21.11.2024
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Oberlandesgericht Karlsruhe Urteil07.12.2006

VBL-Zusatz­ver­sorgung: Start­gut­schriften für rentenahe Versicherte sind wirksam

In mehreren Einzelfällen hat das Oberlan­des­gericht Karlsruhe die von der beklagten Versor­gungs­anstalt des Bundes und der Länder (VBL) erteilten Start­gut­schriften für rentennahe Pflicht­ver­si­cherte bestätigt.

Die VBL ist die größte Zusatz­ver­sor­gungs­ein­richtung für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes. Sie hat zum Ablauf des 31.12.2001 ihr Versor­gungs­system umgestellt von einer an der Beamten­ver­sorgung orientierten Gesamt­ver­sorgung auf ein auf die Verzinsung von Beiträgen ausgerichtetes Punktemodell. Mit den Start­gut­schriften wurden die von den Versicherten im bisherigen System bis zum 31.12.2001 erdienten Rente­n­an­wart­schaften wertmäßig festgestellt und auf die Versor­gungs­konten im Punktemodell übertragen. Der Systemwechsel beruht auf einer Einigung der Tarif­ver­trags­parteien des öffentlichen Dienstes im Tarifvertrag Altersversorgung vom 03.01.2002 (ATV). Die Tarifregelungen hat die VBL durch eine Neufassung ihrer Satzung (VBLS) rückwirkend zum 01.01.2002 umgesetzt.

Bei den Überg­angs­be­stim­mungen zu den Start­gut­schriften wird unterschieden zwischen rentennahen Jahrgängen und den jüngeren, rentenfernen Jahrgängen. Eine Startgutschrift für rentennahe Jahrgänge erhalten die Versicherten, die am 01.01.2002 das 55. Lebensjahr vollendet haben und für die der Umlagesatz des Abrech­nungs­ver­bandes West maßgeblich ist, oder die zwar etwas jünger sind, aber wegen einer Schwer­be­hin­derung, vor dem 14.11.2001 vereinbarter Altersteilzeit oder Vorruhestandes im Wesentlichen gleichgestellt werden. Die Anwartschaften der ca. 200.000 rentennahen Versicherten werden weitgehend nach dem alten Satzungsrecht ermittelt und übertragen. Die Anwartschaften der ca. 1,7 Millionen Rentenfernen berechnen sich gemäß § 79 Abs.1 S.1 VBLS nach § 18 Abs. 2 BetrAVG. Die Vorschrift enthält Regelungen zur Höhe betrieblicher Versor­gungs­an­wart­schaften für Arbeitnehmer, die vor Eintritt des Versor­gungs­falles aus einem Arbeits­ver­hältnis im öffentlichen Dienst ausgeschieden sind.

Der erkennende Senat hatte bereits mehrfach über Klagen gegen Start­gut­schriften rentenferner Pflicht­ver­si­cherter zu befinden (vgl. etwa Urteil vom 24.11.2005 - 12 U 102/04). Er hat entschieden, dass die zugrunde liegenden Satzungs­be­stim­mungen unter Verstoß gegen höherrangiges Recht in die erdienten Anwartschaften der rentenfernen Versicherten eingriffen. Die Besitz­stands­re­ge­lungen seien für die betroffenen Versi­che­rungs­ver­hältnisse unwirksam und die darauf beruhenden Start­gut­schriften unverbindlich. Allerdings sei es Sache der Tarifpartner, die Besitzstände unter Beachtung des höherrangigen Rechts neu auszugestalten. Der Auffassung des Landgerichts Karlsruhe, das die VBL in vielen Fällen verpflichtet hatte, bei Eintritt des Versi­che­rungs­falles eine Betriebsrente in einer näher bestimmten Mindesthöhe zu leisten, ist der Senat nicht gefolgt.

