21.11.2024
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Oberlandesgericht Nürnberg Hinweisverfügung10.08.2017

Dashcam-Aufzeichnungen dürfen zur Beweisführung über Verkehrsunfälle vor Gericht verwendet werdenInteresse an effektivem Rechtsschutz überwiegt Persönlichkeits­recht des Unfallgegners

Das Oberlan­des­gericht Nürnberg hat entschieden, dass Aufzeichnungen von Kameras, welche in Fahrtrichtung fest auf dem Armaturenbrett installiert sind ("Dashcam"), in einem Zivilprozess verwertet werden dürfen. Das Interesse des Beweisführers an einem effektiven Rechtsschutz und seinem Anspruch auf rechtliches Gehör überwiege das Interesse des Unfallgegners an dessen Persönlichkeits­recht insbesondere dann, wenn andere zuverlässige Beweismittel nicht zur Verfügung stünden.

Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens fuhr mit seinem Pkw Toyota auf der Bundesautobahn A 5 in Höhe Karlsruhe, als der Lkw der Beklagten hinten links auf sein Fahrzeug auffuhr, wodurch dieses beschädigt wurde. In dem Lkw war eine Dashcam installiert, mit welcher das Unfallgeschehen aufgezeichnet wurde. Der Kläger behauptet, er habe verkehrsbedingt abgebremst und der Fahrer des Lkws der Beklagten sei ihm wegen zu hoher Geschwindigkeit und zu geringen Abstandes aufgefahren. Die Beklagten stellen das Unfallgeschehen hingegen so dar, dass der Kläger von der linken Spur über die mittlere auf die rechte Spur gewechselt sei und dann dort abrupt bis zum Stillstand abgebremst habe. Der Unfall sei trotz sofortiger Reaktion des Fahrers nicht vermeidbar gewesen.

Kläger hält Verwendung von Dashcam-Aufzeichnungen für unzulässig

Der Kläger verlangte vor dem Landgericht Regensburg Schadensersatz in Höhe von 14.941,77 Euro von den Beklagten. Er vertrat in dem Prozess die Auffassung, dass die Dashcam-Aufzeichnungen nicht verwertet werden dürften, da dies einen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht darstelle.

Sachver­ständiger wertet Dashcam-Aufzeichnungen aus

Das Landgericht Regensburg holte zur Rekonstruktion des Unfalls ein unfal­l­a­na­ly­tisches Sachver­stän­di­gen­gut­achten ein. Der Sachverständige kam durch Auswertung der Dashcam-Aufzeichnung zu dem Ergebnis, dass die Unfallversion der Beklagten zutreffend ist. Ohne Verwertung der Bilder aus der Dashcam könne er dagegen nicht feststellen, welche der beiden Unfall­dar­stel­lungen richtig sei.

LG weist Klage mit Verweis auf Ergebnisse der Dashcam-Auswertung ab

Das Landgericht Regensburg wies die Klage ab und begründete dies vor allem mit dem auf die Auswertung der Dashcam gestützten Sachver­stän­di­gen­gut­achten. Der Kläger legte gegen dieses Urteil Berufung ein und wandte sich nochmals gegen die Verwertung der Dashcam-Aufzeichnungen.

Das Oberlan­des­gericht Nürnberg vertrat in einem Hinweis­be­schluss die Auffassung, dass das Landgericht Regensburg seinem Urteil zu Recht die Dashcam-Aufzeichnungen zugrunde gelegt hat. Der Kläger nahm seine Berufung daraufhin zurück.

Voraussetzungen für Verwer­tungs­verbot nicht gegeben

Das Oberlan­des­gericht führte aus, dass die Frage, ob die Aufzeichnungen verwertet werden dürfen, im Rahmen einer Interessen- und Güterabwägung unter Berück­sich­tigung der Umstände des Einzelfalls zu klären ist. Ein Verwer­tungs­verbot ergebe sich im vorliegenden Fall weder aus dem Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung noch aus dem Kunst­ur­he­berrecht oder daten­schutz­recht­lichen Normen.

Gericht verneint Verletzung von Intim- oder Privatsphäre

Durch die Aufzeichnung werde nicht in die Intim- oder Privatsphäre des Klägers eingegriffen. Sein Interesse bestehe lediglich darin, dass sein im öffentlichen Verkehrsraum stattfindendes Verhalten nicht für einen kurzen Zeitraum dokumentiert werde. Dem stehe das Interesse des Beklagten daran gegenüber, nicht auf der Grundlage unwahrer Behauptungen zu Unrecht verurteilt zu werden. Dies habe Vorrang gegenüber dem sehr geringfügigen Eingriff in die Interessen des Unfallgegners daran, dass sein Fahrverhalten nicht dokumentiert werde.

Im Fahrzeug sitzenden Personen praktisch nicht sichtbar

Die Tatsache, dass außer der Aufzeichnung des konkreten Unfall­ge­schehens auch Aufnahmen von Fahrzeugen Dritter erfolgt seien, führe ebenfalls nicht zu einem Verwer­tungs­verbot. Es gehe im Zivilprozess ausschließlich um die Verwertung der relevanten Sequenzen zum Unfallhergang und nicht um die Beurteilung von Sequenzen, die damit nicht in Zusammenhang stehen. Die Berück­sich­tigung von Drittinteressen würde zudem bei der konkreten Fallgestaltung auch deshalb nicht zu einem Verwer­tungs­verbot führen, weil diese ebenfalls nur minimal betroffen seien. Es gehe hier um Aufzeichnungen mit einer fest auf dem Armaturenbrett installierten und nach vorne gerichteten Dashcam. Die Aufnahmen richteten sich nicht gezielt gegen einzelne Personen, wie es etwa bei der Video­über­wachung oder dem Mitschnitt von Telefonaten der Fall sei. Vielmehr würden lediglich kurzzeitig und relativ klein die Bewegungen der Fahrzeuge abgebildet. Die im Fahrzeug sitzenden Personen seien praktisch nicht sichtbar.

Verwer­tungs­verbot nicht aus Kunst­ur­he­berrecht ableitbar

Auch aus dem Daten­schutzrecht ergibt sich nach Ansicht des Oberlan­des­gericht nichts anderes. Nach den dortigen Rechts­grundlagen komme es letztlich auf die gleiche Güterabwägung an, die hier zugunsten der Beklagten ausfalle. Schließlich ergebe sich ein Verwer­tungs­verbot auch nicht aus dem Kunst­ur­he­berrecht. Es liege bereits kein "Bildnis" vor, da die Aufzeichnungen die Person des Klägers allenfalls schemenhaft abbilden würden.

Die Aufzeichnungen waren daher nach Ansicht des Oberlan­des­ge­richts im konkreten Fall verwertbar.

Quelle: Oberlandesgericht Nürnberg/ra-online

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