Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die vier Kläger, zwei Kleinkinder sowie ihre Eltern, begehren von der Beklagten, einer an der Mainzer Uniklinik angestellten Rechtsmedizinerin, Schmerzensgeld wegen fehlerhafter Gutachtenerstattung.
Die Beklagte hatte im Jahre 2013 auf Veranlassung eines Jugendamts aus der Pfalz ein Gutachten zu der Frage erstellt, ob sich anhand der Krankenunterlagen der Kleinkinder Anhaltspunkte für misshandlungsbedingte Verletzungen ergäben. In ihrem Gutachten vom 23. Mai 2013 kam sie zu dem Ergebnis, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass ein oder mehrere Schütteltraumata die Ursache für die bei einem der beiden Kinder festgestellte Symptomatik seien; bezüglich des Geschwisterkindes verneinte sie den Verdacht auf eine Misshandlung.
Unter Berufung auf das Gutachten hatte das Jugendamt beim Familiengericht mit Erfolg den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, wonach ihm das Aufenthaltsrecht für beide Kinder vorläufig übertragen werden sollte. Mehr als ein halbes Jahr waren die beiden damals 7 und 18 Monate alten Kinder in der Folgezeit bei Pflegefamilien untergebracht. Spätere Gutachten sind jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass die festgestellten Auffälligkeiten Folge einer Erbkrankheit waren. Die Kinder leiden demnach unter einem benignen Hydrozephalus (sogenannter Wasserkopf); dies hat zur Folge, dass schon bei geringsten Erschütterungen Blutgerinnsel entstehen können.
Die Kläger hatten erstinstanzlich vor dem Landgericht Mainz Schmerzensgeldansprüche sowohl gegenüber der Uniklinik als auch der Beklagten als Verfasserin des fehlerhaften Gutachtens geltend gemacht.
Das Landgericht Mainz hatte das Begehren der Kläger auf Verurteilung der Rechtsmedizinerin zur Zahlung von Schmerzensgeld dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und zur Begründung ausgeführt, dass die unmittelbar vom Jugendamt beauftragte Medizinerin für das grob fehlerhafte und den wissenschaftlichen Standards nicht entsprechende Gutachten auch persönlich hafte. Die gegen die Uniklinik gerichtete Klage hatte das Landgericht hingegen mit der Begründung abgewiesen, mangels eigener Beauftragung habe diese für die Fehler der Rechtsmedizinerin nicht einzustehen.
Das Oberlandesgericht Koblenz änderte diese Entscheidung des Landgerichts im Berufungsverfahren ab. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts hat die beklagte Sachverständige auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstellt. Sie habe greifbare Alternativursachen für die bei den Kindern festgestellten Auffälligkeiten wie den erblich bedingten sogenannten "Wasserkopf" und einen vorangegangenen Verkehrsunfall ohne tragfähige Begründung kategorisch und ohne Vorbehalt ausgeschlossen und sich dabei auch fachfremde Kompetenz, wie eine Unfallanalyse, angemaßt. Dies stelle eine grob fahrlässige Außerachtlassung gutachterlicher Sorgfaltspflichten dar. Aufgrund der Fehlerhaftigkeit des Gutachtens sei den Eltern vom zuständigen Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder vorläufig entzogen und die Kinder vorübergehend bei Pflegeeltern untergebracht worden.
Für das grob fahrlässig erstellte unrichtige Gutachten hafte aber nicht die Sachverständige persönlich, sondern der Landkreis als Träger des die Sachverständige beauftragenden Jugendamtes. Denn das Jugendamt mit seiner Wächterfunktion über das Kindeswohl habe die Sachverständige im Rahmen seines gesetzlichen Auftrages als externe Fachkraft hinzugezogen und seinen beim Familiengericht gestellten Schutzantrag auf deren Gutachten gestützt. Daher habe die Sachverständige bei ihrer Gutachtenerstellung in Ausübung eines öffentlichen Amtes gehandelt, sodass sie für ihr grob fahrlässig erstelltes unrichtiges Gutachten nicht persönlich einzustehen habe, sondern die Körperschaft, die sie beauftragt hat.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 21.03.2016
Quelle: Oberlandesgericht Koblenz/ra-online