In den verkündeten Urteilen betreffend die Start­gut­schriften rentennaher Jahrgänge hat der Senat entschieden, dass die diesen zugrunde liegenden Bestimmungen der neuen Satzung (§§ 78 Abs. 1 und 2, 79 Abs. 2 ff VBLS) für das jeweilige Versi­che­rungs­ver­hältnis wirksam seien. Zwar griffen auch diese Besitz­stands­re­ge­lungen in die Anwartschaften ein. Durch die Wertfest­schreibung zum Umstel­lungs­stichtag werde die Teilhabe an der bis dahin bereits erdienten Anwart­schafts­dynamik nicht gewahrt im Sinne des Zeitanteils der Zuwächse, die sich nach dem bisherigen Satzungsrecht in Abhängigkeit von möglichen Endge­halts­stei­ge­rungen bis zum Eintritt des Versi­che­rungs­falles noch ergeben hätten. Jedoch seien die Eingriffe gerechtfertigt. Die Tarifpartner und die Beklagte hätten anhand der ihnen vorliegenden versi­che­rungs­ma­the­ma­tischen Sachver­stän­di­gen­gut­achten davon ausgehen müssen, dass bei unveränderter Fortführung des bisherigen Systems die künftigen Umlagen der Beteiligten nicht ausreichen würden, die künftigen Versor­gungs­ver­bind­lich­keiten der Beklagten zu erfüllen. Es habe sich bereits mittelfristig eine Gefährdung des gesamten Zusatz­ver­sor­gungs­systems durch Substan­z­aus­zehrung ergeben. Im Vergleich zum Jahr 1994 hätte der Umlagesatz von damals noch 4,5 % im kommenden Deckungs­ab­schnitt ungefähr verdreifacht werden müssen. Diese Entwicklung, bei der mittelfristig nicht mit einer Situa­ti­o­ns­ver­bes­serung habe gerechnet werden können, habe es nicht nur gerechtfertigt, einen Systemwechsel herbeizuführen, sondern darüber hinaus auch, Eingriffe in die erdiente Dynamik zu erwägen.

Insgesamt verstießen die angegriffenen Besitz­stands­re­ge­lungen für die rentennahen Jahrgänge nicht gegen höherrangiges Recht. Sie verletzten nicht die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrau­ens­schutzes und seien mit dem Gleichheitssatz vereinbar. Die bei Bestimmung der Anwartschaften der Rentenfernen in mehrfacher Hinsicht festzustellende Verschlech­terung der im bisherigen System vorgesehenen Bemes­sungs­faktoren werde vermieden. Die Anwartschaften würden unter weitgehendem Rückgriff auf die Berechnung der Versor­gungsrente nach der VBLS a.F. ermittelt. Die Anwendung des § 79 Abs. 2 ff VBLS führe anders als die Berechnung für rentenferne Jahrgänge nach § 79 Abs. 1 VBLS i.V.m. § 18 Abs. 2 BetrAVG in der Regel zu einer Startgutschrift, die den von dem Versicherten erdienten Teilbetrag (im Sinne der bis zum Umstel­lungs­stichtag erdienten nicht dynamisierten Anwartschaft) übersteige. Bislang seien auch noch keine erheblichen Nachteile für die Versicherten eingetreten. In dem seit der Syste­mum­stellung bis heute vergangenen Zeitraum seien erhebliche Entgelt­stei­ge­rungen bei den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (mit der Folge einer positiven Anwart­schafts­dynamik nach den Regeln des alten Systems) nicht zu verzeichnen. Versicherte, bei denen der Versi­che­rungsfall zwischen­zeitlich be-reits eingetreten sei, dürften daher im Regelfall aus der Startgutschrift und den Zuwächsen nach dem Punktemodell eine höhere Betriebsrente erhalten als bis zum 31.12.2001 erdient.

Ansprüche der Kläger auf eine höhere Bewertung ihrer Anwartschaft durch zusätzliche Berück­sich­tigung von Vordienstzeiten oder in anderer Weise bestünden nicht. Auch einen von mehreren Klägern geltend gemachten Anspruch auf eine höhere Dynamisierung der Rente als im neuen Satzungsrecht vorgesehen hat der Senat verneint. § 39 VBLS, der ab dem Jahr 2002 eine jährliche Anpassung von 1 % jeweils zum 01.07. eines Jahres vorsehe, verstoße jedenfalls derzeit nicht gegen höherrangiges Recht.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OLG Karlsruhe vom 07.12.2006

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