15.11.2024
15.11.2024  
Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.
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Oberlandesgericht Koblenz Beschluss30.01.2012

Eigendiagnose eines sachkundigen Patienten ist kein Freibrief für den ArztSelbstbewusster Patient darf nicht nachlässiger behandelt werden

Auch wenn ein selbstbewusst und sachkundig auftretender Patient eine laienhafte Eigendiagnose stellt, muss ein Arzt diese kritisch betrachten und den Patienten sorgfältig und medizinisch umfassend befragen. Wird aufgrund einer unzureichenden Anamnese die sonst zweifelsfrei erforderliche Hinzuziehung eines anderen Facharztes unterlassen, haftet der erstbehandelnde Arzt den Hinterbliebenen auf Schadensersatz. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Koblenz gab damit - wie zuvor das Landgericht Mainz - der Klage der Ehefrau und der beiden Kinder des Patienten auf Schadensersatz dem Grunde nach statt.

Im zugrunde liegenden Fall wurde an einem Nachmittag im Mai 2007 in Mainz der 36-jährige Vater und Ehemann der Kläger, selbst Rettungs­sa­nitäter von Beruf, von zwei Kollegen gegen 16 Uhr mit dem Krankenwagen zum beklagten Arzt, einem Orthopäden, gebracht. Dort berichtete der Patient von außergewöhnlich starken Schmerzen in der linken Körperseite und äußerte den Verdacht, Ursache der Schmerzen sei eine Einklemmung eines Nervs im Bereich der Halswirbelsäule. Der sehr selbstbewusst und sachkundig auftretende Patient erwähnte zudem, das Ganze sei bereits internistisch abgeklärt worden. Damit meinte er allerdings eine im Vorjahr erfolgte internistische Befunderhebung, während der Beklagte davon ausging, die internistische Untersuchung sei am selben Tage erfolgt.

Patient stirbt durch akuten vollständigen Verschluss der rechten Herzkranz­arterie

Der Beklagte diagnostizierte eine Querwir­bel­blockade und eine Muskel­ver­spannung und entließ den Patienten gegen 16.40 Uhr nach Hause. Gegen 18 Uhr fand ihn seine Ehefrau im Bad bewusstlos auf dem Boden liegend. Der herbeigerufene Notarzt stellte nach vergeblichen Wieder­be­le­bungs­ver­suchen gegen 19 Uhr den Tod fest. Todesursächlich war ein akuter vollständiger Verschluss der rechten Herzkranz­arterie.

LG Mainz: Arzt haftet wegen eines groben Behand­lungs­fehlers

Das Landgericht Mainz stellte eine Haftung des beklagten Orthopäden für sämtliche materiellen und immateriellen Schäden der Hinterbliebenen fest. Die unterbliebene internistische Abklärung trotz vorhandener Leitsymptome eines Herzinfarktes sei ein grober Behandlungsfehler. Mit seiner Berufung erstrebte der verurteilte Arzt die Abweisung der Klage. Aufgrund der irreführenden Angaben des Patienten sei er lediglich verpflichtet gewesen, eine Untersuchung auf seinem orthopädischen Fachgebiet vorzunehmen.

Arzt muss laienhafte "Diagnosen" mit kritischer Distanz aufnehmen

Das Oberlan­des­gericht Koblenz bestätigte die Entscheidung des Landgerichts. Ein Arzt sei unabhängig von seinem Fachgebiet gegenüber dem Patienten verpflichtet, alles zur Erforschung und Behebung einer Erkrankung Erforderliche zu unternehmen. Jeder Arzt müsse laienhafte "Diagnosen" mit kritischer Distanz aufnehmen, um dann eigen­ver­ant­wortlich sämtliche objektive Befunde zu erheben. Demnach sei der Beklagte verpflichtet gewesen, das erstmalige Auftreten und die Entwicklung der geschilderten Schmerzen genauer zu erfragen. Wäre er dieser Verpflichtung nachgekommen, hätte sich zweifelsfrei ergeben, dass die Schmerzen erst vor einer Stunde aufgetreten waren und eine vorherige internistische Abklärung am selben Tage nicht erfolgt sein konnte. Es wäre klar gewesen, dass die Symptome ergänzend durch einen Internisten hätten abgeklärt werden müssen. Diese Untersuchung hätte einen infarkt­be­dingten Untergang der Herzbeu­tel­mus­kulatur zu Tage gefördert und die daran anknüpfende unverzügliche kardiologische und internistische Krisen­in­ter­vention hätte das Leben des Patienten mit hoher Wahrschein­lichkeit gerettet.

Höhe des Unter­halts­schadens muss vor dem Landgericht neu verhandelt werden

Wegen der Besonderheiten des Falles sah das Oberlan­des­gericht hierin zwar keinen groben Behand­lungs­fehler, dem Beklagten sei doch ein ebenfalls zur Beweis­la­st­umkehr führender Befun­d­er­he­bungs­mangel anzulasten. In der Folge seien das Zahlungs­ver­langen der Klägerinnen sowie der Anspruch auf Ersatz des künftigen Unter­halts­schadens dem Grunde nach gerechtfertigt. Über die Höhe ist im weiteren Verlauf des Verfahrens vor dem Landgericht Mainz zu befinden.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, da der Beklagte Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde beim Bundes­ge­richtshof eingelegt hat.

Arzt im parallel geführten Strafverfahren zu Geldstrafe von 90 Tagessätzen wegen fahrlässiger Tötung verurteilt

Im parallel geführten Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung ist gegen den Beklagten wegen versäumter Abklärung des internistischen Befundes durch rechtskräftigen Strafbefehl auf eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen erkannt worden.

Quelle: Oberlandesgericht Koblenz/ra-online

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