen Umständen die Nutzung einer "Dashcam" durch einen Verkehrs­teil­nehmer gegen § 6 b des Bundes­da­ten­schutz­ge­setzes (BDSG) verstößt, der die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen nur in engen Grenzen zulässt. Denn jedenfalls enthalte § 6 b Abs. 3 Satz 2 BDSG kein Beweis­ver­wer­tungs­verbot für das Straf- und Bußgeld­ver­fahren. Somit folge aus einem (möglichen) Verstoß gegen diese Vorschrift nicht zwingend eine Unver­wert­barkeit der Videoaufnahme. Über die Verwertbarkeit sei vielmehr im Einzelfall unter Abwägung der wider­strei­tenden Interessen zu entscheiden.

Eingriff in allgemeines Persön­lich­keitsrecht des Betroffenen im konkreten Fall nur gering

Dass das Amtsgericht im vorliegenden Fall kein Beweis­ver­wer­tungs­verbot angenommen habe, sei aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Zwar griffen Videoaufnahmen von Verkehrs­vor­gängen in das allgemeine Persön­lich­keitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein. Die Intensität und Reichweite des Eingriffs sei im konkreten Fall jedoch gering. Insbesondere betreffe ein Video, das lediglich Verkehrs­vorgänge dokumentiere und mittelbar die Identifizierung des Betroffenen über das Kennzeichen seines Fahrzeugs ermögliche, nicht den Kernbereich seiner privaten Lebens­ge­staltung oder seine engere Privat- oder gar Intimsphäre. Im Rahmen der Abwägung seien zudem die hohe Bedeutung der Verfolgung schwerer Verkehrs­verstöße für die Sicherheit des Straßenverkehrs und das Gewicht des Verstoßes im Einzelfall zu berücksichtigen.

Bußgeldbehörden müssen ein ausschließlich auf "Dashcam"-Aufzeichnungen beruhendes Verfahren nicht weiter verfolgen

Das Oberlan­des­gericht hob zugleich hervor, dass die Bußgeldbehörden ihrerseits bereits bei Verfah­ren­s­ein­leitung die Verwertbarkeit derartiger Aufnahmen zu prüfen und u. a. die Schwere des Eingriffs gegen die Bedeutung und das Gewicht der angezeigten Ordnungs­wid­rigkeit abzuwägen hätten. Aufgrund des Oppor­tu­ni­täts­grund­satzes (vgl. § 47 OWiG) stehe es den Bußgeldbehörden frei, ein ausschließlich auf der Ermitt­lung­s­tä­tigkeit von Privaten mittels "Dashcam" beruhendes Verfahren nicht weiter zu verfolgen.

Relevante Normen:

Erläuterungen

Bundesdatenschutzgesetz

Bundesdatenschutzgesetz (BDSG): Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen'>

(1) Die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Video­über­wachung) ist nur zulässig, soweit sie

1. zur Aufga­be­n­er­füllung öffentlicher Stellen,

2. zur Wahrnehmung des Hausrechts oder

3. zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke

erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.

(2) Der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle sind durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen.

(3) Die Verarbeitung oder Nutzung von nach Absatz 1 erhobenen Daten ist zulässig, wenn sie zum Erreichen des verfolgten Zwecks erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Für einen anderen Zweck dürfen sie nur verarbeitet oder genutzt werden, soweit dies zur Abwehr von Gefahren für die staatliche und öffentliche Sicherheit sowie zur Verfolgung von Straftaten erforderlich ist.

[...]

§ 47 Ordnungs­wid­rig­kei­ten­gesetz (OWiG): Verfolgung von Ordnungs­wid­rig­keiten

(1) Die Verfolgung von Ordnungs­wid­rig­keiten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verfol­gungs­behörde. Solange das Verfahren bei ihr anhängig ist, kann sie es einstellen.

[...]

Quelle: Oberlandesgericht Stuttgart/ra-online

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