Der 45 Jahre alte, verheiratete Angeklagte ist indischer Staatsangehöriger und gelernter Elektriker. Er gehört der Glaubensrichtung der Sikh an. Nach eigenen Angaben war er in Indien Mitglied der "All India Sikh Student Organisation" (AISSF), die wie auch andere Sikh-Organisationen für einen selbstständigen Staat auf dem Gebiet des Punjab eintritt. Im Jahr 2002 war er mit gefälschtem Reisepass nach Deutschland eingereist. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, die Abschiebung ausgesetzt. Er lebte zuletzt in Ludwigshafen. Er ist bereits in mehreren Fällen wegen Verschaffens von falschen Ausweisen und Einschleusens von Ausländern verurteilt worden, zuletzt - noch nicht rechtskräftig - vom Landgericht Frankenthal / Pfalz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 2 Monaten.
Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts verfügte der Angeklagte durch seine Schleusertätigkeit über gute Kontakte zu in Deutschland lebenden Indern, insbesondere zu solchen, die der Glaubensrichtung der Sikhs angehören. Infolge seiner Tätigkeit in der AISSF hatte er auch Zugang zum extremistischen Spektrum der Sikhs, so etwa zur "Babbar Khalsa International" (BKI), die von der Europäischen Union als terroristische Organisation eingestuft wird.
Wegen dieser Verbindungen wurde der Angeklagte nach Überzeugung des Oberlandesgerichts Ende 2012 von einem Mitarbeiter des indischen Generalkonsulats in Frankfurt am Main angesprochen, der für einen indischen Geheimdienst, höchstwahrscheinlich den Inlandsnachrichtendienst "Intelligence Bureau" (IB), tätig ist. Hiervon wusste der Angeklagte. Er erhoffte sich durch eine Zusammenarbeit mit dem indischen Staat Vorteile für sich und seine Familie. Er lieferte in der Folge Informationen über sich in Deutschland aufhaltende Inder - vorrangig aus dem Umfeld der extremistischen Sikh - sowie deren Familienangehörige zu Aufenthalt und Einbindung in Organisationsstrukturen.
Mit seiner konspirativen und aktiven Mitarbeit für den indischen Geheimdienst hat der Angeklagte den Tatbestand der geheimdienstlichen Agententätigkeit verwirklicht. Für die Höhe der Strafe, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, sind aus Sicht des Oberlandesgerichts zum einen die Vorstrafen, zum anderen aber auch der Umstand von Bedeutung, dass die beschafften Informationen nicht von besonderem Gewicht waren und für die ausgeforschten Personen bislang kein feststellbarer Schaden entstanden ist. Das Oberlandesgericht ist unter dem Antrag der Bundesanwaltschaft geblieben, die eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten gefordert hatte.
Dem Antrag des Verteidigers auf Freispruch ist das Oberlandesgericht nicht gefolgt. Es sei für die Verwirklichung des Straftatbestandes letztlich nicht entscheidend, dass sich die Ausforschungsbemühungen des Angeklagten nicht auf deutsche Staatsangehörige, sondern auf sich in Deutschland aufhaltende indische Anhänger terroristischer Sikh-Organisationen bezogen haben. Die Strafvorschrift solle vor der nicht auszuschließenden Gefahr schützen, dass durch Ausforschung gewonnene Erkenntnisse von fremden Geheimdiensten genutzt werden, um auf das Verhalten der ausgeforschten Personen Einfluss zu nehmen, insbesondere um sie oder ihre Angehörigen zu geheimdienstlicher Mitarbeit zu bewegen. Die Bundesrepublik habe aber auch ein Interesse daran, dass Maßnahmen gegen womöglich gesuchte Personen nur unter Einhaltung der bestehenden Rechtshilferegeln erfolgen. Schließlich seien von den Ausforschungsbemühungen des Angeklagten nicht nur Extremisten, sondern auch deren Angehörige betroffen. Es sei von einer gravierenden Missachtung deutscher Souveränität auszugehen, so dass der Tatbestand der geheimdienstlichen Agententätigkeit verwirklicht werde.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 28.07.2014
Quelle: Oberlandesgericht Koblenz/ra-online