15.11.2024
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Dokument-Nr. 7042

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Beschluss24.11.2008Oberlandesgericht Stuttgart2-2 StE 5/91
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Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss24.11.2008

Restfrei­heits­strafe gegen Ex-RAF-Mitglied Christian Klar zur Bewährung ausgesetzt

Das Oberlan­des­gericht Stuttgart hat entschieden, die Vollstreckung des Restes der gegen Christian Klar verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe mit Wirkung zum 3. Januar 2009 zur Bewährung auszusetzen. Herr Klar wird zu diesem Zeitpunkt 26 Jahre Freiheitsstrafe verbüßt haben.

Die Bewährungszeit beträgt 5 Jahre. Der Verurteilte wird der Aufsicht und Leitung eines Bewäh­rungs­helfers unterstellt. Außerdem werden ihm Weisungen zur Meldung des Wohnsitzes und der Arbeitsstelle erteilt.

Die Entscheidung entspricht dem Antrag der General­bun­des­an­walt­schaft beim Bundes­ge­richtshof. Auch die Justiz­voll­zugs­anstalt Bruchsal hat die Aussetzung der restlichen Strafe befürwortet.

Der 2. Strafsenat hatte bereits durch Beschluss vom 13. Februar 1998 angeordnet, dass der Verurteilte wegen der besonderen Schwere der Schuld mindestens 26 Jahre Strafe verbüßen muss. In dieser Entscheidung ist die außer­or­dentliche Schwere der Schuld, die Christian Klar mit den abgeurteilten Straftaten auf sich geladen hat, umfassend berücksichtigt. Hierzu gehört auch das Verhalten des Verurteilten nach den Straftaten, unter anderem die bislang fehlende Bereitschaft, sich bei den Opfern seiner Taten beziehungsweise deren Hinterbliebenen zu entschuldigen.

Richter: Keine Anhaltspunkte für fortdauernde Gefährlichkeit von Klar

Der Senat hatte jetzt nach den bindenden gesetzlichen Vorschriften des Straf­ge­setz­buches (§§ 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) nur noch darüber zu entscheiden, ob die Aussetzung der restlichen Freiheitsstrafe zur Bewährung unter Berück­sich­tigung des Sicher­heits­in­teresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Maßgeblich war damit die Frage, ob von Christian Klar künftig erneut erhebliche Straftaten zu befürchten sind. Dies hat der Senat verneint. Grundlage der Entscheidung waren die Progno­se­gut­achten zweier Sachver­ständiger und die Stellungnahme der Justiz­voll­zugs­anstalt Bruchsal sowie die persönliche Anhörung des Verurteilten durch den Senat. Der Senat sieht in Übereinstimmung mit dem Vertreter der Bundes­an­walt­schaft, den Sachver­ständigen und der Justiz­voll­zugs­anstalt Bruchsal keine Anhaltspunkte für eine fortdauernde Gefährlichkeit des Verurteilten, das heißt für die Gefahr, dass dieser künftig erneut schwere Straftaten begehen könnte.

Klar will vom "bewaffneten Kampf" Abstand nehmen

Entscheidend hierfür sei u. a., dass das kriminelle Handeln von Christian Klar eng mit dessen früherer Zugehörigkeit zur „RAF“ verbunden war, dass die „RAF“ seit 1998 unter aktiver Mitwirkung des Verurteilten aufgelöst ist und dass dieser schon zuvor unmiss­ver­ständlich geäußert hatte, vom „bewaffneten Kampf“ Abstand zu nehmen. Bisher ist keines der entlassenen „RAF“- Mitglieder wieder einschlägig straffällig geworden. Die Erklärung des Verurteilten, er schließe solches auch für sich aus, sei nicht zuletzt mit Blick auf sein in den vergangenen Jahren völlig verändertes, jetzt konstruktives Verhalten im Strafvollzug glaubhaft.

Sozialkritische Auffassungen und Äußerungen stehen Freilassung nicht entgegen

Dem stehe nicht entgegen, dass Christian Klar auch in öffentlichen Äußerungen weiterhin äußerst sozialkritische Auffassungen vertrete. Dass sich der Verurteilte bislang nicht von seinen früheren schweren Taten distanziert hat, sieht der Senat als schwere Belastung für die Opfer und ihre Angehörigen. Für die allein entscheidende Frage, ob der Verurteilte künftig weitere schwere Straftaten begehen wird, sei dies aber auch nach der Auffassung der Sachver­ständigen nicht ausschlaggebend. Der Senat schließe aus, dass die daraus erkennbare Grund­ein­stellung für ihn nochmals bestimmend für schwere, strafbare Handlungen wird.

