18.10.2024
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Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.
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Oberlandesgericht Karlsruhe Urteil19.02.2020

Eltern steht bei unterlassenem ärztlichem Hinweis auf mögliche Behinderung des Kindes Schadensersatz zuÄrzte dürfen Information über Risiko einer schweren Behinderung nicht vorenthalten

Das Oberlan­des­gericht Karlsruhe hat entschieden, dass Eltern Anspruch auf Schadensersatz zusteht, wenn die behandelnden Ärzte die werdenden Eltern nicht auf das Risiko einer schweren Behinderung des noch ungeborenen Kindes hingewiesen haben und feststeht, dass die Mutter die Schwangerschaft abgebrochen hätte und dies gemäß § 218 a StGB gerechtfertigt gewesen wäre.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens suchte das beklagte Krankenhaus im Jahr 2011 wegen der Betreuung einer Schwangerschaft auf. Sie hatte bereits im Jahr 2010 eine Schwangerschaft aufgrund eines in dem beklagten Krankenhaus im Rahmen einer pränatalen Diagnostik festgestellten "Turner- Syndroms" abgebrochen. Eine im November 2011 durchgeführte MRT-Untersuchung ergab eine "Balkenagenesie". Dabei handelt es sich um ein Fehlen des Balkens zwischen den beiden Gehirnhälften. In solchen Fällen kommen zwar die meisten Kinder gesund zur Welt, in 12 % der diagnos­ti­zierten Fälle kommt es allerdings zu schweren Behinderungen. Ob die Kläger über diesen Befund hinreichend aufgeklärt wurden, ist zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin brachte das Kind zur Welt, es leidet an schweren körperlichen und geistigen Einschränkungen.

Eltern verlangen Schadensersatz

Die Eltern des Kindes verlangten von dem Krankenhaus und den behandelnden Ärzten Ersatz ihres durch die Betreuung des schwer behinderten Kindes entstehenden Mehraufwandes, weil sie auf das Risiko einer schweren Behinderung nicht hingewiesen worden seien. Sie behaupten, sie hätten bei Kenntnis dieses Risikos die Schwangerschaft abgebrochen.

Eltern wurden nicht über Risiko schwerer Schädigungen aufgeklärt

Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlan­des­gericht Karlsruhe gab auf die Berufung der Kläger der Klage überwiegend statt. Nach dem Behand­lungs­vertrag waren die Ärzte verpflichtet, die Klägerin auf das Risiko einer schweren Behinderung hinzuweisen, da die Eltern sich mit dem erkennbaren Ziel in die Behandlung begeben haben, möglichst frühzeitig über solche möglichen Schädigungen informiert zu werden. Zwar hätten die behandelnden Ärzte der Klägerin empfehlen können, die Schwangerschaft nicht abzubrechen, da das Risiko einer schweren Fehlbildung zwar bestehe, in der überwiegenden Zahl der Fälle die Kinder aber gesund zur Welt kämen. Die Information über das Risiko einer schweren Behinderung durfte den Eltern jedoch nicht vorenthalten werden. Die Eltern wurden im Arztgespräch auf mögliche Verzögerungen in der Entwicklung, aber nicht über das Risiko schwerer Schädigungen aufgeklärt.

Schwan­ger­schafts­abbruch wäre gerechtfertigt gewesen

Das Oberlan­des­gericht kam nach Anhörung der Mutter zu dem Ergebnis, dass die Mutter bei Kenntnis des Risikos einer schweren Behinderung die Schwangerschaft abgebrochen hätte und - nach sachver­ständiger Beratung durch einen Psychiater - dass der Schwangerschaftsabbruch im vorliegenden Ausnahmefall aufgrund der zum damaligen Zeitpunkt bereits absehbaren, außergewöhnlich schweren gesund­heit­lichen Folgen für die Mutter gemäß § 218 a Abs. 2 StGB gerechtfertigt gewesen wäre.

OLG bejaht Anspruch auf Schadensersatz

Das Oberlan­des­gericht hat der Mutter im Hinblick auf die bei ihr eingetretenen, schwerwiegenden psychischen Folgen, die ebenfalls durch einen psychiatrischen Sachver­ständigen festgestellt wurden, ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro zugesprochen. Ferner wurde den Eltern Schadensersatz wegen der gegenüber einem gesunden Kind entstehenden vermehrten Unter­halts­leis­tungen und des vermehrten Pflegeaufwandes zugesprochen. Dabei wurde insbesondere berücksichtigt, dass das Kind unter einer Fehlbildung der Augen leidet, nicht laufen, krabbeln, sprechen und greifen kann, der Schluckreflex schwer gestört ist und eine starke, thera­pie­re­sistente Epilepsie eine erhöhte Fürsorge und dauernde Rufbereitschaft erfordert.

Angewandte Vorschriften (auszugsweise)

Erläuterungen

§ 218 a StGB Straflosigkeit des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs

[...]

(2) Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwan­ger­schafts­abbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berück­sich­tigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebens­ver­hältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beein­träch­tigung des körperlichen oder seelischen Gesund­heits­zu­standes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.

Quelle: Oberlandesgericht Karlsruhe/ra-online (pm/kg)

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