23.11.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.
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Oberlandesgericht Koblenz Urteil08.03.2010

Posttrau­ma­tische Belas­tungs­störung bei Polizeibeamten im Einsatz: Angreifer müssen Schmerzensgeld und Schadensersatz zahlenTätlicher Angriff mit Schuss­waf­fen­ge­brauch kann nicht nur als Verwirklichung des „Berufs­wahl­risikos” gewertet werden

Polizeibeamte, die bei einem Einsatz bedroht werden und einer der Polizisten in Notwehr einen Gegner anschießt, habe Anspruch auf Schadensersatz uns Schmerzensgeld von den Angreifern, wenn das Tatgeschehen bei den Polizeibeamten eine posttrau­ma­tische Belas­tungs­störung zur Folge hat. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Koblenz.

Die Kläger des zugrunde liegenden Falls sind Polizeibeamte. Sie wurden in der Nacht zum 28. August 1999 zu einer Gaststätte in Nastätten gerufen, weil es zu einem Streit dreier alkoholisierter Männer - der Beklagten - mit dem Wirtsehepaar und zu körperlichen Übergriffen der Beklagten auf Besucher des Lokals gekommen war. Die Kläger trafen auf der Straße vor dem Lokal zahlreiche, teilweise stark alkoholisierte und aggressive Personen an, darunter auch die drei Beklagten. Nachdem sich die Situation zunächst etwas beruhigt hatte, bewegten sich die Beklagten gemeinsam auf einen der beiden Polizeibeamten (A) zu. Dieser forderte die Beklagten vergeblich auf, stehen zu bleiben. Daraufhin gab er Warnschüsse in die Luft ab. Als die weiter bedrohlich heranrückenden Beklagten dicht vor dem bis zu einer Hauswand zurück­ge­wi­chenen Polizeibeamten A standen, schoss er allen Beklagten gezielt in die Beine. Der zweite Polizeibeamte (B) stand währenddessen mit gezogener Dienstwaffe wenige Meter entfernt. Die Beklagten wurden wegen des Geschehens, das sie im Strafverfahren eingeräumt hatten, zu Freiheits­s­trafen auf Bewährung verurteilt.

Behandlung der Polizeibeamten wegen Dienst­un­fä­higkeit aufgrund des Tatgeschehens

Beide Polizeibeamte versahen bis Anfang des Jahres 2000 ihren Dienst weiter. Anschließend waren sie dienstunfähig und wurden stationär und ambulant behandelt. Der Polizeibeamte B ist seit dem 1. Januar 2001 wieder uneingeschränkt dienstfähig; der Polizeibeamte A wurde dagegen im Juli 2001 wegen Dienstunfähigkeit in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.

Polizeibeamte und Land Rheinland-Pfalz als Dienstherr verlangen Schadensersatz und Schmerzensgeld

Auf Grund des vorgenannten Geschehens waren drei zivilrechtliche Verfahren vor dem Landgericht Koblenz anhängig. Die Polizeibeamten A und B haben von den Beklagten jeweils die Zahlung von Schmerzensgeld verlangt und die Feststellung begehrt, dass die Beklagten ihnen auch für alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden aus dem Geschehen vom 28. August 1999 haften. Des Weiteren hat das Land Rheinland-Pfalz als Dienstherr der beiden Polizeibeamten von den Beklagten Schadensersatz in Höhe von knapp 120.000,- EUR für die Weiterzahlung der Dienstbezüge und die Übernahme von Behand­lungs­kosten verlangt.

Polizeibeamte verweisen auf chronische posttrau­ma­tische Belas­tungs­re­aktion aufgrund des Schuss­waf­fen­ge­brauchs

Die Kläger (A, B und das Land Rheinland-Pfalz) haben vorgetragen, die drei Beklagten hätten die Beamten körperlich und verbal mit größter Aggressivität angegriffen, so dass Gefahr für Leib und Leben bestanden habe. Als Folge des gerecht­fer­tigten und von den Beklagten zu verantwortenden Schuss­waf­fen­ge­brauchs sei bei beiden Polizeibeamten eine chronische posttrau­ma­tische Belas­tungs­re­aktion, ein so genanntes Post-Shooting-Syndrom, entstanden. Die Beklagten haben beantragt, die Klagen abzuweisen. Der Schuss­waf­fen­einsatz des Polizeibeamten A sei weder erforderlich noch gerechtfertigt gewesen; er stelle sich als Überreaktion dar. Für psychische Schäden seien die Beklagten nicht verantwortlich, da sie aus einer alltäglichen Situation im Berufsleben eines Polizeibeamten herrührten.

Landgericht erklärt Vorfall für Teil des Berufsrisikos

Das Landgericht Koblenz hat die Klagen abgewiesen und hat hierzu im Wesentlichen ausgeführt, bei den Polizeibeamten habe sich das mit der Wahl ihres Berufes eingegangene Berufsrisiko verwirklicht, das haftungs­rechtlich nicht auf die Beklagten verlagert werden könne. Die Beklagten hätten auch nicht damit rechnen müssen, dass bei den Beamten auf Grund des Geschehens psychische Schäden auftreten könnten.

