18.10.2024
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Oberlandesgericht Köln Urteil27.08.2024

Gurtpflicht ist eine drittschützende Norm und nicht­an­ge­schnallte Fahrzeug­in­sassen haften bei einem Unfall mitGesetzliche Anschna­ll­pflicht soll auch andere Fahrzeug­in­sassen schützen

Das Oberlan­des­gericht Köln hat entschieden, dass Fahrzeug­in­sassen, die entgegen der Gurtpflicht gemäß § 21 a Abs. 1 der Straßen­verkehrs­ordnung nicht angeschnallt sind und dadurch andere Mitfahrer verletzen, selbst haftbar gemacht werden können. Bei der gesetzlichen Gurtpflicht handele sich um eine Norm, die auch die anderen Fahrzeug­in­sassen schützen solle. Das durch den Verstoß gegen die Gurtpflicht begründete Mitverschulden tritt hier im Fall aber hinter dem ganz überwiegenden Verschulden des Unfall­ve­r­ur­sachers zurück.

Im konkreten Fall blieb die Klage der Haftpflicht­ver­si­cherung des Unfall­ve­r­ur­sachers wegen der behaupteten Verletzungen der Beifahrerin des anderen Fahrzeugs jedoch erfolglos. Der Unfall­ve­r­ur­sacher haftete für die Verletzungen der Beifahrerin des anderen Fahrzeugs. Er nahm die Beklagte, die nicht angeschnallt hinter der Beifahrerin saß, in Anspruch und behauptete, die Knie der Beklagten seien in die Rücklehne der Beifahrerin eingedrungen, was zu weiteren Schäden geführt habe. Der Senat hat eine Mithaftung der Beklagten abgelehnt, weil der Gurtpflicht­verstoß gegenüber dem erheblichen Verschulden des stark alkoholisierten und die zulässige Höchst-geschwindigkeit erheblich überschrei­tenden Versi­che­rungs­nehmers der Klägerin vollständig zurücktrete.

Sachverhalt

Im September 2018 gegen 22.15 Uhr befuhr der Versi­che­rungs­nehmer der Klägerin mit seinem Pkw Audi A5 Coupé die Landstraße 121 in Höhe der Überquerung der Bundesautobahn 560 in Sankt Augustin-Buisdorf. Er war stark alkoholisiert (Bluta­l­ko­hol­kon­zen­tration: 1,76 Promille) und fuhr mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit (150 bis 160 km/h statt zulässiger 70 km/h). Ihm kam der mit drei Insassinnen besetzte Pkw Skoda Citigo entgegen, auf dessen Beifahrersitz die damals 36 Jahre alte Geschädigte saß und hinter der sich auf der Rückbank die nicht angeschnallte 38-jährige Beklagte befand. Der Pkw Audi kam von der Fahrbahn ab und stieß mit dem Pkw Skoda Citigo zusammen, wobei der Versi­che­rungs­nehmerin der Klägerin verstarb und die Insassen des anderen Fahrzeugs schwere Verletzungen erlitten.

Versicherung verlangt Geld von nicht angeschnallter Person

Die Klägerin nimmt die Beklagte als behauptete Mitver­ur­sa­cherin der Verletzungen der Geschädigten auf Erstattung von 70 % der von ihr bisher an diese in sechsstelliger Höhe erbrachten Leistungen sowie für künftige Zahlungen in Anspruch. Sie verweist auf Sachver­stän­di­gen­gut­achten, wonach die Nichteinhaltung der Gurtpflicht durch die Beklagte dazu geführt habe, dass deren Knie im Zeitpunkt des Aufpralls in die Rückenlehne des Beifahrersitzes eingedrungen seien und erhebliche Verletzungen der Geschädigten im Bereich der Lenden­wir­belsäule und des Brustkorbs verursacht hätten.

Anschna­ll­pflicht ist drittschützende Norm

Das OLG hat die Berufung der klagenden Versicherung gegen das klageabweisende Urteil des LG Bonn zurückgewiesen und dadurch die Ablehnung einer Mithaftung der Beklagten für die unfallbedingten Verletzungen der Geschädigten bestätigt. Die von § 21 a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 StVO geregelte Gurtpflicht stelle zwar eine drittschützende Norm im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, weil die Fahrzeug­in­sassen gerade auch vor den Folgen der Verletzung durch nicht angeschnallte andere Mitfahrer bewahrt werden sollten. Der BGH gehe von einem Mitverschulden des Geschädigten bei Verletzung der eigenen Gurtpflicht aus. Es gelte – so der Senat – aber auch für Verletzungen anderer Fahrzeug­in­sassen.

Die gesetzliche Begründung für die Einführung der Gurtpflicht auf den Vordersitzen aus dem Jahre 1975 stelle darauf ab, dass gerade auch aus Zusammenstößen von Fahrzeug­in­sassen erhebliche Gefahren herrührten. Die Gurtpflicht sei im darauffolgenden Jahrzehnt auf sämtliche Fahrzeug­in­sassen ausgedehnt und bußgeldbewehrt worden. Das vom Senat zugrunde gelegte, weite Verständnis des Schutzzwecks der Gurtpflicht diene der Verkehrs­si­cherheit und dem Schutz der individuellen Rechte aller Verkehrs­teil­nehmer; es stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts sowie anderer Obergerichte zur Bußgeld­be­wehrung der Gurtpflicht. Ebenso füge es sich in das haftungs­rechtliche Gesamtsystem ein.

Strafwürdiges Verhalten des betrunkenen Autofahrers überwiegt

Der Senat hat jedoch offengelassen, ob bei dem vorliegenden Unfall die Knie der Beklagten in die Rückenlehne des Beifahrersitzes eingedrungen waren und dies zu den Wirbel­säu­len­ver­let­zungen der Geschädigten geführt hatte. Angesichts des strafwürdigen, grob verkehrs­wi­drigen und rücksichtslosen Verhalten des Versi­che­rungs­nehmers der Klägerin trete eine mögliche Mithaftung der nicht angeschnallten Beklagten zurück. Hierzu hat der Senat auf die von der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zur Höhe der Mithaftung des Verletzten bei Nichteinhaltung der Gurtpflicht im Falle eigener Verletzungen zurückgegriffen und ist von einem vergleichbaren Ausnahmefall ausgegangen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Senat hat die Revision nicht zugelassen.

Quelle: Oberlandesgericht Köln, ra-online (pm/ab)

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