Der heute 56-jährige Christian Klar war durch das Oberlan­des­gericht Stuttgart am 3. November 1992 zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt worden, die aus sechs lebenslangen Einzel­frei­heits­s­trafen und zeitigen Freiheits­s­trafen von fünfzehn, vierzehn und zwölf Jahren gebildet worden war. Jeweils lebenslange Freiheits­s­trafen waren ausgesprochen worden für die mittä­ter­schaftliche Beteiligung an

* der Ermordung des General­bun­des­anwalts Siegfried Buback, dessen Fahrers Wolfgang Göbel und des Begleitbeamten Georg Wurster durch den Schuss­waf­fe­n­an­schlag der „RAF“ am 7. April 1977 in Karlsruhe;

* der Beschluss­fassung, Planung und Vorbereitung der versuchten erpresserischen Geiselnahme und der Ermordung des Vorstands­s­prechers der Dresdner Bank Jürgen Ponto durch die „RAF“ am 30. Juli 1977 in Oberursel;

* der Beschluss­fassung, Planung und Vorbereitung des Entführungs- und Mordanschlags der „RAF“ auf Dr. Hanns-Martin Schleyer am 5. September 1977 in Köln, bei dem dessen Fahrer Heinz Marcisz und die Beamten Reinhold Brändle, Helmut Ulmer und Roland Pieler erschossen und Dr. Schleyer als Geisel genommen wurde, um die Bundesrepublik zur Freilassung inhaftierter „RAF“- Mitglieder zu nötigen und deren Ausstattung mit hohen Geldbeträgen zu erpressen;

* der Beschluss­fassung, Planung und Vorbereitung der Ermordung Dr. Hanns Martin Schleyers durch Mitglieder der „RAF“ am 18./19. Oktober 1977;

* dem am 19. November 1979 verübten bewaffneten Überfall auf die schweizerische Volksbank in Zürich, bei der die Täter für die „RAF“ 548.000 Schweizer Franken raubten; auf der Flucht durch die Züricher Innenstadt feuerten sie zahlreiche Schüsse ab, um sich der Verfolger zu entledigen und so einer Festnahme zu entgehen sowie um im Besitz der Beute zu bleiben; die Verfolger Louis Favre und Harry Hohl blieben unverletzt, der die Täter ebenfalls verfolgende Polizist Bernhard Pfister wurde von drei Schüssen getroffen und schwer verletzt; hierbei geriet die Passantin Edith Kletzhändler in den Schusswechsel zwischen den drei Tätern und Pfister und wurde von einem - möglicherweise von dem Polizisten stammenden - Geschoss tödlich getroffen; im weiteren Verlauf der Flucht bemächtigten sich die Täter des Pkw der Verena Schenk; in diesem Zusammenhang schoss Christian Klar aus kurzer Entfernung auf Verena Schenk und verletzte sie lebens­ge­fährlich; anschließend feuerte Peter-Jürgen Book mit Billigung seiner Mittäter, um endgültig zu entkommen, auf den Polizisten Bodenmann mindestens sieben Schüsse ab, von denen einer Bodenmann am rechten Arm traf und erheblich verletzte;

* dem versuchten Mordanschlag der „RAF“ auf den Oberkom­man­die­renden der US-Streitkräfte in Europa Frederik Kroesen, dessen Fahrer Winterberg, den Adjutanten des Generals Major Bodine und die mitfahrende Ehefrau Kroesens durch Beschuss des Fahrzeugs mit einer sowjetischen Panze­r­ab­wehrwaffe und einem Gewehr am 15. September 1981.

Mehrere zeitige Freiheits­s­trafen wurden verhängt

Darüber hinaus wurden gegen Christian Klar folgende zeitige Freiheits­s­trafen verhängt und in die lebenslange Gesamt­frei­heits­strafe einbezogen:

* eine Freiheitsstrafe von vierzehn Jahren wegen versuchten Mordes; bei einer Ausweis­kon­trolle hatte Christian Klar auf den schweizerischen Grenzbeamten Bettschart am 5. Januar 1977 in Riehen / Schweiz völlig überraschend in der Absicht, andere Straftaten zu verdecken, aus kurzer Distanz fünf Schüsse abgegeben, von denen zwei Bettschart trafen;

* eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem schweren Raub; um sich auf der Flucht, die sich an den vorgenannten Mordversuch anschloss, des Pkw des Albert Zimmermann zu bemächtigen hatte Christian Klar auf Zimmermann aus kurzer Entfernung geschossen, diesen allerdings knapp verfehlt und war anschließend, als der Pkw des Albert Zimmermann nicht ansprang, zusammen mit seinem Mittäter zu Fuß geflüchtet;

* eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren wegen Beteiligung an dem versuchten Sprengstoff- und Mordanschlag der „RAF“ auf Staatsanwälte und das Gebäude der Bundes­an­walt­schaft am 25. August 1977 in Karlsruhe.

§ 57 a StGB Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1. fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,

2. nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und

3. die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 vorliegen.

§ 57 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 6 gilt entsprechend.

(2)....

(3) Die Dauer der Bewährungszeit beträgt fünf Jahre. ....

(4) .....

§ 57 StGB Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1. zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,

2. dies unter Berück­sich­tigung des Sicher­heits­in­teresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und

3. die verurteilte Person einwilligt.

Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebens­ver­hältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OLG Stuttgart vom 24.11.2008

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