21.11.2024
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Oberlandesgericht Koblenz Urteil18.03.2016

Vom Jugendamt beauftragter Sachver­ständiger haftet nicht persönlich für grob fehlerhaftes GutachtenSchadens­ersatz­ansprüche sind gegenüber dem Landkreis als Träger des zuständigen Jugendamtes zu stellen

Eine Sachverständige, die in einem vom Jugendamt in Auftrag gegebenen Gutachten den hochgradigen Verdacht einer Kindes­miss­handlung (Schütteltrauma) äußert und hierfür als Beleg Flüssigkeits­ansammlungen und frische Blutungen im Gehirn anführt, handelt grob fahrlässig, wenn sie vorgebrachte alternative Ursachen für den auffälligen Befund ohne jede tragfähige Begründung kategorisch und vorbehaltslos ausschließt. Sind die festgestellten Auffälligkeiten tatsächlich nicht auf eine Kindes­miss­handlung, sondern auf eine der Sachver­ständigen bekannte Erbkrankheit der Kinder (sogenannter "Wasserkopf") zurückzuführen, haftet die Gutachterin für Schmerzens­geld­ansprüche der Eltern und ihrer Kinder allerdings nicht persönlich. Vielmehr sind diese Ansprüche gegenüber dem Landkreis als Träger des zuständigen Jugendamtes, welches die Sachverständige als externe Fachkraft mit der Begutachtung beauftragt hatte, geltend zu machen. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Koblenz.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die vier Kläger, zwei Kleinkinder sowie ihre Eltern, begehren von der Beklagten, einer an der Mainzer Uniklinik angestellten Rechts­me­di­zinerin, Schmerzensgeld wegen fehlerhafter Gutach­te­n­er­stattung.

Gutachterin hält Misshandlung für möglich

Die Beklagte hatte im Jahre 2013 auf Veranlassung eines Jugendamts aus der Pfalz ein Gutachten zu der Frage erstellt, ob sich anhand der Kranken­un­terlagen der Kleinkinder Anhaltspunkte für misshand­lungs­be­dingte Verletzungen ergäben. In ihrem Gutachten vom 23. Mai 2013 kam sie zu dem Ergebnis, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass ein oder mehrere Schüt­tel­traumata die Ursache für die bei einem der beiden Kinder festgestellte Symptomatik seien; bezüglich des Geschwis­ter­kindes verneinte sie den Verdacht auf eine Misshandlung.

Kinder werden bei Pflegefamilien untergebracht

Unter Berufung auf das Gutachten hatte das Jugendamt beim Familiengericht mit Erfolg den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, wonach ihm das Aufent­haltsrecht für beide Kinder vorläufig übertragen werden sollte. Mehr als ein halbes Jahr waren die beiden damals 7 und 18 Monate alten Kinder in der Folgezeit bei Pflegefamilien untergebracht. Spätere Gutachten sind jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass die festgestellten Auffälligkeiten Folge einer Erbkrankheit waren. Die Kinder leiden demnach unter einem benignen Hydrozephalus (sogenannter Wasserkopf); dies hat zur Folge, dass schon bei geringsten Erschütterungen Blutgerinnsel entstehen können.

Eltern machen Schmer­zens­geldansprüche geltend

Die Kläger hatten erstinstanzlich vor dem Landgericht Mainz Schmer­zens­geldansprüche sowohl gegenüber der Uniklinik als auch der Beklagten als Verfasserin des fehlerhaften Gutachtens geltend gemacht.

LG bejaht persönliche Haftung der Gutachterin

Das Landgericht Mainz hatte das Begehren der Kläger auf Verurteilung der Rechts­me­di­zinerin zur Zahlung von Schmerzensgeld dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und zur Begründung ausgeführt, dass die unmittelbar vom Jugendamt beauftragte Medizinerin für das grob fehlerhafte und den wissen­schaft­lichen Standards nicht entsprechende Gutachten auch persönlich hafte. Die gegen die Uniklinik gerichtete Klage hatte das Landgericht hingegen mit der Begründung abgewiesen, mangels eigener Beauftragung habe diese für die Fehler der Rechts­me­di­zinerin nicht einzustehen.

OLG rügt grob fahrlässige Außer­acht­lassung gutachterlicher Sorgfalts­pflichten

Das Oberlan­des­gericht Koblenz änderte diese Entscheidung des Landgerichts im Berufungs­ver­fahren ab. Nach Auffassung des Oberlan­des­ge­richts hat die beklagte Sachverständige auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstellt. Sie habe greifbare Alter­na­ti­v­ur­sachen für die bei den Kindern festgestellten Auffälligkeiten wie den erblich bedingten sogenannten "Wasserkopf" und einen vorangegangenen Verkehrsunfall ohne tragfähige Begründung kategorisch und ohne Vorbehalt ausgeschlossen und sich dabei auch fachfremde Kompetenz, wie eine Unfallanalyse, angemaßt. Dies stelle eine grob fahrlässige Außer­acht­lassung gutachterlicher Sorgfalts­pflichten dar. Aufgrund der Fehler­haf­tigkeit des Gutachtens sei den Eltern vom zuständigen Familiengericht das Aufent­halts­be­stim­mungsrecht für die Kinder vorläufig entzogen und die Kinder vorübergehend bei Pflegeeltern untergebracht worden.

Gutachterin muss für grob fahrlässig erstelltes unrichtiges Gutachten nicht persönlich einstehen

Für das grob fahrlässig erstellte unrichtige Gutachten hafte aber nicht die Sachverständige persönlich, sondern der Landkreis als Träger des die Sachverständige beauftragenden Jugendamtes. Denn das Jugendamt mit seiner Wächterfunktion über das Kindeswohl habe die Sachverständige im Rahmen seines gesetzlichen Auftrages als externe Fachkraft hinzugezogen und seinen beim Familiengericht gestellten Schutzantrag auf deren Gutachten gestützt. Daher habe die Sachverständige bei ihrer Gutach­te­n­er­stellung in Ausübung eines öffentlichen Amtes gehandelt, sodass sie für ihr grob fahrlässig erstelltes unrichtiges Gutachten nicht persönlich einzustehen habe, sondern die Körperschaft, die sie beauftragt hat.

Quelle: Oberlandesgericht Koblenz/ra-online

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