Dokument-Nr. 434
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- FamRZ 2005, 1834Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht (FamRZ), Jahrgang: 2005, Seite: 1834
- MDR 2005, 631Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2005, Seite: 631
- VersR 2005, 807Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht (VersR), Jahrgang: 2005, Seite: 807
Oberlandesgericht Oldenburg Urteil04.11.2004
Keine Haftung der Eltern, wenn 9-jähriges Kind unbeaufsichtigt mit Fahrrad am Verkehr teilnimmt
Kinder unter 10 Jahre haften bei Unfällen mit Kfz-Beteiligung grundsätzlich nicht für den fahrlässig angerichteten Schaden. Diese Haftungsbegrenzung hat der Gesetzgeber im August 2002 in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen. Mit der Beschränkung der Haftung zugunsten unfallbeteiligter Kinder geht aber keine erhöhte Aufsichtspflicht der Eltern einher. Dies hat der 1. Zivilsenat des OLG Oldenburg mit Urteil vom 04.11.2004 festgestellt.
Ein seinerzeit 9-jähriger Junge war im September 2002 mit dem Fahrrad auf dem Weg zu einem Freund. Ohne auf den Verkehr zu achten, versuchte er eine Straße zu überqueren. Der Kläger, ein Motorradfahrer, musste sein Motorrad herumreißen und auf die Seite legen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Dabei wurden Motorrad und Kleidung beschädigt und der Fahrer verletzt. Das Landgericht gab der Schadensersatzklage des Motorradfahrers gegen die Kindeseltern in Höhe von ca. 5.200 € statt. Das Landgericht befand, die Eltern hätten ihre Aufsichtspflicht verletzt.
Auf die Berufung der Eltern hat das OLG Oldenburg das Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Eine Aufsichtspflichtverletzung der Eltern sei nicht erkennbar. Die Aufsichtspflicht sei insbesondere nicht dadurch verletzt, dass die Eltern ihren Sohn allein ohne präsente Aufsicht im öffentlichen Straßenverkehr hätten Fahrrad fahren lassen. Üblicherweise würden Kinder jedenfalls zu Beginn der allgemeinen Schulpflicht mit 6 Jahren an die Teilnahme am Straßenverkehr herangeführt und gewöhnt. Es entspreche daher gesicherter Rechtsprechung, dass ein 8-jähriges Kind, das ein Fahrrad hinreichend sicher fahren könne, über Verkehrsregeln eindringlich unterrichtet worden sei und sich gewisse Zeit im Verkehr bewährt habe, auch ohne Überwachung durch die Eltern mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnehmen könne, etwa um zur Schule zu fahren. Die Gesetzesänderung, wonach Kinder bis 10 Jahre nunmehr von einer Eigenhaftung ausgenommen seien, gebe keinen Anlass von diesen Grundsätzen abzuweichen und nunmehr eine verschärfte Aufsichtspflicht der Eltern anzunehmen. Der Gesetzgeber habe durch die Neuregelung allein den typischerweise noch vorhandenen Defiziten im Verkehrsverhalten von Kindern der Altersgruppe unter 10 Jahren Rechnung tragen wollen; es sei ihm nicht darum gegangen, die Haftung der Eltern zu verschärfen und damit letztlich nur die Haftungsrisiken innerhalb der Familie umzuschichten. Es sei auch weiterhin erforderlich, dass Kinder der genannten Altersgruppe nach den dargestellten Grundsätzen an eine eigenverantwortliche Teilnahme am Straßenverkehr herangeführt würden – entsprechend ihrer Entwicklung auch in Abwesenheit der Eltern. Hierin könne dann keine Aufsichtspflichtverletzung gesehen werden.
Hinweis auf den Gesetzestext:
Erläuterungen
§ 828 BGB :
(1) Wer das siebente Lebensjahr nicht vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich.
(2) Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug (...) einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. Dies gilt nicht, wenn er die Verletzung vorsätzlich herbeiführt.“
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 04.10.2005
Quelle: Pressemitteilung des OLG Oldenburg vom 17.11.2004
der Leitsatz
1. Zur Aufsichtspflicht der Eltern bei Teilnahme ihres 9 Jahre alten Kindes als Fahrradfahrer im Straßenverkehr.
2. Die Neuregelung des § 828 Abs. 2 BGB über den Ausschluss der haftungsrechtlichen Verantwortung des noch nicht 10 Jahre alten Kindes für Schäden aus einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug führt nicht zu einer Erweiterung und Verschärfung der Aufsichtspflicht der Eltern.
3. Zum Ausschluss eines Erstattungsanspruchs aus Geschäftsführung ohne Auftrag unter Berücksichtigung der Wertung des § 7 Abs. 2 StVG n.F.
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