Oberlan­des­gericht ändert Urteile des Landgerichts ab und gesteht Schmerzensgeld und Schadensersatz zu

Alle drei Kläger haben gegen das Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt. Das Oberlan­des­gericht Koblenz hat zum Tatgeschehen, das die Beklagten bestritten hatten, zahlreiche Zeugen vernommen und zu den ebenfalls bestrittenen gesund­heit­lichen Folgen ein medizinisches Sachver­stän­di­gen­gut­achten eingeholt. Durch seine Urteile hat das Oberlan­des­gericht die klage­ab­wei­senden Urteile des Landgerichts abgeändert und die Beklagten im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt. Die Beklagten müssen an den Polizeibeamten A ein Schmerzensgeld in Höhe von 18.000,- EUR, an den Polizeibeamten B ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.225,84 EUR (entspricht seiner Forderung in Höhe von 20.000,- DM) und an das Land Rheinland-Pfalz den geltend gemachten Schadensersatz, jeweils nebst Zinsen, zahlen. Weiter hat das Gericht die Ersatzpflicht aller drei Beklagten für mögliche weitere künftige Schäden festgestellt.

Schuss­waf­fen­einsatz sowohl nach Ermäch­ti­gungs­normen des Polizeirechts als auch als Handeln in Notwehr gerechtfertigt

In den drei Urteilen führte das Gericht aus, die Beklagten hätten durch ihren gemeinsamen Angriff auf die beiden Polizeibeamten den berechtigten Schuss­waf­fen­einsatz ausgelöst, der wiederum zu den gesund­heit­lichen Folgen bei den Polizeibeamten geführt habe. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass die drei Beklagten die beiden Polizeibeamten bedroht und genötigt hätten und versucht hätten, diese zu verletzen. Es habe eine bedrohliche und in höchstem Maße gefährliche Situation bestanden, in der die Beklagten auf den Polizeibeamten A in äußerst aggressiver Weise zugegangen seien. Sämtliche Anhalte- und Stoppbefehle der beiden Polizeibeamten hätten sie ignoriert, bei der gezielten Schussabgabe habe ein körperlicher Angriff unmittelbar bevorgestanden. Der Schuss­waf­fen­einsatz sei deshalb sowohl nach den Ermäch­ti­gungs­normen des Polizeirechts als auch als Handeln in Notwehr gerechtfertigt gewesen.

Schädiger nicht nur bei körperlichen, sondern auch bei psychischen Schädigungen ersatzpflichtig

Beide Polizeibeamten hätten als Folge dieses Geschehens eine chronische posttrau­ma­tische Belas­tungs­störung erlitten. Dies ergebe sich aus dem eingeholten psychiatrischen Gutachten. Diese gesundheitliche Folge sei den drei Beklagten zuzurechnen. Es handele sich nicht um völlig fernliegende, atypische Folgen der massiven Angriffe der Beklagten; vielmehr hätten diese zu einer enormen Stresssituation mit nachfolgender Belas­tungs­störung geführt. Dabei habe sich bei den Beamten keineswegs lediglich ein „Berufs­wahl­risiko” verwirklicht, für das die Beklagten nicht verantwortlich seien. Ein Schädiger sei nicht nur bei körperlichen, sondern auch bei psychischen Schädigungen ersatzpflichtig. Es handele sich auch nicht lediglich um ein allgemeines Lebensrisiko, wie beispielsweise im Falle eines Stolperns über einen Bordstein, bei dem sich ein Verhalten des Schädigers nicht gefahrerhöhend auswirke. Der Angriff der Beklagten sei Auslöser für die gesamte Entwicklung gewesen, so dass sich ein von den Beklagten vorsätzlich und rechtswidrig geschaffenes, erhöhtes Risiko verwirklicht habe. Es sei für die Angreifer auch vorhersehbar gewesen, dass ihr aggressives Vorgehen von den Polizeibeamten nicht folgenlos verarbeitet werden würde.

Schwere und Dauer psychischer Schädigungen für Bemessung des Schmerzensgelds entscheidend

Bei der Bemessung des Schmer­zens­geldes hat das Gericht insbesondere die Schwere und Dauer der psychischen Schädigungen der Kläger sowie das massive Vorgehen der Beklagten gegen die Polizeibeamten berücksichtigt, aber auch den Umstand, dass die Beklagten die Geschehnisse in der Tatnacht bestritten haben, obwohl sie im vorangegangenen Strafverfahren geständig waren; hierdurch habe sich der Rechtsstreit mit den entsprechenden psychischen Belastungen für die Kläger deutlich hinausgezögert. Hinsichtlich des Polizeibeamten A hat das Gericht den von ihm als Mindestbetrag verlangten Betrag von 15.000,- EUR unter Abwägung der vorgenannten Gesichtspunkte um 3.000,- EUR höher angesetzt.

Quelle: ra-online, OLG Koblenz

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